Zeit. Sie ist so unendlich kostbar. Man kann sie nicht kaufen, produzieren oder gewinnen. Man hat sie einfach von dem Zeitpunkt an, an dem man selbst entsteht. Und desto länger man lebt, desto weniger nutzt man seine kostbare Zeit. Man lebt vor sich hin, geht zur Arbeit oder zur Schule und lebt einfach sein Leben, doch wir warten zu oft und zu lange, bevor wir das tun, was wir wollen. Wir warten und warten und warten bis es irgendwann zu spät ist, denn irgendwann ist unsere Zeit vorbei. Ja, die Zeit ist unendlich, doch jedes Lebewesen und jeder Gegenstand währt nur eine kurze Weile auf dieser grauen, von Krankheiten verseuchten Welt.
Genau wie ich. Vor einigen Jahren haben meine Eltern und ich erfahren, dass ich Krebs habe. In dem Moment wo ich es erfahren habe, begann ich die meiste Zeit, die ich gelebt habe, zu bereuen. Viel zu lange habe ich meine Zeit verschwendet und nicht gelebt. Ich habe nie etwas gegen dieses Reuegefühl unternommen, bis zu dem Tag, an dem ich Talia kennengelernt habe. Durch sie will ich leben. Das wurde mir erst vor kurzem richtig bewusst. Ich weis das ich sie liebe. Ich weiß es schon lange, doch mir war nie bewusst, wie sehr ich sie liebe. Alleine der Gedanke daran, wie sie zerbrechen würde, wenn ich nicht mehr wäre, bricht mir mein Herz. Sie so gesehen zu haben, in einem Krankenhaus Bett weinend und zitternd und das alles nur weil ich sterben könnte. Ich kann ihr das nicht antun. Ich will, dass sie lebt. Ich will, dass sie nicht wegen mir weinen muss. Ich will nicht der Grund für ihren Schmerz sein, darum werde ich kämpfen. Ich werde den letzten Kampf führen. Für sie. Ich will mit ihr eine Zukunft haben. Mit ihr an meiner Seite Kinder zeugen und eine neue Welt für sie erschaffen. Ich will, dass sie für mich lebt, so wie ich für sie lebe, denn sie ist mein kleiner Stern in der Finsternis.
Ich packe die letzten Sachen aus dem Krankenhaus Schrank in meine Tasche und schaue auf die Uhr, die über der Tür hängt. Es ist kurz vor 17Uhr. Ich wollte eigentlich schon um 17 Uhr zuhause sein, damit Talia sich nicht länger um mich sorgen muss. Seufzend nehme ich mein Handy aus meiner Hosentasche und gehe auf Talias Chat.
Erik: ,,Hey, ich komme leider ein bisschen
später, da ich noch alles einpacken
muss und meine Eltern stecken im
Stau fest. Ich ruf dich an, wenn ich
zuhause bin."
Talia: ,,Wie viel musst du noch einpacken
und wann kommen deine Eltern?"
Erik: ,,Sie kommen ungefähr in einer
Stunde und ich habe gerade die
letzten Oberteile eingepackt, wieso?"
Talia: ,,Ich war gerade duschen."
Verwirrt schaue ich auf die Nachricht. Hat sie ihre Wunden aufgerissen oder was genau versucht sie mir gerade mitzuteilen?
Erik: ,,Was ist los? Ist etwas passiert?"
Talia; ,,Ich brauche dich."
Erik: ,,Hast du dir weh getan?.."
Talia: „Nein, aber ich will es."
Erik: „Was ist passiert?"
Talia: „Sie ist tot."
Ohne weiter darüber nachzudenken, wähle ich Mikas Nummer und warte bis sie ran geht.
„Wer ist tot meine kleine?", frage ich vorsichtig, als ich ein leichtes schlurzen an der anderen Seite der Leitung höre.
„Mama. Sie ist tot. Die...die Polizei war gerade bei uns."
Ich erstarre für einen Moment. Ich habe das Gefühl, dass mein Blut in meinen Adern gefriert. „Was? Gott Talia... Wie- Wie geht es dir? Wissen Sie wodurch?"
,,Mama ist gestern nicht nach Hause gekommen. Jason und ich haben uns dabei nichts gedacht, da sie ja öfters ein paar Nächte verschwindet. D-doch vorher..vorher kamen diese Polizisten. Sie haben sie aus einem Auto gezogen. Scheinbar hatte sie gedacht, dass es eine gute Idee ist, betrunken Auto zu fahren", meint sie, während sie lacht und weint gleichzeitig. ,,Sie ist tot. Einfach so", flüstert sie weinend. Ich sehe in meinem inneren Auge, wie sie weinend zusammenbricht. Mit einer Schere, einem Messer oder irgendetwas anderes scharfes in der Hand und ich bin nicht da. ,,Okay Telli, hör zu, geh zu Jason und warte bei ihm, bis ich bei dir bin, okay, Prinzessin?" Ich wische schnell den Anruf hoch, sodass ich meinen Eltern schreiben und dennoch mit Talia telefonieren kann.
Erik: ,,Wann seid ihr da? Es ist dringend,
Talia geht es nicht gut."
Mama: ,,Es dauert länger als gedacht. Fahr
mit der U-Bahn und dann mit dem
Bus, so bist du in einer halben Stunde bei ihr. Wir holen deine
Sachen ab."
Erik: ,,Okay."
,,Ich kann nicht zu Jason, er musste mit der Polizei mit, um sie zu identifizieren."
,,Talia bitte-", meine Stimme bricht, weshalb ich mich erst räuspern muss, bevor ich weiter reden kann. ,,Bitte tu es nicht Talia. Wir können das zusammen schaffen." ,,Es tut mir so leid Erik. Es gibt so vieles was ich dir nie gesagt habe und so vieles was wir noch nicht getan haben, aber ich bin zu müde. Ich kann nicht mehr stark sein, Erik. Es tut mir leid, sag JayJay, dass ich ihn liebe, okay? Vergiss niemals, dass ich dich liebe, mein kleiner Prinz. Ich liebe dich." Ich spüre es. Ich spüre, wie sie stirbt und ich kann sie nicht davon abhalten. Es ist wie als würde meine Schwester nochmal sterben. ,,Bitte Talia, du das nicht, wir finden eine Lösung."
Es war zu spät. Es ist still. Sie hat das Telefonat beendet. Sie war doch mein kleiner Stern in dieser dunklen Welt. Wieso? Wieso musste es so weit kommen?
Sollen das ihre letzten Worte gewesen sein?
Ich liebe dich.
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Sein Stern in meiner Finsternis
RomanceTalia ist ein Mädchen, das seit ihre kleine Schwester entführt wurde, an Depressionen leidet. Niemand weis von ihren Depressionen bis auf ihre Psychologin Melanie. Am ersten Tag eines neuen Schuljahres zwingt ihr zwei Jahre älterer Bruder sie, den N...