Kapitel 9

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Am nächsten Morgen wurde ich wach noch bevor der Wecker klingelte. Es war kein Regen zu hören und mich hatte bereits eine Welle von Energie gepackt.

Ich ging kurz duschen und tauchte mich somit in Vanille-Zimt-Duft. Meine Haare ließ ich lockig, ich knipste nur zwei Haarspangen hinein. Für die Schule trug ich eine schwarze Jeans, ein dunkelrotes Top, darüber mein dunkelgrauer Wollpulli und Doc Martens. Die Stiefel hatte ich tatsächlich schon vier Jahre lang. Treue Begleiter.

Ich war durchaus zufrieden mit mir, als ich in meinen Herbstmantel schlüpfte und zum Bus lief. Mom und North waren noch im Bett und ich vermied es, ihnen persönlich Tschüss zu sagen.

Während ich die zehn Minuten zur Bushaltestelle lief, hörte ich Musik. Gerade lief Red Comes In Many Shades von U.S. Girls. Ich musste schmunzeln. Ich wusste nicht, an wen ich bei dem Lied denken musste. Henry? Herr Sandner? Es war beides durchaus passend, wenn man die Altersunterschiede betrachtete.

Früher hatte ich nie etwas an älteren Männern gefunden und jetzt ekelte mich das Gefühl mit jemand Jüngerem zusammen zu sein nur noch an. Die fehlende Ernsthaftigkeit und das mangelnde Verständnis. Ich könnte mich niemals auf der gleichen Ebene mit einem Jungen in meiner Klasse so unterhalten, wie ich es mit Henry konnte.

Ich stieg in den Bus ein und setzte mich ans Fenster. Meine Gedanken schienen nicht mehr zu rasen. Es würde alles gut werden.

-•-

Als die fünfte und somit letzte Schulstunde des Tages anbrach, kam Herr Sandner ins Klassenzimmer. Er trug das Sweatshirt, das ich gestern in seinem Auto gesehen hatte und seine Haare waren - natürlich - wieder im trockenen Zustand. Er wirkte dynamisch und irgendwie glücklicher als sonst.

Er hielt seine beiden Stunden, wie mir bereits versprochen, über George Orwell. Es machte mir mehr Spaß, als ich zugeben würde, gleichzeitig waren die Themen, die wir behandelten, natürlich auch sehr besorgniserregend.

Als wir alleine an unseren Thesen arbeiten sollten, ging Herr Sandner umher und sah sich einige Arbeiten an. Auch bei mir blieb er stehen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass ausgerechnet der Mann hinter mir stand, zu dessen Vorstellung ich gestern einen Orgasmus hatte. Ich war angespannt und in meinem unteren Bauch kribbelte es wieder so verräterisch. Herr Sandner griff nach meinem Essay und striff dabei, scheinbar ausversehen, meinen Unterarm.

Ich bekam sofort Gänsehaut, die er dank meines Pullis zum Glück nicht sehen konnte.

Er las das, was ich bereits geschrieben hatte. Seine pure Anwesenheit machte mich so nervös. Bestimmt spürte er das. Der Moment gestern im Auto, bei dem ich dachte, dass er mich gleich küssen wurde, hatte dieses Gefühl nur noch bestärkt.

"Klasse. Weiter so.", meinte er schließlich. Ich atmete erleichtert aus und nahm den Papierbogen zurück. "Danke."

Herr Sandner ging weiter und als er nicht mehr direkt hinter mir stand, zwinkerte er mir zu. Mein Herz machte einen kleinen Luftsprung. Bevor ich rot wurde, konzentrierte ich mich wieder auf mein Essay über Orwell.

In den letzten fünf Minuten war ich bereits fertig mit den Aufgaben. Ich sah kurz aus dem Fenster. Kein Regen, ein paar wenige, warme Sonnenstrahlen brachen durch die helle Wolkendecke.

"Hoffst du auf Regen?", fragte Herr Sandner leise, der wieder neben mir stand. Es schwang dabei ein Hauch von Spott mit. Er nahm das alles zu leicht. Ob er wusste, was er in mir auslöste?

Ich grinste unwillkürlich. Es war wie ein Insider zwischen uns. Ein ganz geheimer Insider. Also schüttelte ich den Kopf und beschloss mitzuspielen.

"Ich könnte mein Leben lang ohne Regen klarkommen.", behauptete ich ruhig ohne vom Fenster wegzuschauen.

"Ach tatsächlich?", fragte Herr Sandner gespielt überrascht. Ich nickte. "Ja. Ich hasse es im Regen nach Hause zu laufen.", fügte ich hinzu. Darauf erntete ich ein kurzes Lachen von ihm. Er ging wieder nach vorne an sein Pult und beendete die Stunde und somit den Schultag.

Ich packte zusammen und ging mit meiner Freundin Ines, die leider auf der anderen Seite des Klassenzimmers saß, nach draußen zum Bus. Sie fragte mich nach einem langweiligen Lernheft. Ich mochte Ines sehr gerne, allerdings wusste ich, warum ich meine Freizeit außerhalb der Schule nur mit Nadja oder Abby verbachte.

Für Ines drehte sich die Welt nur um Schule. Die Schule und wahrscheinlich die Bibel, was allerdings nur reine Spekulation war. Jedenfalls war Ines besonders brav und hatte bestimmt noch nie etwas getan, das in ihr Adrenalin ausschüttete.

Sie stieg drei Stationen später aus und ich verabschiedete mich von ihr. Insgesamt zwanzig Minuten später war auch ich zuhause.

Zu meiner Überraschung war Mom ebenfalls zuhause. Sie kochte gerade Mittagessen. Ich kam in die Küche und ließ den Haustürschlüssel sinken.

"Was machst du denn hier?", fragte ich plump. Ich freute mich, sie zu sehen, aber es gab mir direkt das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

Sie zog eine Augenbraue nach oben. "Bea hat meine Termine übernommen. Ich hatte Kopfschmerzen. Jetzt ist alles wieder gut.", meinte sie, während sie in einem Topf rührte. Es roch nach Ramen, sofort wurde mir wärmer.

Als Mom einige Minuten später das Essen auf den Tisch stellte und ich mich umgezogen hatte, kam auch North die Treppen runter. Er sah müde aus und sprach erst ein Wort, als Mom ihm einen Teller Nudelsuppe hinschob.

"Danke."

North fing an zu essen und Mom und ich tauschten einen schnellen Blick.

"Alles okay, Schatz?", wollte Mom wissen. North blickte auf. "Ja... ich habe nur mit Mom telefoniert. Ihr geht es nicht sonderlich gut.", erwiderte er.

Ich lauschte seinen Worten und aß währenddessen weiter ohne ihn zu mustern. Wie schlecht ging es Janice? Im Sommer hatte sie recht dynamisch und fit gewirkt.

Moms Tonfall wirkte besorgt.

"Wieder die Hüfte? Oder ist es..."

North schien ihr einen Blick zuzuwerfen, der sie zum Verstummen brachte. Ich guckte auf, bekam aber keine Antwort auf mein fragendes Gesicht.

Was wurde mir hier verschwiegen?

Liquor On Your Lips | Sugardaddy 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt