Teil 1

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„Ich will Sie!"

Diana hatte das lange nicht mehr gehört, dass jemand sie wollte.

Und dies war der Satz, der alles weitere wie eine Lawine in Gang setzte.


„Guten Tag, Frau Velvet".

Diana reagierte zunächst nicht, sie fühlte sich nicht angesprochen.

Ihre Gedanken waren dröge wie das Herbstwetter. Draußen regnete es, dunkel schimmerte der Asphalt und die Tropfen, die in die Pfützen fielen, versprachen mehr Dramatik, als das traurige Klassenzimmer hergab.

Trostloser und eintöniger als das Wetter draußen war nur noch der muffige Klassenraum mit der schimmeligen Decke und den abgegriffenen Holzmöbeln.

Diane saß an ihrem Pult in ihrem Berufskolleg und machte noch ein paar Notizen.

Es hatte längst zum Schulschluss geklingelt und längst waren die Berufsschüler ins Wochenende hinausgestürmt. Sie hatte gerade noch ein paar Erzieherinnen unterrichtet in Englisch. Sie sahen nicht ein, wozu sie Englisch brauchten, und Diane konnte es ihnen nicht verdenken. Zusammen hatten sie einen Nichtangriffspakt geschlossen. Diana erwartete nicht so viel von den Schülerinnen, im Gegenzug machten sie ihre Aufgaben zumindest einigermaßen. Diese Absprache funktionierte so leidlich, und am Freitag war es schwer. Die jungen Frauen waren alle auf das Wochenende fixiert. Da war es nicht weit mit ihrer Arbeitsbereitschaft. Diana war froh, dass es vorbei war.

Sie schaute aus dem Fenster. Arbeit lag vor ihr. Klausuren, Vorbereitungen, Nachbereitungen, der Haushalt, das Übliche. Sie würde einkaufen gehen, freute sich auf den Tomaten-Mozzarella-Salat, den sie sich zubereiten würde, mit dem teuren Balsamico und dem Olivenöl. Das wäre ungefähr der Höhepunkt ihres Wochenendes. Ein Salat, den sie aß, während auf Netflix eine romantische Komödie lief, der sie mit gebremster Aufmerksamkeit folgte, während sie eine italienischen Flasche Rotwein langsam leerte. Sie wusste, dass ihr Wochenende so verlaufen würde, weil all ihre Wochenenden so verliefen.

Sie sollte sich dieses Mal täuschen.

„Valerie Velvet?", fragte die Stimme noch einmal.

Diana erinnerte sich. Sie hatte diesen Namen schon einmal gehört.

In der Tür stand eine ihrer Schülerinnen. Theresa. Sie war im dritten Jahr ihrer Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten. Eine ganz gute, aber keine herausragende Schülerin. Sie war eher still, ein wenig schüchtern und zurückhaltend. Bislang hatte Diana lediglich ihre unverbindliche Freundlichkeit wahrgenommen.

Theresa trat vorsichtig in den Klassenraum und schloss die Türe hinter sich.

„Hallo Theresa, was kann ich für dich tun?"

Das Mädchen trat an das Pult.

„Wir beide müssen uns unterhalten."

Diana schmunzelte über die Ernsthaftigkeit der Schülerin. „Worüber?"

Diana hatte den fordernden Ton der Schülerin durchaus wahrgenommen. Aber Schüler verfügten nicht immer über die kommunikativen Kompetenzen, die man sich wünschte, und vielleicht hatte das Mädchen ein Problem.

„Setz dich doch!", fügte sie hinzu, weil sie nicht zu dem Mädchen aufschauen wollte.

„Nein danke, Valerie. Ich stehe lieber."

Wieder dieser Name und dieser Hauch eines passiv aggressiven Tonfalls.

Theresa zog einen braunen Umschlag aus ihrer Tasche, legte diesen auf das Pult und schob ihn der Lehrerin zu.

Gezähmte  Lehrerin(gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt