,,Telli!", rufe ich immer wieder, während ich und Jason jedes Zimmer durchsuchen, doch es kommt keine Reaktion. Ich rüttel an der Badezimmertüre. Sie ist verschlossen. ,,Gott Telli bitte..." ,,Geh von der Tür weg Erik." Ich trete zitternd beiseite und lasse Jason zur Tür. Er schmeißt sich gegen die Tür und mit einem gedämpften knall springt die Tür auf.
Blut. Überall ist Blut. Die einst weiße Badewanne ist gedrängt in der roten Flüssigkeit. Jason und ich verlieren keine Zeit. Doch es ist zu spät. ,,Keine Atmung", flüstere ich leise und gucke zu Jason. ,,SIE ATMET NICHT." Tränen fallen immer schneller aus meinen Augen. ,,JASON, SIE ATMET NICHT!!" Ich zittere panisch, während ich sie fest in meine Arme ziehe. Jason weint. Er steht starr da und kann sich nicht bewegen. ,,D-Die Sanitäter kommen gleich, Telli muss solange noch durchhalten, bitte sie darf nicht sterben! Ich kann sie nicht auch noch verlieren", flüstert er verzweifelt. Mit zitternden Schritten tritt er näher und kniet sich neben mich und Telli, welche ich aus der Badewanne auf meinen Schoß gezogen habe. Es ist mir egal, ob ich voll mit ihrem Blut werde. Alles, was mich in diesem Moment interessiert, ist sie zu halten. Ihr Körper ist noch warm, aber ihre Seele ist nicht mehr in ihrem Körper. Talia atmet nicht mehr. Sie wird nie wieder ihre Augen öffnen. Sie wird nie wieder ihr Buch weiter schreiben. Nie wieder werde ich mit ihr reden können. Ich hätte da sein müssen. Ich küsse sanft ihre Stirn und drücke sie an mich. ,,Was soll ich ohne dich Prinzessin machen? Wir wollten noch so viel miteinander unternehmen. Ich wollte dir doch zeigen, dass das Leben schön sein kann. Du hattest mir versprochen, zu kämpfen. Warum Telli? Warum hast du es beendet, ohne mir die Chance zu geben, dich zu retten?" Die Sanitäter kommen ins Badezimmer. Einer von ihnen ist Aiden. ,,Du musst sie jetzt loslassen Erik. Wir müssen gucken, was wir noch tun können", meint Aiden sanft. ,,Ihr könnt nichts mehr tun. Sie ist tot. Sie ist tot Aiden! Sie ist tot und ich konnte sie nicht retten!!! Ich konnte sie schon wieder nicht retten!" Aiden tritt näher. ,,Wir müssen aber ihren Tod feststellen. Es tut mir leid..."
,,Nein, bitte." Ich weine und klammere mich an sie. Ehe ich mich wehren konnte, ziehen mich zwei Sanitäter weg und der Notarzt geht zu meiner Prinzessin.
Ich reiße meine Augen auf. Es ist nun sechs Monate her und immer noch wache ich schweißgebadet und mit Tränen in den Augen auf aus diesem schrecklichen Alptraum, der an jenem Tag durchaus real war.
Ich vermisse meine Prinzessin immer noch. Jeden tag. Jede Stunde. Es vergeht keine Sekunde an der ich sie nicht vermisse. Als sie starb, starb auch ein Teil in mir. Und das wird auch immer so bleiben. Mit einem Seufzen stehe ich auf und gehe in mein Bad. Heute werde ich einen letzten Anruf von meinem Arzt bekommen. Als Talia ging, war ich hin und hergerissen, ob ich kämpfe und die Chemo weiter führe oder ob ich den Kampf aufgebe. Doch ich habe ihr versprochen, zu kämpfen, also tue ich es. Heute entscheidet sich, ob ich lebe oder sterbe. Mittlerweile hoffe ich auf das Letzte. Ich habe lange genug gekämpft, ohne auch nur einen Funken Sinn in diesem Leben mehr zu sehen. Das einzige, was es mir erleichtert, ist Jason. An jenem Tag hat er auch noch seine restliche Familie verloren. Talia war die einzige, die noch da war. Lixi ist immer noch nicht aufgetaucht. Seine Mutter starb kurze Zeit vor Talia und sein Vater ist auch verschwunden.
Nach einer kurzen Dusche ziehe ich mich schnell an und gehe runter zum Auto. Jason hat panische Angst davor, mit dem Auto zu fahren, seit dem Tod seiner Mutter darum habe ich für ihn zusätzlich zu meinem Motorradführerschein auch noch den Autoführerschein gemacht. An jedem Wochenende hole ich Jason immer ab. Wir holen uns einen Kaffee und setzen uns an das Grab von Telli. Ich steige ein und fahre zu Jason. Ich bin relativ bald nach Talias Beerdigung umgezogen. Ich konnte es nicht ertragen. Alles, was ich sah, erinnerte mich an sie. Es war, als würde sie immer noch überall sein, aber ohne dass ich mit ihr kommunizieren kann. Auch jetzt, wo ich die Straße entlang fahre, kann ich es kaum ertragen. All die Erinnerungen drohen mich zu erdrücken. Ich hupe drei Mal. Kurze Zeit darauf kommt Jason raus. Seine Augen sind gerötet, trotzdem liegt ein kleines Lächeln auf seinen Lippen, als er einsteigt. ,,Na bereit?", fragt er und schnallt sich dabei an. ,,So bereit, wie es nur geht", antworte ich ruhig. Obwohl man ihm ansieht, dass er genau so kaputt ist wie ich und das er geweint hat, bekommt er es irgendwie immer hin mit einem Lächeln rum zu laufen. Es strahlt nicht mehr wie damals, aber er lächelt. Etwas, was ich seit ihrer Beerdigung nicht mehr konnte. ,,Okay, dann lass uns in ihr lieblings Kaffee gehen." Ich nicke und fahre los vorsichtig und langsam, um Jason nicht zu sehr in Panik zu versetzen. ,,Hast du dich eigentlich schon entschieden, was du jetzt nach der Schule machen willst?", fragt er. Er fragt zu einem, weil er es wissen will, doch hauptsächlich fragt er, um die Stille zu füllen. Anfangs haben wir versucht, die Fahrten durch Musik zu ertragen. Doch egal welches Lied, es erinnert uns nur an das, was wir verloren haben. ,,Nein, habe ich nicht. Ich meine, ich weis noch nicht mal, was jetzt bei den Ergebnissen rauskommt. Ich weiß auch nicht, ob ich es überhaupt wissen will, geschweige denn ob ich mich entscheiden will", meine ich in einem frustrierten Ton. Jason nickt langsam. ,,Ja, sich zu entscheiden kann einem sehr schwer fallen." Er deutet auf eine kleine freie Parkplatzlücke. ,,Versuch da rein zu kommen." Ich nicke und fange an zu parken. ,,Aber ich denke, es ist trotzdem wichtig, sich zu entscheiden, Erik." Ich nicke. ,,Ich weis ich brauche einfach noch ein wenig Zeit." ,,Das verstehe ich, Erik, aber die Welt steht nicht still. Das solltest du auch nicht. Das hätte Talia nicht gewollt." ,,Ich weis das aber meinst du wirklich sie hätte es gewollt das wir weiterhin jedes Wochenende an ihr Grab fahren?" frage ich Jason. ,,Wahrscheinlich nicht, aber ich kann nicht einfach damit aufhören Erik. Es sind jetzt 6 Monate her seit ihrer Beerdigung. Ich habe kein Wochenende verpasst. Ich brauche diese Wochenenden um nicht verrückt zu werden und mich mit der Welt drehen zu können." Ich parke in die Lücke ein und nicke ihm zu. ,,Verstehe. Ich schätze jeder hat einen anderen Weg mit seiner trauern um zu gehen. Ich muss meine einfach noch finden."
Egal was passiert oder in der Zukunft auf uns zukommen wird, Jason und ich werden nie aufhören zu trauern. Ich werde Talia bis zu meinem letzten Atemzug lieben. Ich weiß das ihr Wunsch ist, dass ich glücklich werde, doch egal, wer versuchen wird, mein Herz zu erobern, muss es sich immer mit meiner Prinzessin teilen. Denn ihr gehört mein Herz mehr, als es mir selbst je gehört hat.
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Sein Stern in meiner Finsternis
RomanceTalia ist ein Mädchen, das seit ihre kleine Schwester entführt wurde, an Depressionen leidet. Niemand weis von ihren Depressionen bis auf ihre Psychologin Melanie. Am ersten Tag eines neuen Schuljahres zwingt ihr zwei Jahre älterer Bruder sie, den N...