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~Alices Sicht

Benommen blicke ich nach oben, direkt in ein paar braunes Augen. Der Körper der Frau strahlt eine wohlige Wärme aus, sofort fühle ich mich ein bisschen besser. Noch immer fühle ich mich ekelhaft, benutzt und dreckig.

„Hey, schau mich an, was ist passiert?" besorgt legen sich die Hände der braunhaarigen, mir noch immer unbekannten Frau an meine Hüfte, ich zucke zusammen und versuche mich aus ihrer Berührung zu lösen.

„Hey, ich bringe dich jetzt an die frische Luft, dir passiert in meiner Nähe nichts" Die Hand der Frau legt sich sanft an meinen Rücken und führt mich durch das Haus in den Garten. Die angenehm kühle Luft erfüllt meine Lungen und lässt mich etwas entspannen. Vorsichtig legen sich zwei Arme um mich und ich werde in eine warme, schützende Umarmung gezogen.

„Du bist hier sicher" Ich schließe für einen Moment die Augen und nehme den Duft der unbekannten in mir auf. Obwohl ich diese Person bis heute noch nie gesehen habe, fühlt sich diese Umarmung so vertraut an. Nach und nach lasse ich mich mehr in ihre Arme fallen, vergesse alles um mich herum. Einige Minuten stehen wir eng umschlungen zusammen, bis sich die Frau langsam von mir löst. Sofort spüre ich wieder diese unerträgliche Kälte in mir aufsteigen und meine Augen füllen sich mit Tränen.

„Bist du allein hier?" Ich schüttle leicht den Kopf.

„Nein... Meine beste Freundin ist mit mir hier", die braunhaarige hakt sich bei mir ein.

„Dann gehen wir sie jetzt suchen, ich bin Sahra"

„Alice", stammle ich vor mich hin. Sie zieht mich wieder zurück ins Haus und steuert direkt auf den Partyraum zu. Die Luft ist mittlerweile nahezu in Alkohol und Schweiß getränkt und schnürt mir die Kehle zu.

Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und erstarre, als ich Klara entdecke. Kichernd sitzt sie auf dem Schoss von Max und steckt ihm gerade ihre Zunge in den Hals. Als sie mich ebenfalls wahrnimmt, zwinkert sie mir zu und deutet in Max' Schritt.

„Sie hat ihn... auf mich angesetzt" Schlagartig wird mir schlecht und ich stürme zurück nach draußen. Klara ist die einzige Person, die weiß, was mir in meiner Kindheit widerfahren ist. Sie weiß, welche Angst ich vor Bindungen habe, speziell vor Bindungen mit Männern und trotzdem hintergeht sie mich. Für einen Moment verlassen mich sämtliche Emotionen und ich starre lediglich vor mich hin. Sahra setzt sich neben mich auf die Gartenlounge, welche dort steht und legt vorsichtig eine Hand an meine Schulter. Bei dieser Berührung werde ich wieder in die Gegenwart gezogen und schaue ihr in die Augen.

„Hat er... Dir das angetan?" Sie deutet auf mein zerrissenes Kleid. Unter Tränen nicke ich und schlinge meine Arme um meinen Körper. Sahra zieht ihr dünnes Jäckchen aus und legt es um mich. Ihr angenehmer Duft, der daran haftet, steigt mir in die Nase und beruhigt mich etwas. Vorsichtig zieht sie mich hoch und läuft mit mir zu ihrem Auto.

„Ich nehme dich mit zu mir, dann musst du ihr heute nicht mehr begegnen" Sahra hält mir die Tür auf, bevor sie anschließend selbst einsteigt und losfährt. Das monotone Geräusch des Motors lässt mich immer müder werden, bis ich schließlich einschlafe.

Benommen blinzle ich vor mich hin, als ich eine warme, weiche Hand an meiner Wange spüre.

„Aufwachen, wir sind da" höre ich eine sanfte Stimme aus der Dunkelheit zu mir sprechen. Langsam steige ich aus und folge Sahra in ihre Wohnung. Sofort schlägt mir die wohlige Wärme und ihr unverwechselbarer Geruch entgegen. Sie führt mich durch die Wohnung in ihr Schlafzimmer und legt mir einen Stapel mit bequemen Sachen hin.

„Wenn du etwas brauchst oder nicht schlafen kannst, weckst du mich bitte. Ich bin im Wohnzimmer." Dankbar nicke ich und schlinge meine Arme um Sahra. Sanft drückt sie mich an sich und wir verharren einige Minuten so. In diesem Moment gibt sie mir all die Wärme und Zuflucht, die ich schon mein ganzes Leben verzweifelt gesucht habe.

Tag für Tag sehe ich meine Mutter weinend in der Küche sitzen. Papa ist vor einigen Minuten aus dem Haus gestürmt und hat uns, wie so oft, zurückgelassen. Vorsichtig betrete ich den Raum und streichle meiner Mutter beruhigend über den Rücken. Auch vor ihr macht er nicht halt... Sofort wischt sie sich die Tränen weg und bringt etwas Abstand zwischen uns. Immer wieder suche ich die Nähe zu ihr, möchte mich ihr anvertrauen, meine Ängste mit ihr teilen, doch jeder Versuch meinerseits wird sofort abgeblockt. Ich wünsche mir nichts anderes als eine einfache, ernst genommene Umarmung oder ein Einfaches

„Ich bin da". Enttäuscht gehe ich zurück in mein Zimmer und flüchte mich, wie so oft, in meine eigene Welt. Es gibt nur mich, keinen gewalttätigen Vater und keine Missbräuche. Ich stelle mir meine eigene Welt vor, in der ich eine normale Familie als Umfeld habe, in der ich Kind sein darf. Eine heile Welt...

Langsam löse ich mich von Sahra und lächle müde. Sie drückt ein letztes Mal meine Hand und verlässt danach das Schlafzimmer. Ich lege mich hin, drücke meine Nase in das Kopfkissen und ziehe den Duft ihrer Haare tief in meine Lungen. Bald finde ich in einen unruhigen Schlaf.

Wie jede Nacht suchen mich Träume heim, die mich meine Erlebnisse immer und immer wieder aufs Neue durchleben lassen. Ich bin in ihnen gefangen, ohne Aussicht auf Flucht. Ich spüre wieder diese Hände, die mich gewaltsam nach unten drücken, ich höre die eiskalten Worte erneut und der salzige Geschmack meiner Tränen liegt wieder auf meiner Zunge. Mit einem Mal werde ich aus dieser Hölle gerissen und blicke in zwei braune Augen. An meinen Wangen liegen die Hände von Sahra

„Alice, du hast geträumt..." Meine Atmung beruhigt sich etwas und ich weiche ihrem Blick aus. Sie streicht mir die Tränen von den Wangen und legt sich zu mir gedreht auf die andere Hälfte des Bettes.

𝘛𝘦𝘮𝘱𝘶𝘴 𝘧𝘶𝘨𝘪𝘵, 𝘢𝘮𝘰𝘳 𝘮𝘢𝘯𝘦𝘵 - 𝘋𝘪𝘦 𝘡𝘦𝘪𝘵 𝘷𝘦𝘳𝘨𝘦𝘩𝘵, 𝘥𝘪𝘦 𝘓𝘪𝘦𝘣𝘦 𝘣𝘭𝘦𝘪𝘣𝘵...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt