Kapitel 3

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Meine Augen wurden immer schwerer. Tobias und ich saßen noch immer im Wartezimmer der Notaufnahme. Es war beinahe halb eins in der Nacht und der Champagner machte mich müde. Ein gelungener Abschied für einen achtzehnten Geburtstag war das ja nicht gerade gewesen.

Lexie war im Behandlungszimmer Nummer 4 und Henry noch immer im Zimmer links davon. Dummerweise hatte er nämlich Lexie aus dem Glastisch heben wollen und sich dabei massiv in die Hand geschnitten. So heftig, dass ihm die Wunde genäht werden musste. Immerhin durfte er mit Lexie im Krankenwagen mitfahren, den wir für sie gerufen hatten, bevor Henry ihr aufhelfen wollte.

Lexie hatte stark geblutet, vorallem an den Händen und den Unterarmen. Das Bild würde ich so lange nicht mehr aus dem Kopf bekommen.

Ich schrieb gerade mit Nadja, die zuhause bei Henry geblieben war und die Gäste, inklusive Abby und Mark, nach Hause geschickt hatte. Sie kümmerte sich gerade um den kaputten Tisch und den roten Teppich, obwohl ich ihr deutlich geschrieben hatte, sie solle lieber die Finger von den vielen großen Scherben lassen.

Die Tür von Lexies Behandlungszimmer öffnete sich und der Arzt trat heraus um Tobias mitzuteilen, dass sie die Wunden bereits versorgt hatten. Lexie war noch recht stark alkoholisiert und mir war bereits klar, dass das nicht nur vom Champagner kommen konnte.

Tobias nickte und lugte am Arzt vorbei zu seiner Freundin Lexie, die jetzt herauskam. Ihre Unterarme waren verbunden und man sah ihr an, wie sie sich schämte. Tobias nahm sie ganz vorsichtig in seine Arme und achtete darauf, ihre Arme nicht zu berühren um sie nicht zu verletzen.

Die beiden setzten sich neben sich. "Fahrt nach Hause ihr zwei. Ich warte noch auf Henry.", sagte ich leise. Die Notaufnahme war an diesem Sonntagabend fast leer. Zum Glück.

"Sicher, dass wir nicht warten sollen?", fragte Tobias. Ich schüttelte den Kopf. "Bring sie ins Bett.", sagte ich leicht lächelnd. Tobias verzog den Mund und verabschiedete sich von mir. Lexie entschuldigte sich murmelnd und ging dann ebenfalls.

Dann war ich alleine.

Ich wartete und wartete, bis Henry endlich aus dem Zimmer kam. Dumm grinsend hob er seine linke Handfläche, die dick verbunden war.

"Acht Stiche und Klammern.", meinte er bloß als Begrüßung. Ich fragte mich warum er so am Grinsen war. Ich verzog besorgt den Mund und küsste kurz seine heile Handfläche.

"Lass uns gehen. Vor dem Krankenhaus gab es noch Taxis.", meinte ich schließlich und versuchte seine verbundene Hand zu ignorieren.

Im Taxi schwiegen wir uns an. In seinem Hausflur schwiegen wir uns auch an. Nadja war bereits gegangen, der Teppich war komplett verschwunden, vom Glastisch waren nur vier Metallpfosten übrig. Die Scherben waren alle weg.

Ich seufzte und löschte das Licht, dann folgte ich Henry hoch ins Schlafzimmer. Er zog sich das Hemd aus, wobei ich ihm nur wenig helfen musste (er war zum Glück kein Linkshänder) und vermied es jetzt noch duschen zu gehen um seine Verbände nicht zu fluten. Ich machte mich im Bad frisch und kam dann zu ihm ins Bett. Müde und fertig kuschelte ich mich an seine rechte Seite, und er nahm mich in den Arm.

"So hatte ich mir das nicht vorgestellt.", murmelte ich etwas traurig.

"Das Leben hat eben seine eigene Vorstellungen.", meinte Henry ganz leise zu mir. Dann küsste er meinen Scheitel.

"Ist doch auch ganz schön so.", fügte er hinzu und sah mich an. Ich schmiegte mich an ihn und schloss die Augen. Irgendwann schlief ich ein. Meine Träume waren scharchlachrot. Grelles Blut, lautes Schreien, blinkende Lichter und Notaufnahmen. Trotz Henrys Nähe war mein Schlaf unruhig.

Und als ich morgens wach wurde, war Henry bereits weg.

-•-

Meine Hand zitterte, als ich einer Kundin den Pony schnitt. Nicht, weil ich nervös war, ihre Frisur zu ruinieren, sondern weil ich mich bei meiner meditativen Aufgabe ihr Stufen zu schneiden, so sehr in Gedanken verloren hatte, dass ich sauer auf Henry wurde. Wieso war er heute morgen gegangen ohne mich zu wecken und mir Guten Morgen zu sagen? Nicht mal einen Kuss hatte er mir gegeben.

Wie sollte das weitergehen? Hatte er doch Zweifel dabei bekommen, mich trotz Norths Verbot zu treffen?

Ich beendete den Haarschnitt, kassierte die Kundin ab und verschwand im hinteren Kaffeezimmer. Dort setzte ich mich und legte die Stirn an meine Hand. Beatrice kam nach zwei Minuten zu mir, in ihrem Gesicht stand Sorge um mich.

"Kopfschmerzen von gestern?" Sie setzte sich zu mir und sah mich prüfend, mütterlich an. Ich schüttelte den Kopf. "Es ist kompliziert.", murmelte ich ehrlich.

Beatrice lächelte leicht. "Das kenne ich. Aber sieh mal." Meine Fast-Tante zog eine kleine Schachtel aus ihrem lederbraunen Kittel. Es war eine Schmuckdose, nicht größer als meine Handfläche. Meine Augen wurden größer.

"Etwas verspätet. Aber wir haben uns gestern nicht gesehen, mein Mädchen.", sagte sie in einem ruhigen, freundlichen Tonfall. Ich begann zu lächeln.

"Danke Bea." Ich gab ihr eine kurze Umarmung. "Mach schon auf."

Ich ging ihrer Aufforderung nach und öffnete die Geschenkbox. Zum Vorschein kam ein zierliches, schwarz-goldenes Perlenarmband. Es war wunderschön und traf genau meinen Geschmack.

"Wow...danke." Ich wurde rot. "Ich liebe es." Bea half mir vorsichtig, das Armband an meinem linken Handgelenk zu befestigen. Ich bewunderte es in einem Sonnenstrahl, der durch das Fenster fiel.

Nochmals drückte ich sie, bevor ich nach vorne ging und meinen Arbeitstag nach zwei weiteren Kunden erfolgreich beendete.

Liquor On Your Lips | Sugardaddy 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt