Das Widersehen

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Nervös stieg ich von einem Fuß auf den anderen, bis wir endlich ausladen durften.

Harry war vorausgegangen, um Bescheid zu geben, dass wir nun da waren.

Betty legte ihre Hand auf meine Schulter und schenkte mir einen ermutigenden Blick, der so viel aussagte wie ‚Du schaffst das!‘.

Ich war wirklich dankbar die zwei dabei haben zu können. Alleine wäre ich glaub vor Aufregung auf der halben Strecke wieder umgekehrt, oder hätte ungewollt einen Unfall gebaut oder hätte beim Ausladen die Siebträgermaschine kaputt gemacht.

Als ich den ersten Schritt in dieses Gefängnis setzte, spürte ich sofort, dass hier eine andere Atmosphäre herrschte. Die Wände waren kühl und leer und es war als wollten sie mir die Geschichten, der einzelnen Häftlinge erzählen.
Aber der Offizier, der uns durch die Gänge zu unserem Platz führte war nett und strahlte im Gegensatz zu den Wänden Wärme aus. Das ließ das schwere Gefühl auf meiner Brust verschwinden und ich hatte das Gefühl, dass dieser Offizier diesen dunklen Ort etwas heller machen würde.

Sie hatten bei der Essensausgabe etwas Platz geschaffen, sodass wir von dort aus den Kaffee ausschenken konnten.

Ein paar der Häftlinge hielten sich im Speisesaal auf und spielten Karten oder sowas. Immer wieder ließ ich meinen Blick über die Köpfe dieser Männer schweifen, aber Rob war weit und breit nirgends zu erkennen.

Plötzlich stieg eine riesige Sorge in mir hoch.
Was wenn er gar nicht kommen würde?
Was wenn ihm der Kaffee egal war und er in seiner Zelle sitzen bleiben würde?
Dann wäre alles umsonst gewesen. Der ganze Aufwand: Der umständliche Antrag, das ewige Warten, die nervenaufreibende Anfahrt, das mühselige Aus- und Einladen, die ganze Zeit, die wir dafür aufopferten nur damit ICH diesen Mann wiedersehen konnte. Was wenn das alles umsonst war?

Plötzlich fühlte ich mich richtig schlecht, dass Harry und Betty bei dieser Aktion mitmachten, wenn sie doch so in die Hose gehen konnte.

Ich zwang mich dazu mich zu erinnern, dass David meinte, dass die zwei so oder so gerne etwas für einen wohltätigen Zweck tun wollten. Aber es fiel mir schwer gerade positive Gedanken zu pflegen.

Eine sanfte Hand auf meiner Schulter riss mich aus meinen Gedanken.

„Bereit?“,
fragte Betty einfühlsam.

„Nicht wirklich.“,
gab ich ehrlich zu und seufzte tief.

„Vertrauen“,
flüsterte sie mir ins Ohr und widmete sich den letzten Vorbereitungen.

„Wielange braucht ihr noch circa?“

Ein großer gut gebauter Offizier stand im Türrahmen und checkte unsere Lage.

„Nicht mal mehr fünf Minuten würde ich sagen.“,
antwortete Harry.

„Alles klar. Ist es in Ordnung, wenn wir schonmal die Insassen in den Saal rufen?“

Harry nickte.

Dann war es jetzt also soweit…

Wenige Minuten später hatte sich eine Schlange vor dem Tresen gebildet und die ersten gaben ihre Bestellung ab.

Es faszinierte mich wie unterschiedlich die einzelnen Männer aussahen. In manchen Augen sah man die Bosheit aufblitzen in anderen sah ich nur Leere und einen fand ich so unglaublich knuffig, dass ich mich fragte, was der wohl angestellt haben musste. Manche waren klein, manche waren groß und gut gebaut oder voller Tattoos. Und manche schüchterten mich tatsächlich so sehr ein, sodass ich froh war, dass dieser Tresen zwischen uns wie eine Mauer war, hinter der wir in Sicherheit waren.

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