22. queer, seit sie denken kann.

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Harry

„Alles okay bei dir?", fragte Gemma Louis, statt einer Begrüßung. Mein bester Freund wirkte verkrampft und wütend. Seine Lippen drückte er fest aufeinander und die Hände ballte er zu Fäusten, sobald er sich angeschnallt hatte.
„Ich könnte explodieren." Sein veränderter Tonfall sollte keine Gänsehaut bei mir auslösen. Kratzig und rau ging mir seine Stimme durch Mark und Knochen.
„Bitte erst, wenn du ausgestiegen bist. Ich habe keine Lust mein Auto zu waschen." Ich räusperte mich und starte auf die Straße, während ich aus der Parklücke rausfuhr.

„Gemma, dein kleiner Bruder ist ein Arsch."
„Bin mit ihm aufgewachsen", grinste meine Schwester. Ich bin immer mit dem Wissen groß geworden, dass wir uns ähnelten wie ein Ei dem anderen. Die gleichen Grübchen, die gleichen Münder und angeblich auch die gleichen Nasen und die gleichen Augen. Das ich bis auf die untere Hälfte meines Gesichts, nichts bei Gemma von mir sah, interessierte dabei niemanden so richtig.
„Ey, ich bin nett." Empört zog ich meine Stirn in Falten.
„Das wissen wir doch Großer." Gemma tätschelte mir das Bein. Ich drehte mein Kopf zu ihr und steckte die Zunge raus.

„Wollt ihr jetzt wissen, wieso ich explodiere?"
Ich konnte mich nicht entscheiden, ob Louis süß oder sexy war. Während seine Wut mich in ihren Bann zog, weckte sein Trotz das Gefühl, ihn mit Herzchenaugen ansehen zu müssen.
„Natürlich", kams zeitgleich von mir und Gemma.
„Lena und die anderen vom Management sind doof."
Kurzes Schweigen, während Gemma und ich uns einen wissenden Seitenblick zuwarfen. Schon als Louis aus Lenas Haus raus kam, war uns beiden klar, dass etwas vorgefallen war. „Louis, Schatz, willst du das nicht etwas weiter ausführen? Vielleicht mit Informationen, die wir nicht schon kennen?" Meine Schwester setzte diese Art von Blick auf, den sie auch verwendete, wenn sie mit kleinen Kindern sprach. Ich unterdrückte ein Schmunzeln.

Ich achtete auf die Straße und Louis gleichzeitig. Wobei es schwer war, den Verkehr im Auge zu behalten, wenn Louis' Gestikulieren und seine Worte mich derart aus dem Konzept brachten. Ersteres, weil es süß war und Zweiteres, weil es sich in mein Herz brannte.
Zu hören, wie das Management über mich dachte, sollte mir nicht wehtun. Es sollte mir egal sein.

Das Wissen, wie weit Lena und die anderen gehen würden, um mich hetero zu kriegen, erschreckte mich. Meine Sexualität, war doch nicht falsch. Sie gehörte genauso zu mir, wie mein Ordnungswahn und meine Liebe zur Musik. Was war falsch daran?
Wir hatten inzwischen viele Millionen Fans und täglich kamen immer noch um die tausende dazu. Davon waren sicher nicht alle hetero. Schadteten die jetzt unseren Image?

Ich war abgelenkt von Louis Worten und so fiel mir erst danach auf, dass ich mit meiner Familie noch nie über meine Sexualität geredet hatte. Nicht aus Angst, sie würden mich nicht akzeptieren. Ich hatte es einfach nie getan. In der High-School hatte ich einen Freund, dessen Eltern und dessen Zwilling konservativ eigestellt waren. Also hängten wir unsere Beziehung nicht an die große Glocke, geschweige denn an irgendeine Glocke. Wir knutschten im Geheimen, hatten unser erstes Mal im Geheimen und außerhalb vom Geheimen waren wir Freunde. Ich hatte niemandem von uns erzählt, weil ich es als unnötig betrachtet hatte. Daraus ergab sich jedoch auch, dass ich nie darüber gesprochen hatte, dass ich durchaus auch auf Jungs stand.

In der Gegenwart warf ich Gemma einen erschrockenen Blick zu. Ihr Gesicht war wutverzehrt und ich überlegte, an den Straßenrand zu fahren, für den Fall, dass sie mich verprügeln wolle.
Louis unterdessen endete seine Anekdote und wartete auf unsere Reaktionen.

„Harry-" Gemma drehte sich in meine Richtung.
„Ich kann das erklären!" Unterbrach ich sie panisch. Immer wieder wechselten meine Augen zwischen Straße und Schwester.
„Was?" Ihre Verwirrung verwirrte mich.
„Dass das Management sagt ich stände auf Jungs."
„Wieso willst du mir das erklären?"
„Weil ich mich nie vor euch geoutet hatte?"
„Hast du nicht?"

Schweigen im Auto. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Louis verwirrt zwischen uns hin und her sah. Wir standen an einer Ampel, ein Hupen erinnerte mich daran weiterzufahren.

„Stimmt. Hab ich vergessen." Gem zuckte die Schultern
„Aber- Hä?" Erleichterung machte sich in mir breit, als ich endlich die Einfahrt zu unserem Haus erreichte, das Tor über einen Mechanismus öffnete und hinter der Hecke parkte. Zumindest die Gefahr einen Unfalls war gebannt.
„Du standest schon im Kindergarten mehr auf Jungs, als auf Mädchen Harry. Weißt du wie nervig es war, wenn du die ganze Zeit von dem Typen und den Typen gequatscht hast? Und deine Beziehung in der High-School mit diesem Roberts. Wenn du das nächste Mal etwas geheim machen willst, knutsch nicht vor meinem Spint rum. Da konntet ihr froh sein, dass niemand anderes da lang gegangen war." Gemma band ihre Haare zu einem Zopf und sprach weiter. „Du bist queer seit ich denken kann Bruderherz."

Louis kicherte hinter uns leise. Ich starrte meine Schwester an. Und jene erhob sich elegant aus dem Auto.
„Ich bin queer, seit sie denken kann."
„Du hast an ihrem Spint rumgemacht." Louis Kichern wurde zu einem lauten Lachen.

Augenverdrehend stieg auch ich, gefolgt von Louis, aus.

Man hätte meinen sollen, dass wir nochmal über Louis' Besuch bei Lena reden würden. Aber nein. Wieso wütend auf etwas sein, dass man nicht ändern kann? Das Management war vielleicht gegen mich, aber Gemma hatte Recht. Meine Sexualität war keine Entscheidung, die man mir ausreden konnte. Ich war so geboren wurden. Egal was Modest! versuchte, sie würden mich nie ändern konnten. 

Also betraten wir entspannt das Haus. Während Louis sich sofort für sein Date mit Eleanor fertig machte, bereiteten meine Schwester und ich ihren Schlafplatz vor. 

hidden pain and sweet taboos | L.SWo Geschichten leben. Entdecke jetzt