TW: Queerfeindlichkeit
Für die, die Angst haben und dennoch ihr Schweigen brechen.
Angstschweiß kriecht meinen Rücken hinab, während mein Herz in meiner Brust poltert, schnell und ungleichmäßig, und ich mich zusammenreißen muss, damit man mir meine Aufregung nicht ansieht.
Zittrig atme ich die Luft meines Zuhauses ein, den Sauerstoff voller Erinnerungen - aber heute fühlt es sich an, als würde ich mit jedem Atemzug nur noch mehr Unsicherheit in mich aufnehmen.
Clara schenkt mir einen warmen Blick, einen aufmunternden, mutmachenden. Doch in dem funkelnden Schwarz ihrer Iriden sehe ich, dass sie ebenso viel Angst hat wie ich.
Ich greife nach ihrer Hand, unsere Finger verflechten sich. Wie immer streiche ich mit meinem Daumen über die Narbe an ihrem Handgelenk, welche sie mit auftätowierten Blumen zu verdecken versucht.
Claras warme Haut an meiner gibt mir Sicherheit. Sie ist mein Anker, bringt mich zur Ruhe, hält mich fest.Ich atme noch einmal ein, dann betreten wir unser Wohnzimmer, Seite an Seite, Clara und ich, beste Freundinnen, die mehr als das sind.
Meine Mutter hebt ruckartig den Kopf, als sie uns hereinkommen hört. Spaghetti Bolognese dampfen auf dem Tisch, mein Vater lässt Käse wie Schneeflocken auf sein Spaghettinest rieseln. Alltag. Und wir sind da, mittendrin. Die Augen meiner Mutter werden in tiefen Lachfältchen vergraben, als sie aufspringt und mich in ihre Arme ziehen will.
,,Mensch, Feli, hättest du nur gesagt, dass du kommst!"
Aber da ist kein Vorwurf in ihrer Stimme, da ist nur Freude, ehrliche Freude. Genau das, was ich von Mama erwartet habe, genau das, was ich brauche. Papa ist kritischer, verwirrter, schlechter zu täuschen.
Natürlich weiß er sofort, dass ich nicht einfach so hier bin. Schon gar nicht mit Clara im Gepäck, nicht ohne Bescheid zu geben.Wir setzen uns zu meinen Eltern; ich lasse Claras Hand nicht los. Ich kann nicht. Auch wenn ihre Haut an meiner prickelt und wir beide schwitzen - ich möchte sie nicht loslassen, nicht die Hand, die mich hält und bereit ist, mich aufzufangen, sollte ich fallen.
,,Alsooo", beginne ich nach einer Schweigeminute, in der auch Mama begriffen hat, dass ich nicht völlig grundlos 4 Stunden aus New York auf mich genommen habe, um ihr einen Überraschungsbesuch abzustatten.
,,Also?", fragt sie forschend nach und eine Sorgenfalte gräbt sich zwischen ihre Augenbrauen. Wachsam lässt sie ihren Blick zwischen uns hin und herschweifen. Ich habe das Gefühl, mein Herz falle mir aus der Brust und stürze in einen Abgrund ohne Boden.
,,Ich habe Clara nicht ohne Grund mit her gebracht", sage ich, verstumme. Meine Stimmbänder zittern wie Espenlaub, so wie mein ganzer Körper.
Ich kenne die Einstellung meiner Eltern und genau das macht mir so große Angst.
Heute geht es nämlich um verdammt vieles. Clara mit in mein Elternhaus zu bringen heißt auch, Clara in ihr zweites Zuhause zu bringen. Wir sind befreundet, seit frühester Kindheit, und wenn ich so zurückdenke, war Clara öfter hier als bei sich daheim.
Meine Familie ist gleichzeitig auch Claras Familie. Zumindest bis heute. Heute allerdings... Heute wird sich herausstellen, ob sie das weiterhin ist. Ein Teil unserer Familie. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich noch dazugehören werde. Wenn ich denn endlich mal den Mut finde, weiterzureden.Mamas Pupillen springen zwischen Clara und mir hin und her, her und hin, ich merke, wie ihr Kopf zu glühen beginnt, so viel denkt sie nach. Versucht, zu verstehen. Doch die Erkenntnis bleibt aus. Sie bleibt lediglich das, wonach ich mich sehne und was ich zugleich fürchte.
Meinem Vater werfe ich nur kleine, schnelle Blicke zu. Ich will nicht wissen, was er denkt. Zu groß ist die Angst vor einem Wutausbruch, wenn er bemerkt, worum es hier geht.
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drowning - ein kurzgeschichten-sammelsurium
Historia CortaFür alle Flickenteppiche und alle Kunstwerke. Für die Bunten, die Schwarzen, die Durchsichtigen. Für die Ungesehenen. Für all die, die im Karussel ihres Lebens feststecken. Und für alle Achterbahnfahrer. Für alle Farbensucher. Für alle Farbenfind...