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Am nächsten Morgen wartete Hannah geduldig auf Paddy. Sie selbst hatte unruhig geschlafen und fand zuvor schlecht in den Schlaf. In ihrem Kopf schwirrten noch immer die letzten Tage umher. Sie konnte es immer noch nicht richtig glauben, dass sie und Paddy wieder zusammen waren und stellte sich sogar die Frage, warum er sich für sie entschied und Maike ziehen ließ. Hannah deckte den Tisch, als ihr auffiel, dass ihr Kühlschrank, bis auf die Reste von Tanja, komplett leer war. Noch nicht einmal ein Glas Marmelade gab er her, so dass Hannah sich seufzend ihre Jacke überzog und zum nahe gelegenen Supermarkt lief, um Aufschnitt, Marmelade, Eier, Milch und Tee zu besorgen. Als sie in ihre Straße einbog, sah sie bereits Paddy, der mit vollen Tüten vor ihrer Haustür stand und immer wieder verzweifelt auf die Türklingel drückte. „Erwartest du jemanden?", fragte Hannah. Paddy sah erleichtert auf. „Ich dachte schon, du schläfst so tief und fest, dass ich überhaupt nicht reinkomme. Du hattest wohl dieselbe Idee wie ich." Paddy hielt neben einer Brötchentüte einen weiteren Beutel mit sämtlichen Leckereien hoch, was Hannah zum Lächeln brachte. „Können wir jetzt rein gehen? So langsam wird es hier nämlich echt kalt." „Oho, ist der Herr Kelly etwa kälteempfindlich?" „Ich? Wo denkst du hin? Ich habe bei -20° Celsius in einem Bus ohne Heizung geschlafen. Ich bin abgehärtet." „Ja, ja. Ich verstehe schon.", sagte Hannah höhnisch, reichte Paddy ihre Einkaufstüten und schloss die Tür auf. In der Wohnung angekommen bereiteten sie gemeinsam das Frühstück vor. Während Paddy Tee kochte, deckte Hannah weiter den Tisch und drapierte Wurst und Käse liebevoll auf kleine Teller. „Und was ist für heute geplant?", fragte Paddy und biss in ein Brötchen, „Heute ist dein letzter Urlaubstag. Den sollten wir nochmal nutzen und etwas Schönes unternehmen. So als krönender Abschluss." Hannahs Magen verkrampfte sich. „Musstest du erwähnen, dass heute mein letzter freier Tag ist?" Es graulte Hannah vor Morgen und vor allem vor ihrem Chef, dem sie gegenüber treten und Rede und Antwort stehen musste. Paddy griff mitfühlend nach Hannahs Hand, auch wenn er die Situation wesentlich gelassener sah als Hannah. „Das wird schon. Was soll denn schon passieren? Soll dein Chef dir etwa den Kopf abreißen?" „Wer weiß. Glücklich wird er auf jeden Fall nicht sein." Hannah stellte sich vor, wie Herr Schubert sie anschrie und sie herunter putzte, ja sogar damit drohte ihr zu kündigen. Wenn sie an seiner Stelle stünde, hätte sie sich selbst hochkant hinaus geworfen. Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie die Gedanken loswerden. Die Sonne schien und der Himmel war, anders als gestern in Köln, strahlend blau. Nicht eine einzige Wolke war am Himmel zu sehen und auch der Schnee war noch weiß und pulverig, als wenn es gerade Neuschnee gegeben hätte. „Was hältst du davon, wenn wir ein bisschen raus in die Natur fahren und das schöne Wetter genießen?", fragte Hannah und fügte noch hinzu: „Oder ist dir das zu kalt draußen?" Paddy verzog verspielt das Gesicht und legte seinen Kopf zur Seite. „Sehr witzig. Nein, ich habe natürlich nichts dagegen. Und wenn mir doch kalt sein sollte, dann musst du mich eben wärmen." Nun war es Hannah, die ihn schräg ansah. Sie lehnte sich zu Paddy über den Tisch und küsste ihn. Langsam wich sie von seinem Gesicht zurück, um Paddy tief in die Augen zu schauen. „Reicht das zum warm werden?" Hannah grinste breit, als Paddy sich auf die Lippe biss und zögernd den Kopf schüttelte. Wieder küsste sie ihn, diesmal ein wenig länger. „Und jetzt?" „Nope.", erwiderte Paddy. „Dann musst du dir eben warme Gedanken machen." „Du..." Paddy zog Hannah zu sich heran, was Hannah wie ein kleines Kind aufquieken ließ, und küsste sie leidenschaftlich. Noch bevor Hannah den Vorschlag machen konnte, es sich doch zu Hause gemütlich zu machen, löste sich Paddy von ihr und klatschte in die Hände. „Also dann mal los. Ich mache uns noch ein wenig Tee für unterwegs. Vielleicht bekommst du auch etwas davon ab." Paddy grinste breit und kümmerte sich um den Tee, während Hannah seufzend den Tisch abräumte.

In Windeseile waren zwei Rucksäcke gepackt und Hannah saß mit Paddy im Auto Richtung Tegernsee. Hannah staunte nicht schlecht. Sie war noch nie dort gewesen und bewunderte das klare Wasser des Sees sowie die Berge, die sich um ihn herum erstreckten. Paddy ging voraus. Der Weg ging zunächst direkt am See entlang. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen. Hin und wieder kamen ihnen andere Wanderer entgegen, die sie mit einem freundlichen „Servus" begrüßten. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich im See wider und der Schnee glitzerte am Wegesrand. Schöner hätte es sich Hannah nicht vorstellen können. Sie griff nach Paddys Hand und bewunderte weiterhin die Landschaft. „Warst du hier schon mal?", fragte Hannah interessiert. Dabei konnte sie ihren Blick nicht von den Bergen lösen. Paddy nickte. „Findest du nicht, dass die Berge und der See etwas beruhigendes an sich haben?" Wieder ließ Hannah ihren Blick schweifen und nickte. "Komm, ich zeig dir etwas." Paddy führte Hannah auf einen holprigen Pfad, der in den Wald führte. Der Weg führte von den eigentlichen Wanderweg ab, nur ein paar alte Fußspuren waren zu sehen, die bereits von neuen Schneeflocken langsam ausgelöscht wurden. „Bist du dir sicher, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind?", fragte Hannah verunsichert, als dieser so schmal wurde, dass sie hintereinander laufen mussten. „Vertrau mir. Wir sind gleich da." Schweigend ging Hannah Paddy hinterher und konzentrierte sich auf ihre Füße, da der kleine Pfad immer rutschiger und steiler wurde. Sie bemerkte, wie der Aufstieg immer anstrengender wurde und ihr die Luft langsam ausging. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde der Weg langsam wieder eben. „Und habe ich zu viel versprochen?" Paddy trat einen Schritt zur Seite, so dass Hannah auf eine Lichtung blicken konnte. Links und rechts standen Bäume, die den See wie einen Bilderrahmen umschlossen, die Sonne malte glitzernde Tupfen auf den strahlend blauen See. Paddy wischte mit seinem Ärmel Schnee von einer Bank und holte aus seinem Rucksack eine Decke und den Tee, den er zubereitet hatte. Hannah setze sich zu Paddy, der ihr eine Tasse entgegen hielt. Eine Weile saßen sie, von der Natur abgelenkt und dicht aneinander gekuschelt, auf der Bank und ließen den Ort auf sich wirken. Dabei legte Hannah ihren Kopf auf Paddys Schulter ab und seufzte zufrieden. „Es ist wirklich traumhaft hier.", sagte sie und nippte an ihrem Tee. „Auch, wenn ich so langsam meine Füße vor Kälte nicht mehr spüre." „Na, wer ist hier jetzt so kälteempfindlich?", neckte Paddy sie, rückte jedoch näher an Hannah heran und drückte sie an sich." Schließlich wurde Paddy ernst. „Wollen wir zurück? Nicht, dass du dich erkältest." Doch Hannah schüttelte den Kopf. „Am liebsten würde ich die nächsten Tage hier verbringen, nur um morgen nicht ins Büro zu müssen." Paddy nickte mitfühlend. Er fühlte sich für Hannahs Situation mitverantwortlich. „Es tut mir leid, dass du wegen mir so einen Stress mit deinem Chef hast. Vielleicht hättest du doch mit Leon nach Äthiopien fliegen sollen." Hannah sah Paddy entsetzt an. „Auf keinen Fall! Das wäre nie im Leben gut gegangen." Sie drehte sich zu Paddy und sah ihn tief in die Augen und strich ihm lächelnd über die Wange. „Manchmal muss man eben Opfer bringen und Prioritäten im Leben setzen und das hier", Hannah deutete auf sich und Paddy, „War und ist einfach wichtiger." Paddy lächelte Hannah verliebt an, nahm ihre Hände in seine und küsste sie.

Als es langsam dämmerte, machten sie sich auf den Rückweg. Erschöpft und durchgefroren, aber glücklich traten sie den Rückweg an. „Wir sollten öfter in die Berge fahren.", sagte Hannah und genoss die Aussicht, während Paddy nach Hause fuhr. „Klar, wie du willst.", erwiderte Paddy und grinste breit. Er war froh, dass es Hannah so gut gefiel, da er seit seiner Zeit, in der er in München wohnte, die Gegend sehr ins Herz geschlossen hatte. Bei Hannah angekommen machten sie sich die Reste von Tanja warm und aßen diese gemütlich auf dem Sofa. Je näher der nächste Tag kam, desto unbehaglicher wurde Hannah zu mute. Sie hörte Paddy nur noch halbherzig zu und war im Gedanken bereits schon auf ihrer Arbeit. Paddy spürte, wie Hannah immer ruhiger wurde. „Ich sollte so langsam gehen", sagte er und schaute auf die Uhr. „Du willst dich bestimmt noch auf morgen vorbereiten und früh ins Bett." Hannah streckte sich. „Ich kann mich nicht wirklich drauf vorbereiten und schlafen werde ich wahrscheinlich eh nicht können.", sie gähnte, „Aber es ist wirklich schon recht spät." Hannah brachte Paddy zur Tür. „Du meldest dich, sobald du mit deinem Chef gesprochen hast, ok?" Hannah nickte. Paddy nahm Hannah in die Arme und gab ihr zum Abschied einen Kuss auf die Stirn. „Bis morgen, Marmot." „Mhh, bis dann.", erwiderte Hannah. Paddy ging langsam zum Treppenaufgang und drehte sich nochmal zu Hannah, die müde und nervös an ihrer Haustür stand. Sie sah alles andere als zuversichtlich aus. Viel eher wirkte sie wie ein scheues Reh, dass auf einem Feld verzweifelt nach einem Unterschlupf suchte. Kurzerhand änderte Paddy seine Meinung und scherte sich nicht um seine selbst auferlegten Regeln. „Weißt du, manchmal muss man Prioritäten setzen und das hier ist gerade wichtiger." Erstaunt sah Hannah Paddy an, als er geradewegs an ihr vorbei zurück in die Wohnung ging. „Kommst du?", fragte Paddy schließlich. Erleichtert nickte Hannah schloss lächelnd die Haustür.

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