Im Labor

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Du wachst gefesselt auf einer Liege auf. Deine Hand und Fußgelenke sind festgebunden. So fest, dass du spürst, wie das Leder in deine Haut einschneidet. Dir schwant schlimmes. Du hast nun erfahren, dass Lorenzo dich hat entführen lassen. Du bist seine Geisel. Und er hat deinen Eltern diese Entführung bereits angedroht. Du erinnerst dich an einen Tag, an welchem du von der Schule nach Hause kamst.

Du standest in der Diele und hast die Briefe durchgesehen. Einer der Briefe war an dich adressiert gewesen. Die Bestätigung, dass du am College angenommen wurdest. Deine Mutter und dein Vater haben sich so darüber gefreut. Sie waren beide so stolz auf dich. Aber als du deinem Vater den Brief mit dem roten Siegel übergeben hast, da haben seine Augenbrauen sich besorgt zusammengezogen. Das Pergament war vergilbt. Rote Flecken waren darauf zu erkennen. Aber das war nicht das, was deine Eltern verstört hatte. Es war der Inhalt. Dein Vater las den Brief und du hast damals bemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte. Schließlich schickte dein Vater dich auf dein Zimmer. Ihr habt nie wieder darüber gesprochen. Einmal hast du nachgefragt bei deiner Mutter, aber die hat nur gesagt:

„Mach dir keine Sorgen, Liebling. Es wird nichts passieren, dafür sorgen wir mit all unseren Kräften."

Du hast dich danach gefragt, was deine Mutter wohl gemeint haben könnte. Es war nicht selten, dass deine Mutter über manche Dinge schwieg. Du hast dir aber auch damals nie ausgemalt, dass es so weit gehen könnte, wie es jetzt gekommen ist. Wer würde ein unschuldiges Mädchen entführen, um an ihr Experimente durchzuführen? An einem Ort wie diesen? Kein Mensch mit Verstand. 

Du zerrst an deinen Fesseln. Keine Chance. Du kommst nicht los. An der Wand neben dir hängen Plakate von menschlichen Körpern. Die Anatomie, jede Organe sind abgebildet, wo sie sitzen. Das macht die Sache noch unangenehmer. Und es ist auch das einzige, was du sehen kannst neben dem weißen Vorhang um dich herum. Du hörst laute Schritte. Der Vorhang wird beiseite geschoben und es erscheint ein Mann mittleren Alters mit schwarzen Haaren und einem tätowiertem Gesicht. Er hat einen weißen Kittel an und in der Hand hat er eine große Spritze. Du bekommst Panik und schreist um dein Leben. Abermals rüttelst du an deinen Fesseln. Dir ist es egal, dass sie in dein Fleisch schneiden. Du willst nur noch weg.

„Beruhige dich", sagt der tätowierte Mann. „Es gibt nur einen kleinen Piekser."

Er fixiert deinen linken Arm und rammt dir die Spritze in die Haut, ohne Vorwarnung. Ein Schmerz durchflutet deinen Körper. Es wird warm in deinen Venen. Du versuchst, dich zu entspannen, doch dein Atem beruhigt sich nicht. Jeder Muskel verkrampft, dein Brustkorb hebt und senkt sich hektisch. Der Schmerz lässt nicht nach. Du schaust weg, aber du fühlst, wie der Mann dir Blut entnimmt. Eine Menge Blut. Es ist so viel, dass deine Wahrnehmung wieder beginnt, zu verschwimmen. Dir wird döselig. Du kannst dich nicht wehren, als du von ihm losgebunden und in eine Zelle gebracht wirst. Du liegst nun auf einem kalten Steinboden. Deine Wunde ist verbunden. Dein Körper ist schwach. Schwer atmend liegst du einfach da. Dein knapp bekleideter Körper bedeckt nur deine intimsten Zonen, die meisten Stellen deines Körpers sind entblößt und berühren direkt den kalten Steinboden unter dir.

„Deine Schwester Mila war nicht so ein braves Mädchen, wie du", sagt der Mann mit dem weißen Kittel.

Du kannst nur schemenhaft erkennen, wie er dein Blut in ein Reagenzglas fühlt. Du konntest nicht glauben, was du da gerade hörst. Dieser Mann kannte deine kleine Schwester?

„Wer sind Sie?", keuchst du angestrengt. Der Mann mit dem tätowiertem Gesicht und der großen Spritze fängt an, bösartig zu grinsen.

„Ich bin Francesco, der Arzt, der deine Schwester damals behandelt hat."

Er kommt näher zu deiner Zelle.

„Erkennst du mich nicht mehr?"

Dadurch, dass du immer noch benommen bist, fällt es dir schwer, überhaupt die Augen aufzuhalten. Du kannst dich aber auch nicht erinnern, einen Mann mit Tattoos im Gesicht zu kennen. Es sei denn, sie wurden erst nachträglich hinzugefügt.

„Nachdem ich versagt habe, haben Lorenzo und Riccardo das hier mit meinem Gesicht gemacht. Es ist vollkommen verunstaltet und soll mich immer daran erinnern, für wen ich arbeite. Ein zweites Mal sollte ich nicht versagen. Mila war ein kleines Biest und ihr Tod ein Unfall. Wenn du ein braves Mädchen bist und jeden Tag deine Medikamente nach der Behandlung einnimmst, verspreche ich dir, dass du wenigstens eine Chance hast, nicht an den Behandlungen elendig zu verrecken."

Er schiebt dir einen kleinen Becher mit Kapseln durch die Gitterstäbe. Du bist zu schwach, um irgendetwas zutun. Du hörst alles und es trifft dich tief. Ebenfalls bist du geschockt darüber, was du gerade erfährst. Hier steht ein fremder Mann, der behauptet, Schuld am Tod deiner kleinen Schwester zu sein. Diese Bastarde hatten mehr mit deiner Familie zutun, als zu anfangs noch dachtest. Du sehnst dich nach deinem Zuhause. Du sehnst dich nach eurem Anwesen, nach deinen Eltern, den Tieren. An ein sorgenfreies Leben. An ein Leben mit einer aufregenden Zukunft, die eigentlich vor dir lag. Sie wollten dich brechen, aber das würden sie nicht schaffen. Du bist stark. Deine Mutter war auch stark. Das hat dein Vater immer gesagt. Du kommst nach deiner Mutter. Du wirst das hier überleben. Für deine Eltern, für Mila. 

Es vergehen einige Stunden, du hast sehr lange geschlafen. Geweckt wirst du durch ein lautes Geräusch. Du richtest dich langsam auf und blinzelst, um etwas erkennen zu können. Das Labor scheint leer zu sein. Dir ist kalt. Ein lautes Fauchen ist zu hören. Es klingt, wie ein riesiger Raubvogel. Dann gibt es ein Schreien. Dieser Schrei ist schmerzerfüllt. Dir ist sofort klar, dass da gerade jemand getötet wird. Wieder bekommst du es mit der Angst zu tuen. Du versuchst, wie das erste Mal, dich gegen die Gitterstäbe zu werfen. Doch sie haben dazugelernt. Du bist nicht mehr in einem losen Käfig, sie haben dich in eine richtige Zelle gesteckt. Eine Zelle mit Eisenstäben, dicker als dein Daumen. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: du kannst um Hilfe schreien, dann kann es aber sein, dass der Angreifer von draußen auf dich Aufmerksam wird. Ist er dir nicht wohlgesonnen, wirst du sein nächstes Opfer. Doch du musst hier irgendwie aus der Zelle raus. Und das ging nicht ohne einen Schlüssel. Völlig verzweifelt beginnst du damit, deinen Körper zwischen die Gitterstäbe zu zwängen. Ohne Erfolg. Du passt nicht hindurch. Die Labortür öffnet sich. Unter Schock fängst du an zu Zittern. Durch die Tür schleicht eine riesige Echse. Sie hat sehr lange Krallen und ein riesiges Maul. Aus dem Maul tropft frisches Blut. Beim gehen wippt sie mit dem Kopf, beinahe so wie ein Fasan oder eine Taube. Der Brustkorb ist genauso gewölbt wie bei einem Vogel. Die grünlichen Schuppen des Tieres leuchten unter der Lampe. Das Tier macht seltsame Geräusche, eine Mischung aus Gurren und Schnattern. Sorgfältig beschnuppert es alles, was es findet. Du entdeckst auch frisches Blut an seiner Kralle unten rechts. Du weichst zurück und lenkst so die Aufmerksamkeit des Tieres auf dich. Die Echse fixiert dich mit ihren gelben riesigen Augen, duckt sich und setzt schreiend zum Sprung an. Sie springt auf die Gitterstäbe zu und versucht, seinen riesigen Schädel durch die Stäbe zu zwingen, um an dich heranzukommen. Schreiend drückst du dich an die Wand. Aber die Echse gibt nicht auf. Sie beginnt, den gesamten Körper durchzuquetschen und verbiegt mit Leichtigkeit die Gitterstäbe. Du kriechst noch weiter in die Ecke, dein Gesicht mit dem Arm verdeckt. Die Echse schafft es. Sie knurrt dich an und versucht, an dich heranzukommen. Da fällt dein Blick auf den Behälter mit den Tabletten auf dem Boden vor dir. Mit dem Fuß schiebst du ihn in deine Richtung und schnappst ihn dir, so schnell es geht. Mit voller Wucht schmeißt du es genau auf das rechte Auge des Tieres. Es schreckt kreischend zurück. Jetzt geht alles ganz schnell. Du nutzt den Moment der Ablenkung und kriechst auf allen Vieren durch die Gitterstäbe an der Echse vorbei. Noch im Kriechgang richtest du dich schwankend auf und hastest aus dem Labor heraus. Völlig kopflos läufst du einen Flur entlang. Rechts abbiegen, dann wieder links, eine Treppe herunter und wieder rechts herum. Nur weg von hier. Du hörst, wie die Echse dir dicht auf den Fersen ist. Dann passiert es, du stolperst über den leblosen Körper des Arztes. Francesco liegt blutüberströmt auf dem Boden, sein Bauch ist aufgeschnitten und seine Gedärme herausgezogen. Du musst einen Schrei unterdrücken. Denn wenn die Echse dich hört, würde mit dir dasselbe geschehen. Plötzlich greift eine Hand um dein Gesicht. Du wirst in eine Ecke gezogen. Voller Panik versuchst du dich, zu wehren. Du wirst an etwas weiches warmes gedrückt. Jemand hält dir den Mund zu und gibt dir ein Zeichen, ruhig zu sein. Du drehst dich um und erkennst das Gesicht einer...Frau.

Du in "Haunting Ground" - Wirst du Überleben?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt