Papa's kleiner Schlumpf pt.4

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PoV Ju

Es sind mittlerweile 9 Tage vergangen seitdem Rezo seinen letzten Ausbruch hatte. Nur noch einmal ist es vorgekommen, dass er nachts weinend aufwachte und sich voller Schmerz den Arm hielt, da er sich wieder gekratzt hatte. Nachdem ich die Wunden versorgt und mit ihm gekuschelt hatte, war das aber auch verflogen.  In dieser Zeit beschäftigte mich immer wieder mit der Frage, warum das passierte. Online stöberte ich in Foren, ob andere ebenfalls damit Erfahrungen gesammelt haben. Einige scheinen auch davon betroffen zu sein, manche sogar noch heftiger als Rezo.

Mehrere Nächte lang saß ich immer wieder am Handy und unterhielt mich mit anderen 'Aufpassern', die mir Tipps gaben, um das Verletzen zu unterbinden ohne dass ich Rezo in irgendeiner Art und Weise triggere, während der blauhaarige neben mir wie ein Stein schläft. Manche sagen, dass Ablenkung und Akzeptanz die beste Methode wäre, andere wiederum suggerieren etwas anderes: einen Schnuller. Bei dem Gedanken, meinem 31 jährigen Freund einen bunten Schnuller in den Mund drücken zu müssen weil er sich nicht beruhigt, schüttel ich meinen Kopf und anfreunden kann ich mich mit der Tatsache auch nicht wirklich. Trotzdem: Irgendwas muss passieren damit es aufhört.

Am nächsten Morgen fahre ich Rezo zur Arbeit und kurve danach zum nächsten Superstore, der gefühlt alles hat. Ich gehe hinein und schaue mich etwas um. Mit langsamen Schritten gehe ich auf die Kinderabteilung zu und ein paar Minuten später stehe ich vor einem Regal voll mit den unterschiedlichsten Schnullern. Meine Wangen fangen an zu glühen. Man, ist das unangenehm. Ich versuche das Gefühl zu unterdrücken, schließlich geht es hier um Rezo's Sicherheit und nicht um mich. Selbst wenn es helfen würde ihn in Windeln zu stecken oder ihm Gute Nacht Geschichten vorlesen zu müssen, dann würde ich es tun. Schließlich ist es meine Pflicht auf ihn zu achten, er hat sich nur mir mit diesem Thema anvertraut. 

Meine Augen schweifen zwischen den unterschiedlichen Größen bis sie an einem großen hellblauen Schnuller mit einer Gitarre hängen bleiben. Na, wenn das nicht nach Rezo schreit dann weiß ich auch nicht. Schnell nehme ich diesen und ignoriere die Fragen der jungen Kassiererin. Kaum aus dem Laden gehe ich zu meinem Auto und will einsteigen, da entdecke ich einen Souvenirladen. Im Schaufenster sind unterschiedliche Wahrzeichen Deutschlands, die zum Verkauf angeboten werden. Sie sind alle als Plüschtiere verfügbar. Ich sehe sie mir alle an bis etwas grau-blaues meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. 

Ich gehe in den Laden und will mir das Plüschtier genauer ansehen. Es dauert ein kleines Bisschen bis ich es im Regal wiederfinde. Im positivem Sinne fassungslos nehme ich es vom Regal und schaue es mir an: es ist eine mittelgroße Bahn mit dicken Schienen auf dem 'Körper', einem süßen Gesicht, darüber eine kleine Kappe in derselben Farbe wie der Rest der Bahn und einem Namen im Anzeigefeld: _/Schwuppi/_. Ich schaue freudenstrahlend auf den Karton, in der Schwuppi liegt: Schwuppi - die kleine Schwebebahn. 

Eine Schwebebahn in Plüschform? Ich erinnere mich daran dass Rezo im Schlaf unter Tränen oft "nach Hause" geflüstert hatte. Ja aber natürlich. Die Schwebebahn ist das Wahrzeichen von Wuppertal, Rezo's Heimat. Rezo's 'zu Hause'. Die Bedienung kommt zu mir und fragt ob ich etwas Hilfe beim Auswählen benötige. "Seit wann gibt es denn sowas?", frage ich entgeistert und halte ihr die Plüschbahn vor das Gesicht. Sie grinst freundlich:" Oh, die Wuppertaler Schwebebahn! Die ist so ein Geheimtipp unter den Bahnliebhabern und die Kinder lieben die kleine Bahn. Haben sie auch jemanden, der die Schwebebahn mag?", ich nicke. "Ja, mein Freund, er kommt gebürtig aus Wuppertal und scheint im Moment etwas Heimweh zu haben." "Ah, ich verstehe. Dann kommt Schwuppi ja gelegen. Da wird er sich bestimmt drüber freuen!"

Ich nicke und bezahle an der Kasse. Die etwas ältere Dame war sogar so nett und verpackte die Bahn in Geschenkpapier. Freudestrahlend fahre ich dann nach Hause, wo auch schon Rezo auf mich wartet. Ich begrüße ihn und wir reden darüber, wie unser Tag war. Zwischendurch erwische ich ihn dabei wie er die Geschenke begutachtet, wobei ich schmunzeln muss. Als wir fertig sind, wibbelt er ganz aufgeregt hin und her:" Was ist das? Sind das Geschenke? Sind die für mich?". Ich lache und nicke. "Ja, die sind für dich. Hier", ich reiche ihm das kleine Geschenk, "pack das zuerst aus." Er nickt und packt es aus. Als er den Schnuller in der Hand hält, wird er ganz rot im Gesicht. Ich erkläre ihm dass er ihn benutzen kann wenn er sich nicht beruhigen kann.

Er nickt langsam und lächelt dann doch: Danke Ju. Er ist wirklich süß." Ich drücke ihn kurz und wasche den Schnuller dann aus, denn ich hab das Gefühl dass er ihn gleich benötigen könnte. Ich komme zurück und setze mich wieder gegenüber von ihm hin. "So, hier ist das große Geschenk. Ich hoffe du freust dich darüber.", er nickt aufgeregt und versucht so ruhig wie möglich das Geschenkpapier abzunehmen. Als es ausgepackt ist, hält er inne. Die bunte Packung verrät ihm schon was in dem Karton ist. Ich werde etwas ungeduldig und nervös als er relativ traurig aussieht, doch dann rollen ein paar Tränen über sein Gesicht. Er fummelt leise schniefend den Karton auf und holt die kleine Bahn raus. Ich schaue gespannt dabei zu und habe das Gefühl damit total ins Aus geschossen zu haben.

"Rezo?", frage ich vorsichtig doch dieser schaut sich weinend das Sommersprossen bedeckte Gesicht von Schwuppi an. Ich will ihn erneut ansprechen bis er selbst den Mund öffnet:" Zu Hause.", sofort drückt er Schwuppi an sich und weint stärker. Volltreffer. Ich nehme ihn in den Arm und tröste ihn. Er hat tatsächlich nach all den Jahren, in dem er nicht mehr bei seinen Eltern wohnt, Heimweh. Und mit der Plüsch- Schwebebahn scheine ich ihm zumindest einen Teil des Herzschmerzes nehmen zu können.

959 Wörter

Juzo OneShot CollectionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt