"Entschuldige unsere karge Behausung. Wir haben nie mehr bei Mann, als wir tragen können und waren nicht sonderlich auf Gäste vorbereitet.", erläuterte der Durast mit leicht beschämtem Blick, als er die schützende Zeltplane des Lagers beiseiteschob und somit den Blick auf ihre Unterkunft freigab.
Im Zeltlager herrschte ein fast schon willkommen heißendes Chaos. Winzige, in Leder eingeschlagene Notizbücher stapelten sich in diversen Ecken. Werkzeuge, Besteck, Kleidung und Glasfläschchen vermischten sich auf wirre Art und Weise auf den buntesten Haufen. Manche der Behältnisse waren mit eingelegten Speisen gefüllt, andere mit Setzlingen und Naturmaterialien. Auf dem Boden waren einige, schlammbraune Jutedecken ausgebreitet. Ausgeblichene Flecken deuteten darauf hin, dass der Stoff schon sehr durchgetreten und alt war. Das Zelt erzählte viele, verschiedene Geschichten. Von interessanten Abenteuern, geselligen Abenden, raschem Aufbruch und weiten Reisen. Die Seele eines jeden Kontinents haftete den verstreuten Plundern und Schätzen im Zelt an. Diese Grisha waren bereits viel um die Welt gekommen.
Es herrschte eine so starke Hitze, dass Cecilia beim Eintritt fürchtete, ihr würde das Fleisch von den Knochen schmelzen. Das einzige, was sich nicht erwärmen wollte, war ihr träges Herz und ihre stechenden Lungen, welche den Winter eingefangen zu haben schienen. Ihre tauben Finger- und Zehenspitzen begannen wie von Ameisen befallen zu kribbeln, während der Durast sie auf einer notdürftig aufgebauten Liege aus Fellen und Ästen bettete. Schweißtropfen flossen schon nach wenigen Sekunden in Strömen über ihren Rücken. Sie mischten sich mit dem geschmolzenen Schnee, welcher durch den Mantelstoff zu ihr hindurchgesickert war. Gemeinsam bildeten die Flüssigkeiten einen klebrigen Film auf ihrer Haut. Wäre es möglich gewesen, hätte sie sich augenblicklich aus ihrem eigenen Körper geschält, um dieses unangenehme Empfinden loszuwerden.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, wischte der Durast ihr mit dem Ärmel seiner Kefta eine Schweißperle von der Schläfe und half ihr, sich aus ihrem klammen Mantel zu schälen. Mit jeder noch so kleinen Bewegung wurden ihre Gliedmaßen träger und träger. Doch zumindest ließen sie sich wieder einigermaßen bewegen. Die Augen des Durasten fingen ihren Blick auf, welcher still staunend auf den gespannten Zeltlaken über ihr lauerte. Das perlmausgraue Material sah beim ersten Hinschauen recht einfältig aus. Jedoch erkannte Cecilia bei genauerer Betrachtung, dass es leicht metallisch schimmerte, wann immer das Licht der Feuerstelle im Zentrum des Zeltes darüber hinweg tanzte.
"Der Stoff, aus dem dieses Zelt gemacht ist, wurde vom besten Durast des royalen Hofes in Os Alta entworfen. Er hält die Wärme effektiv drinnen und vertreibt die Kälte, die sich versucht von Außen hineinzuschleichen. Selbst, wenn das Feuer erlischt, bleibt es hier drin noch bis zum nächsten Morgengrauen mollig warm.".
In den Augen des Durast blitzte ein kurzer Anflug von Stolz auf. Innerhalb weniger Sekunden jedoch, wich dieser Ausdruck einer leichten Schamesröte. Seine Grishafraktion wurde oft als schwach beäugt, doch ihre Erfindungen und Legierungen waren allgegenwärtig. Daher war er es womöglich nicht gewohnt, sonderlich viel Aufmerksamkeit für die Schöpfungen seinesgleichen zu erhalten. In Zeiten des Krieges schafften es eben nur die größten und lautesten Gesten in die Geschichtsbücher.
Mit einem feuchten Klatschen schlug ihr Mantel auf der Erde auf, als der Durast ihn fallen ließ. Das Geräusch durchbrach ihre Gedanken und holte sie zurück in die Gegenwart. Oder vielleicht waren es auch bereits halbe Träume gewesen. Wirklich sicher wusste Cecilia das selbst noch nicht ganz. Schließlich hatte sie eine Menge Blut verloren.
Eindringlich betrachtete der Durast ihre linke Hand, um das volle Ausmaß ihrer Verstümmelung auszumachen. Doch die tiefen Furchen zwischen seinen Augenbrauen glätteten sich nach eindringlicher Prüfung. Adrenalin pumpte noch immer durch ihre Adern und lies den gekürzten Finger dumpf in gleichmäßigem Rhythmus pochen. Der ihn befallende Juckreiz nagte an ihrer Selbstbeherrschung.
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If We Were Soldiers
FanfictionAls man die Soldatin Cecilia Vedkovia an der Grenze zu Ravka findet, hat sie jegliche Erinnerungen an die vergangenen sieben Jahre verloren. Daher überrascht es sie auch, als sie bei ihrer Rückkehr in Os Alta erfährt, dass der Krieg beendet und die...