V. Frühstück

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Als wir realisierten, dass Eric nicht wieder auftauchen würde, ruderten wir zurück. Der Sturm hatte sich bald beruhigt, sodass wir in absoluter Stille wieder das Land betraten. Die Sonne war in Zwischenzeit aufgegangen und mithilfe der Garde suchten wir meinen Bruder an den Stränden in der Hoffnung, dass er 'angespült' wurde. Und tatsächlich fanden wir ihn an dem Teil des Strandes, an dem ich mich vor ein paar Tagen mit Arielle getroffen hatte. In der Ferne konnte ich ihn sogar noch aus dem Wasser blicken sehen. Ich lächelte ihn an und nickte dankend, woraufhin er das Gleiche tat, bevor er im Meer verschwand.

Die Garde half dem bewusstlosen Eric zum Schloss, bevor er von den Medizinern unter die Lupe genommen wurde. Ich holte mir erstmal eine Mütze Schlaf.

Als ich aufwachte, rief uns Mutter zum Frühstück. Anscheinend hatte ich den ganzen letzten Tag verschlafen. Na gut, zu meiner Verteidigung hatte ich an Bord wirklich fast gar nicht geschlafen.

Ich war erstaunt, als auch Eric erschien. Er hatte nur einen Verband um den Kopf gebunden und schien sonst recht fit zu sein. Arielle war anscheinend zur richtigen Zeit da gewesen.

Dass er seinen Sirenengesang eingesetzt hatte, um Eric zu heilen, damit er mich nicht traurig sehen musste, wusste ich natürlich nicht.

Ich setzte mich neben Grimsby auf meinen Stuhl, während Eric weiter im Raum herumlief. Das Essen sah mal wieder köstlich aus. "Schon was Neues von dem Jungen?", fragte Eric in den Raum. "Welchen Jungen?", kam es sofort von mir. Ich hatte anscheinend irgendwas verschlafen. "Ein Junge hat mich gerettet. Ich lasse nach ihm suchen, damit ich ihm meinen Dank aussprechen kann."

Ah, es ging um Arielle. Ich glaube kaum, dass er mit einem 'Dank' vom zukünftigen König viel anfangen könnte. Ich meine, was will ein Meermann mit einem Haufen Gold? Er würde sich zwar freuen - das ist es nicht, da hätte er neue Sachen für seine Sammlungen - aber im Endeffekt war es ziemlich sinnfrei. Das Dankeschön könnte ich auch übermitteln. Nur kann ich das wohl kaum laut sagen.

"Nach dem Frühstück, Eric", tadelte Mutter sofort. "Wir haben gesucht, Sire. Keine Spur von ihm", erklärte Grimsby schnell, wofür er sich einen unzufriedenen Blick von Mutter einfing. "Du musst dankbar sein, dass du es ans Ufer geschafft hast."

"Es gibt ihn wirklich. Er hat mich gerettet." "Setz dich." "Ich habe keinen Hunger, Mutter." "Ich mache mir Sorgen um dich. Du bist nicht du selbst, seit dem Unglück."

Eric ignorierte unsere Mutter und wendete sich an Grimsby, während ich mein vorbereitetes Spiegelei aß. Ich hielt mich besser aus der Diskussion heraus. Theoretisch sollte ich ja gar nichts wissen.

"Habt ihr auf den Nachbarinseln gesucht?" "Nicht auf allen, aber ..." "Dann müssen wir weiter suchen."

"Du verlässt dieses Schloss nicht, bevor es dir besser geht", forderte Mutter, als Eric gerade wieder gehen wollte. "Es geht mir besser, wenn ich ihn gefunden habe", meinte Eric und nahm sich den Verband ab. Seine Wunde an der Stirn sah schon viel besser aus. Aber warum war er so besessen davon, Arielle zu finden? Er hat ihn gerettet, ja, aber irgendwie kommt mir das ziemlich viel vor.

"Benutze diesen Jungen nicht als Vorwand, wieder wegzulaufen. Um aus Abenteuerlust dein Leben auf einem Schiff zu riskieren." "Aus Abenteuerlust? Ich möchte andere Kulturen sehen, damit wir nicht den Anschluss verlieren. Auf der letzten Reise haben wir für unser Zuckerrohr 20 Kisten Chinin bekommen. Man setzt es in Europa gegen Malaria ein."

"Und wo sind die 20 Kisten jetzt? Auf dem Grund des Meeres", meinte Mutter leicht genervt. "Wie viele Schiffsunglücke hatten wir dieses Jahr, Premierminister?" "Sechs, Eure Majestät", antwortete Grimsby schnell. "Hast du gehört, Eric?" "Selbstverständlich."

"Schiffsunglücke, Wirbelstürme. Die Götter der See sind gegen uns. Wie oft muss ich eigentlich ..." Mutter holte tief Luft, um sich vor einem Ausbruch zu bewahren. Dann stand sie auf und stellte sich neben Eric, der aus dem Fenster aufs Wasser sah. "Die Meermenschen tragen unser Land unter unseren Füßen ab. Sie holen es sich gewaltsam zurück. Sie würden uns alle töten, wenn sie könnten."

Das stimmt nicht. Laut Arielle wird jeglichen Meerwesen der Kontakt mit den Menschen untersagt, da wir die Gefährlichen sind. Verständlich, dass sie das denken, denn die meisten Seefahrer jagen Meerjungfrauen und Meermänner schon seit langem. Trotzdem tun uns die Meerwesen nichts an.

"Das ist doch lächerlich." Eric glaube nicht an Meerwesen, das hatte er mir mal erzählt nach einer ähnlichen Fanfare wie dieser. "Ach ja? Wie du weißt, hat euch ein tödliches Schiffsunglück zu uns geführt und jetzt hätte ich dich um Haaresbreite bei einem verloren. Wir dürfen das Schicksal nicht länger herausfordern. Das muss aufhören." Als sie sich wieder hinsetzte, war das Thema für sie beendet und Eric schaute ungläubig zu uns herüber.

"Was soll das bedeuten?" "Das bedeutet, dass ab jetzt deine Verantwortung hier liegt. Also Schluss mit den Reisen und der Jagd nach Jungen, die gar nicht existieren." Nach einem Seufzer und einem verzweifelten Blick in meine Richtung drehte er sich um und ging über den Balkon die Treppe herunter, die zum Meer führte.

Der Rest des Frühstücks verlief unangenehm ruhig. Als ich aufgegessen hatte, entschuldigte ich mich und verließ den Raum, bevor ich in mein Zimmer ging. Nachdem ich mir das erste Buch genommen hatte, das mir in mein Blickfeld fiel, legte ich mich aufs Bett und vertiefte mich in die Mythologie des Meeres.

In ein Buch einzutauchen, sollte meine einzige Tauchaktion an diesem Tag werden.


Abgetaucht (m. Arielle - Arielle, die Meerjungfrau)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt