Rückzug

1 0 0
                                    

Teil 5


Mit einem sanften Lächeln stand die junge Frau mitten im Zimmer.
Hal gab sich abweisend, aber Ria fand ihn interessant; wollte gerne hinter die Fassade blicken.... es war doch Fassade, oder? Eine Maske, die der Mann aufgesetzt hatte um sich zu schützen?
Nachdenklich kaute sie auf ihrer vollen Unterlippe. Sie wusste so wenig über ihn.
Wenn der große Mann sie doch nur lassen würde...

Träumerisch sah Ria aus dem Fenster.
Die Landschaft außerhalb des Palastes wirkte gespenstisch und kahl. Der Himmel war grau, Nebel zog auf.
Ein Baum stand einsam auf einem kleinen, mit Gras bewachsenen Hügel. Die Äste, beinahe gänzlich von Blättern befreit, bewegten sich sacht im Wind.

Davaria's Brauen zogen sich zusammen. Sie wusste nicht was es war, aber etwas stimmte mit der Landschaft nicht.
Also trat sie auf den rustikalen Balkon, stellte sich der kalten Herbstbriese, die Nebelschwaden vor sich her trieb.

Fast sofort bemerkte sie, dass alles nicht echt war. Die Natur, dass landschaftliche Bild, war nicht real. Es sah so "wirklich" aus. Absolut reell. Sie spürte den Wind in ihren Haaren. Aber es gab etwas, was nicht passte. Es roch nicht so wie es "draußen" riechen sollte.
Sie schauderte.

Seltsam, aber hier nicht weiter verwunderlich.
Also zuckte Davaria nur schaudernd mit den Achseln und ging wieder hinein.
Der Geruch von köstlicher Suppe wehte ihr entgegen, als sie die Balkontüre schloss und wie auf Kommando grummelte ihr Magen hungrig. Endlich würde es etwas zu essen geben. In Vorfreude rieb sie sich die Hände.

Auch die Katze hatte sich wohl den Bauch voll geschlagen. Nun leckte sie sich die Pfoten und begann sich zu putzen.

"Hal? Wie heißt Deine Katze eigentlich?" Rief sie zur Küche hinüber. Die Antwort erfolgte prompt: "Verdammt, ich hatte Dir doch gesagt das ich nicht so genannt werden will, halt Dich also dran! Und die Katze heißt Melly."

Ria ging in die Knie, rief die Katze bei ihrem Namen und schnippte auffordernd mit den Fingern, um sie zu locken.
Doch das Tier würdigte sie nicht eines Blickes, beendete ihre Katzenwäsche, sprang auf das Bett und rollte sich zum schlafen zusammen.

Halloween hatte von der Küchentüre aus zugesehen und brummelte: "Sie geht nicht zu jedem und zu Dir ganz bestimmt nicht."

Davaria überging den Kommentar geflissentlich, bat gelassen: "Erzähl mir was von Dir. Was machst Du noch gerne, außer Kürbisse verzieren und Dich schminken?"
"Hat Dich nicht zu interessieren!"

"Ok, eine andere Frage. Hattest Du schon viele Holder?"
Hal antwortete genervt und wunderte sich selbst, warum er das überhaupt tat. Wäre es nicht besser, dass nervende Mädchen zu ignorieren? "Nein, hatte ich nicht. Hör auf mich zu löchern!"

Die junge Frau ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, grinste verschmitzt und sah ihn mit ihren warmen braunen Augen an. "Na gut, ich halte mich zurück. Aber vielleicht willst Du mich ja etwas fragen? Was willst Du wissen?"
"Nichts. Ich möchte gar nichts von Dir, außer das Du verschwindest und Deine gute Laune und aufgesetzte Freundlichkeit an jemand anderen verschwendest!"

Ruppig drehte sich Halloween um und verschwand wieder in seiner Küche, nur um kurz darauf mit einem Teller dampfender Suppe wieder zu kommen und sich an den Tisch zu setzen.

Enttäuscht riss Ria die Augen auf und empörte sich darüber, dass ihr Key ihr nichts mitgebracht hatte.
"Hey, wo ist mein Teller?"
"Sieh zu, wo du was zu essen her kriegst. Von mir bekommst Du nichts!"

Zum ersten mal war Davaria richtig eingeschnappt, verstand sie doch beim Thema Essen so gar keinen Spaß. Wütend stemmte sie einen Arm in die Taille und betrachtete Halloween erbost, mit blitzenden Augen; den anderen Arm mit erhobenem Zeigefinger drohend erhoben.
"Also weißt Du...Du bist wirklich...Du bist SO unfreundlich!"
Halloween warf ihr einen triumphierenden Blick zu. "Ich habe nie etwas anders behauptet."

"Tzä, bediene ich mich halt selbst," grollte Ria und tauchte in die Küche ab, um sich ganz einfach selbst zu versorgen. Mit ihrer Ausbeute kehrte sie zurück zum Tisch, um gegenüber von Hal Platz zu nehmen.
Nach dem ersten Löffel sah sie überrascht auf. "Hmmm, das ist echt lecker. So etwas feines habe ich noch nie gegessen. Was ist das?"
"Kürbisssuppe."

"Du kannst wirklich gut kochen, weißt Du das?" Davaria hatte aufgehört zu schmollen und erging sich nun in Begeisterungsstürmen.

Auch wenn Halloween sich nichts anmerken ließ, freute er sich über das ehrlich gemeinte Kompliment. Seine neue Besitzerin schien wirklich begeistert zu sein. Genüsslich und ganz auf den Teller konzentriert aß sie und bemerkte nicht, dass sie von ihrem Key beobachtet wurde.

Entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten, ließ Halloween seinen üblichen melancholischen und auch abweisenden Gesichtsausdruck fallen, als er Ria beim essen betrachtete. Mit teils geschlossenen Augen und völlig verzückt, machte sie die einfache Mahlzeit zu etwas ganz besonderem.
Die vollen Lippen schloßen sich um den Löffel, nahmen jedes noch so kleine Tröpfchen auf und Hal wünschte sich mit einem Mal, für einen kurzen Augenblick nur, der Löffel sein zu dürfen.

Hitze wallte durch seinen Körper. Nie hatte er gedacht, dass eine so simple Geste dermaßen sinnlich sein konnte und das auch noch völlig unbeabsichtigt. Oder war es gerade deswegen?

Ausgerechnet in diesem Moment, wo der ältere Mann all seine Masken fallen gelassen hatte und wie hypnotisiert sein Gegenüber betrachtete, sah Davaria hoch, blickte direkt in Halloweens Augen und verharrte gebannt.
Sie konnte nicht mehr denken. All ihre Sinne waren auf den Mann vor ihr gerichtet. Hal war ungemein anziehend, so offen wie er gerade war und die Luft knisterte förmlich von den Funken, die zwischen den Beiden hin und her flogen.

Wie in Trance hob Ria die Hand und beugte sich weit über den Tisch, um noch einmal die Wange des Anderen zu berühren. Doch kurz bevor der Hautkontakt entstand, zuckte Hal heftig zurück und sprang auf.
Seine Augen spiegelten Erschrecken und Furcht wider, bevor er Davarias Blick auswich und auf den Boden sah.

Davaria stand ebenfalls auf, trat um den Tisch herum und vorsichtig ein-zwei Schritte auf den Mann zu, der bebend und mit geballten Fäusten da stand.
"Hal, bitte..." raunte sie; erschrak ein wenig, als er ruckartig den Kopf hob und sie endlich wieder ansah.
Die schwarzen Augen glitzerten nun eiskalt und voller Wut, schossen tödliche Blitze auf sie ab. Ria zuckte zurück und verharrte in der Bewegung. Zum ersten Mal wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie schwieg.

Halloweens Stimme klang rau, als er zu sprechen begann: "Fass mich nicht an! Fass mich nie wieder an....mich bekommst Du nicht!"

Er sah wie sie schluckte und offensichtlich nach Worten rang.
"Hal," bat Ria. "Zieh Dich nicht wieder zurück. Das gerade war...wie soll ich es ausdrücken? Es war kostbar. Mach es nicht kaputt, bitte."
Vehement schüttelte er den Kopf. "Nein! Es gibt nichts zwischen uns, was kaputt gehen könnte."

"Gib mir doch eine Chance den wahren Halloween kennen zu lernen." "NEIN! Das was Du jetzt siehst, ist der wahre Halloween. Ein anderer existiert nicht!"

Auch in der sonst so ausgeglichenen Davaria brodelte nun der Zorn. Sie baute sich direkt vor ihrem Key auf und bohrte den Zeigefinger in dessen Brust.
"Warum tust Du das, hm? Kein Wunder das keiner Deiner Holder Dich für längere Zeit haben wollte. Ständig schiebst Du Trübsal und bist schlechtgelaunt; vielleicht habe ich Dich deswegen für immer bekommen, weil sie Dich nicht mehr los werden, weil keine Dich haben will!"

Die Augen des Keys verdunkelten sich immer mehr, dann schlug er mit einer einzigen, flüssigen Bewegung Davarias Arm beiseite und stieß sie heftig von sich. Nur mit Mühe konnte Ria einen Sturz vermeiden und hielt sich an der Tischkante fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

"Ich wollte Dich nicht hier haben, dass habe ich Dir von Anfang an gesagt! Du, mit Deiner verfluchten Lebenslust... so ein richtiges Sonnenscheinchen," höhnte Halloween zischend. "Weißt Du wie sehr Du mir auf die Nerven gehst, mit Deinem Lächeln und Deiner guten Laune? Du kommst hier her und glaubst, Du kannst mich sofort analysieren und ändern. Was bist Du, Psychologin, oder was?! Ich bin wie ich bin und ich bin gerne so!"

Ria ballte nun auch die Fäuste, grub die Nägel tief in ihre Handflächen. Für einen Moment verharrte sie so, angespannt wie eine Bogensehne und konzentrierte sich auf den Schmerz, den ihre Nägel in ihre Haut brannten.

Bewusst atmete sie tief ein und aus und zwang sich, sich wieder zu entspannen.
Ihr Zorn verrauchte so schnell, wie er gekommen war und sie ließ die Schultern hängen. Alle Anspannung wich aus ihrem Körper.

Traurig sah sie in die Augen von Hal. "Du hast Recht. Es ist besser ich gehe."

Sie wandte den Blick ab, suchte ihre Stiefel, fand sie und schlüpfte hinein, dann zog sie ihre Jacke an und öffnete die Türe.
Ein letztes mal drehte sie sich zu Halloween. "Vorhin, als Du mich beim Essen beobachtet hast, Du warst so... ich hätte mich in Dich verlieben können," flüsterte sie und ging.

Halloween KeyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt