Kapitel 21

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Am nächsten Tag nach dem Mittagessen mache ich mich emotional dazu bereit, wieder irgendwo gefesselt und zurückgelassen zu werden – oder alternativ eine Rüge von Onyek zu kassieren. Aber meine Befürchtung stellt sich als unbegründet heraus. Diesmal lauert mir Onyek nirgendwo auf, stattdessen treffe ich auf Kamari und Nyah. Sie tragen zwei leere Körbchen mit sich und in ihrem durch den Korridor schallenden Gespräch schwingt das Wort ›Wald‹ mit. Prompt vergesse ich meinen Ärger Nyah gegenüber und laufe den beiden nach.

»Ihr wollt in den Wald?«

Kamari dreht sich im Gehen zu mir um und verharrt dann schlagartig. Ihre großen hellen Augen kleben auf mir, als wäre ich eine gefährliche, aber faszinierende Raubkatze. Irre ich mich oder wird sie rot?

»Ayi«, sagt Nyah und drängt sich zwischen uns. »Wir wollen dort dumme Jungs an moshu verfüttern.«

Herausfordernd blitzt sie mich an. Ich halte ihrem Blick stand. »Moshu?«

»Keine Zeit für Erklärungen.« Sie macht auf der Stelle kehrt und fasst Kamaris Arm, um sie mit sich zu ziehen. Das etwas größere Mädchen stolpert dabei über ihre eigenen Füße und lässt ihren Korb fallen. Bevor eine von beiden reagieren kann, hebe ich den Korb auf. Aber anstatt ihn in Nyahs fordernd ausgestreckte Hand zu geben, lasse ich ihn verspielt schwingen und grinse sie an.

»Gib her.«

»Nur, wenn ich mitkommen darf.«

Sie zieht eine finstere Miene. »Da bringe ich dir ewig Beleidigungen bei, du bedankst dich nie dafür und jetzt erpresst du mich?«

Ich brauche einen Moment, um ihre Worte in meinem Kopf zu entknoten, aber dann schnaube ich. »Das verdient meinen Dank nicht« – blöde Kuh.

»Ach, hältst dich wohl für was besseres?«, faucht sie.

Besser als ein wertloses Stück Zehnfüßler-Scheiße?

»Ayi«, antworte ich im selben Tonfall wie sie. Weiter komme ich nicht, da drückt sie ihrer Freundin ihr eigenes Körbchen in die Hände und stürzt sich auf mich. Ich schaffe es nicht rechtzeitig auszuweichen und spüre wie sie ihre Arme um meinen Leib schlingt und mich mit ihrem gesamten Körpergewicht umreißt. Der Korb fliegt mir aus der Hand und ich kann von Glück sprechen, dass mein Hinterkopf nicht auf den steinernen Boden knallt. Ich spüre Nyahs Gewicht auf mir; sie stützt sich auf meiner Brust ab. Geistesgegenwärtig greife ich nach ihren Händen und drehe mich herum, um sie unter mir einzuklemmen. Ihr spitzes Knie landet dabei in meinem Unterleib und den schmerzhaften Moment ausnutzend, rollt sie uns eine Runde weiter, bis sie wieder oben ist. In erstaunlicher Schnelligkeit fixiert sie mit beiden Beinen meine Hände neben meinem Körper und greift grob in mein wirres Haar. Die freie Hand stützt sie auf meine Brust.

Keuchend schnappe ich nach Luft und blinzle mit unverhohlenem Respekt und Ärger zu dem Mädchen hoch, das problemlos über mich gesiegt hat. Ich bin mir sicher, dass kein normales Menschenmädchen so etwas gekonnt hätte.

»Immer noch?«, fragt sie leise und mit einer gehörigen Portion Überheblichkeit in der Stimme. Ich antworte ihr nicht. Eine ganze Schar Zuschauer hat sich um uns gebildet, darunter auch Akin, der lauthals lästert. Selbst die Erwachsenen sehen von meiner Niederlage amüsiert aus, alle bis auf Fara. Die faltige Frau mit den grau-schwarzen Haaren klatscht laut in die Hände und verkündet, dass es hier nichts zu sehen gäbe. Die Zuschauer verstreuen sich hörig in alle Richtungen.

»Jetzt lass den Jungen endlich los, Nyah«, sagt Fara sanft. Sie hinterfragt die Situation nicht einmal.

Das Mädchen mit den frechen Gesichtszügen wirft ihr nur einen flüchtigen Blick zu, bevor sie sich wieder auf mich konzentriert. Habe ich gedacht vorher nur Wut in ihren Augen erkennen zu können, so fällt mir jetzt der versteckte Schalk auf. Das hier – ihre Überlegenheit über mich – scheint ihr Freude zu bereiten.

Eldur - Das schwarze Feuer (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt