Kapitel 3

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»Was soll das sein?«, frage ich sofort. »Nereiden?«

»Das sind Nixen, richtig?«, sagt Greggi besserwisserisch. »Sie sind genauso seelenlos und böse wie die Nachtwesen.«

»Ja«, bestätigt Nani und zögert. »Vielleicht erzähle ich sie besser nicht, die Geschichte ist sehr gruselig. Ich will nicht, dass ihr Angst bekommt.«

»Ich bekomme keine Angst«, protestiere ich sofort. »Außerdem kannst du doch nicht sagen, dass du eine neue Geschichte kennst und sie uns dann verschweigen.«

Nani seufzt und ich höre ihre Decke leise rascheln. »Sie hat kein schönes Ende.«

»Das ist mir egal.«

Als sie schweigt, richte ich mich auf und schaue sie vorwurfsvoll an, obwohl sie mich im Dunkeln nicht sieht. Ich fasse nach ihrem Arm und rüttle leicht daran. »Bitte! Ich werde die Nacht nicht schlafen können, wenn ich mich die ganze Zeit fragen muss, was denn nun Nereiden sind.«

Sie dreht ihren Kopf zwar in meine Richtung, aber ihre himmelblauen Augen sehen blind durch mich hindurch. »Wenn du es denn unbedingt hören willst ...«

Erleichtert, dass sie meiner Bitte nachgibt, sinke ich auf mein Nachtlager zurück und schaue erwartungsvoll an die hölzerne Decke empor.

»Es ist eine Geschichte aus dem Königreich hinter dem Gebirge«, beginnt Nani leise. »Es heißt, dass es weit im Osten an ein Meer grenzt, in dem sagenumwobene Wesen leben. Nereiden werden sie genannt, aber manche glauben, sie entspringen nur den Ängsten der Matrosen.«

»Du meinst bestimmt das avagische Meer«, wirft Greggi ein.

»Ich weiß nicht, ich kenne den Namen nicht. Jedenfalls soll es vor einiger Zeit ein junges Pärchen gegeben haben, die auf der Suche nach diesen Wesen waren, um sie zu bestehlen. Die Nereiden sammeln den Geschichten nach nämlich wundersame Perlen, in denen die Seelenmelodien der ertrunkenen Matrosen eingeschlossen sind. Diesen lauschen sie, wann immer es ihnen gefällt oder sammeln neue Seelenperlen, wenn sie ihnen zu langweilig werden. Die Bucht, in der sie leben sollen, wird daher auch die Bucht der klagenden Seelen genannt.«

Bei dem Namen läuft es mir kalt den Rücken hinab.

»Das junge Paar bereitete sich gut auf ihr Vorhaben vor und bestieg schließlich ein Schiff, das sie nah an diese Bucht heranbringen sollte. Niemand glaubte, dass sie jemals zurückkommen würden.«

»Sind das diese Perlen denn wirklich wert?«, unterbricht Greggi sie erneut.

»Vielleicht? Wenn es stimmt, was erzählt wird, enthalten sie immerhin die Seelen von Menschen.«

»Also hat jede Seele auch eine Melodie?«, hake ich nach.

»Natürlich«, antwortet Greggi an Nanis Stelle. »Das ist etwas, das uns von Nachtwesen unterscheidet. Und von Nereiden.«

»Oh, uns unterscheidet noch viel mehr von Nereiden«, sagt Nani und fährt fort zu erzählen. »Das Schiff verließ nun also den Hafen und segelte zur Bucht der klagenden Seelen. Auf dem Weg gerieten sie in einen Sturm, konnten ihn jedoch unbeschadet überstehen und eine Felsformation in Form einer Schnecke wies ihnen den Weg. Als sie schließlich ihr Ziel erreichten, deutete nichts auf bösartige Wesen hin. Die Felsküste und das Land wirkte unberührt und das endlose Meer glitzerte friedlich in türkisen Farben.«

Ich kann mir kaum ausmalen, wie es aussehen könnte, denn schon die Vorstellung, dass es Wassermassen gibt, die bis über den Horizont hinaus reichen, halte ich für unbegreiflich.

»Ein jeder von ihnen hatte seine Ohren mit Wachs verstopft, denn die Gerüchte erzählten vom zauberhaften Gesang der Nereiden, die eine unvorsichtige Besatzung ins tödliche Wasser locken würde. Glaubt nicht, dass allein ihre Stimmen so verlockend wären, nein. Sie singen die Seelenmelodien der Menschen, die geleitet von den vertrauten, irreführenden Klängen freiwillig in die Fluten springen. Nereiden sollen jedoch wählerisch sein und sich nur die schönsten Melodien herauspicken. Wenn der Mensch erstmal in den Fängen ihrer Tentakel ist, gibt es kein Zurück mehr. Die Nereide zieht ihn dem Meeresgrund entgegen und sperrt seine Seele in eine Perle, um ihrem Klang bis in alle Ewigkeit –«

Eldur - Das schwarze Feuer (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt