5. Kapitel

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Das Zischen und Fauchen an seiner Seite rissen den großen Mann schlagartig aus seinem unruhigen Schlaf. Leonar fuhr hoch und unter ihm ächzte ein kleines, morsches Bett. Der kühle Schweiß auf seiner Stirn stoppte, als er in ein Gesicht mit zwei langen, spitzen Eckzähnen blickte.

   „Herr Leonar. Seid Ihr wohlauf? Eure Wunden, wie fühlen sich diese an?" Der kleine Vampir, zweifellos ein Diener von Kun oder Dorrash, begutachtete den großen Mann, doch traute sich nicht weiter heran.

   Zu seinem Entsetzen stellte Leonar fest, man hatte ihm seine Rüstung ausgezogen, fast nackt fühlte er sich. Sein stoischer Blick wanderte seinen langen, muskulösen Leib entlang und kurz ergriff ihn ein nie erahnter Ekel. Leonar wollte sein Fleisch abwerfen. „Meine Rüstung, wo?"

   Der kleine Vampir deutete in eine Ecke. Die beiden standen in einer morschen, winzigen Fischerhütte, zweifellos noch immer in dem Dorf an der Küste der Insel. Und sie waren nicht allein. Wie das Grollen eines Drachen selbst schnarchte es in der anderen Ecke. Dort schlummerte seelenruhig Dallos von Rehmar. Im Schlaf kratzte er sich abwesend am hellbraunen Bart und seine dicken Locken verdeckten teils sein Gesicht.

   Leonar rollte mit den Augen, doch schmunzelte. So komisch und falsch der Mann aus Rehmar ihm vorkam, dort draußen stand er Seite an Seite mit ihm, wäre er für ihn gestorben.

   Geschwind schlüpfte Leonar in seinen dicken Stahl und fühlte eine Welle der Ruhe über sich gleiten. Er nickte dem kleinen Vampir zu und verließ die Hütte, hatte genug von der stickigen Luft. Draußen begrüßte ihn jedoch keine frischere Brise.

   Die Luft stank nach Fleisch und Rauch, dick hing der Geschmack von Verwesung im Dorf. Die Hütten waren in den Rottönen des Blutes und der Eingeweide ihrer Bewohner gekleidet, Leichen pflasterten jeden Winkel der schmalen Gassen. Das klagende Heer stand regungslos im Dorf verteilt, nur die panischen Blicke der versklavten Menschen schossen umher.

   Das einziges Geräusch war das Kreischen der Möwen. Die feinen Vögel waren sich für ein Mahl aus Menschenfleisch nicht zu schade, sie hackten und rissen an den Leichen herum, ihre Schnäbel und weißen Federn blutbedeckt. Leonar zog einen kräftigen Schwall Luft ein und machte sich mit einem unmerklichen Grinsen auf.

   Schnell erfuhr er, dass Dorrash von Rapapalosch und Admiral Kun Silithrilanil in der Dorfhalle auf die beiden Menschen warteten. Gerade erkannte er das höher gebaute Langhaus mit seinem verschimmelten Strohdach und verblassten Runen darauf, da erklang ein feines Räuspern keine zwei Schritt hinter ihm.

   Sie stand kleiner als er und deutlicher schmaler. Der glatte Leib war mit einem burgunderroten Kleid verhüllt und kaum Kurven zeichneten ihren Körper ab. Blondes Haar saß so perfekt und gerade wie ein Helm schulterlang um ihren Kopf herum und zwei scharfe, genaue, blaue Augen musterten Leonar in wenigen Momenten. Und in ihrem schmalen Mund drohten zwei kleine spitze Eckzähne. „Ihr könnt niemand anderes sein als Leonar von Badazan, liege ich richtig?" Die Vampirin trat langsam um ihn herum, ihr Blick stetig klar. „So viel habe ich gehört von eurer Hilfsbereitschaft und eurem Willen zur Plauderei, kommt." Ungefragt und geschickt hing sich die Frau bei Leonar ein und zog ihn die lange Straße des Dorfes entlang, weg von der Langhalle. „Redet mit mir."

   Er konnte kaum reagieren, seine Beine folgten ohne seinen Willen und er bekam keinen Ton heraus.

   Die fremde Vampirin ließ sich davon jedoch nicht unterbrechen. „Nun erzählt mir, was genau geschah hier?"

   Seine Lippen gehorchten augenblicklich. „Wir eroberten das Fischerdorf. Das klagende Heer und ich und Herr Dallos von Rehmar."

   „Ahhhh. Herr von Rehmar ist ebenso hier, sehr schön. Auch über ihn lässt sich vieles hören, das freut mich. Und das habt ihr zwei Menschen ganz allein getan?"

Die bleiche Königin - Geburt des TerrorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt