2. Kapitel

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Ein ruhiges Gesicht ist wie die Klinge in einer Schwertscheide. Ist sie noch so stumpf, wenn der Griff an die Waffe mit Willen erfolgt, sollte sich jeder vernünftige Mensch davor fürchten. So hielt Leonar von Badazan sein Gesicht. Keine Regung diktierte seine Mimik, er hielt sich stets still oder kurz angebunden, niemand sollte seinen nächsten Zug auch nur erahnen können.

   So wurde er großgezogen, zwischen all dem menschlichen Adel und Abschaum. Sein Geschlecht, das Haus von Badazan, verlor vor Tausenden von Jahren seinen Sitz, reiste und bettelte sich seitdem umher. So lernte man schnell, sein Gesicht zu bewahren, denn man war gänzlich auf die Güte anderer angewiesen.

   Doch wie Leonar in dem kleinen Beiboot saß und dem kräftigen Mann namens Dallos von Rehmar beim Rudern zuschaute, da konnte er nicht anders, als seine Miene zu verziehen. Nicht wegen des Anblicks des Menschen vor ihm, sondern wegen dem stetig dröhnenden Geräusch.

   Schreie. Pure und verzweiflungsgetränkte Schreie jagten über jede Welle, kratzten in ihren Ohren. Leonar hatte das klagende Heer zuvor noch nie so grausam gesehen. Einer Handvoll der verfluchten Sklaven war er schon einmal begegnet, doch diese trugen stets einen Maulkorb oder ihnen wurde Stille befohlen. Nun wusste der Mann aus dem Hause Badazan warum. Zwar nahmen die Vampire ihnen die Körper, doch ließen ihnen den Verstand. Denn dieser könnte sich ja noch als brauchbar erweisen.

   „Schon etwas viel, meinst du nicht auch?" Dallos zog die Ruder wieder fest zu und grinste Leonar durch seinen kurzen braunen Bart an. „Dorrash übertreibt aber auch immer gerne. Sieht er keine Herausforderung, er macht sich ein Spiel daraus."

   Leonar guckte ausdruckslos in das freundlich falsche Gesicht. „Es geht. Nur laut."

   Dallos zischte zwischen seinen Lippen hervor. „Ach, sei nicht so. Ein wirklich normaler Anblick ist das Heer nie. Aber es ist effektiv. So soll es ja auch sein."

   Sie waren nur noch wenige Schritte von der Küste der Insel Skjaldir entfernt, aber die Strömung selbst schien sie abhalten zu wollen, einen Fuß auf den kalten Strand zu setzen. Und stetig ertönten die Schreie vom Westen her. „BITTE! ZERSCHLAGT MEINEN KOPF! BITTE! TÖTET MICH!"

   Dallos kicherte vor sich hin und zog die Nase hoch. „Verzeiht. Ich habe eine kleine Wette mit dem Admiral, welche Sprüche wir noch nicht von dem Heer gehört haben."   

   Leonar starrte den Fremden weiter an und musste sich langsam damit abfinden, dass dieser von nun an sein Begleiter sein sollte. „Und?"

   Dallos zog die Ruder erneut zu sich heran, etwas grüner Meeresschaum landete zwischen ihren Füßen. „Er gewinnt. Er gewinnt jedes Mal."

   „Er ist Vampir. Natürlich gewinnt er." Leonar musterte die Reaktion des Menschen vor sich. Dieser diente den Untoten und doch sprach er mit diesen als seien sie seine Freunde, seine Brüder. Und das störte den Mann aus der verlorenen Stadt Badazan gewaltig.

   Dallos schmunzelte. „Ja ich weiß, aber ich glaube nicht, dass er schummelt. Vielleicht hat er einfach mehr Schlachten als ich gesehen. Der Krieg dauert nun schon fast sieben Jahre an."

   Leonar guckte kurz auf seine rauen, vernarbten Hände. Sieben Jahre. Eine solche Zeit ist selten für Kriege unter Sterblichen. Doch nicht für die Ewigen unter der Herrschaft der bleichen Königin.

   Dallos legte den Kopf in die Seite und seine grünen Augen durchbohrten seinen Gegenüber, ein seltsam fröhliches Lächeln auf seinen Lippen. „Warst du bei der ersten Schlacht dabei? Eroberung von Calicedam?"

   „Ja. War ich." Der Mann aus Badazan behielt seinen gleichbleibenden Ton. „Doch nutzten sie damals nicht das Heer."

   Dallos kicherte. „Ha, eitel sind sie schon manchmal. Hauptstadt des Kaiserreichs, größtes Reich auf dem Kontinent Auervam, und sie nehmen es ganz alleine ein." Kurz hielt er seine Zunge, doch konnte die Frage nicht schlucken. „War sie dabei?"

Die bleiche Königin - Geburt des TerrorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt