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Annalena

Waren wir bereit, Eltern zu werden? War ich bereit?
Ich nickte trotzdem. Man wusste ja nie. Also ich konnte damit eh nichts anfangen, aber Wincent schon. Kurz überlegte ich, ihm direkt zu schreiben, entschied mich dann aber doch dagegen. Sollte ich wenigstens Lara einweihen?
Am Ende entschied ich mich dafür, ganz alleine und in Ruhe drüber nachzudenken. Die Verantwortung nicht mehr nur für mich und Fritz zu haben, sondern noch ein kleines Wesen, überforderte mich jetzt schon. Ich wusste, dass Wincent mich immer unterstützen würde, aber er war eben auch noch Musiker. Ich bekam Mutterschutz und Elternzeit. Er nicht. Natürlich würde er alles absagen, aber erstens wollte ich nicht, dass er meinetwegen auf seinen Job verzichtete und zweitens würden dann nur Gerüchte aufkommen. Gut, er hatte eine Konzertpause angekündigt, aber Sommerkonzerte waren dennoch im Gespräch. Was für ein beschissenes Timing.
Ich machte mich auf den Weg nach Hause und konnte den Gedanken einfach nicht verdrängen. Ich war Mama oder wurde es. Einerseits war ich ziemlich glücklich, aber auf der anderen Seite überwog eher die Panik. Ich wusste gar nicht, wie man ein Kind großzog und meine Blindheit war auch nicht gerade die beste Voraussetzung dafür, Mama zu werden. Klar, irgendwie ging es, aber einfach war es sicherlich nicht. Konnte ich das? Würde ich die bisher größte Herausforderung in meinem bisherigen Leben schaffen?
Ohne eine Antwort gefunden zu haben, schloss ich die Haustür auf und stieg die Treppen nach oben. Ich merkte, dass ich noch nicht gefrühstückt hatte, denn mit jeder Stufe fühlte ich mich müder. Ich sollte dringend wieder mehr drauf achten, wie viel ich aß. Sobald ich die Wohnungstür aufgeschlossen hatte, leinte ich Fritz ab und zog mich aus. Dann ging ich in die Küche und suchte die Sachen für mein Frühstück zusammen. Es tat so gut, endlich etwas im Magen zu haben, auch wenn ich nicht so viel Hunger hatte. Die Nachrichten schlugen mir schon noch auf den Magen, aber ich musste meinen Körper füttern. Sonst würde es nicht nur Ärger mit Wincent geben, sondern jetzt war es wichtiger denn je, da ich noch für einen anderen Menschen die Verantwortung hatte. Schon jetzt hatte ich das Gefühl, damit komplett überfordert zu sein. Wie sollte das denn weitergehen? Das war nun absolut nicht geplant. Ein Kind? Jetzt? Ging das überhaupt? Ja, Wincent wollte eine Konzertpause haben, aber das hieß ja nicht, dass er den ganzen Tag Zuhause war. Das ging doch niemals gut.
Noch immer ganz in Gedanken versunken, saß ich auf dem Sofa, als ich einen Schlüssel hörte. Ich zuckte kurz erschrocken zusammen. Dann flüchtete ich ins Badezimmer. Ich spürte die Tränenströme noch auf meinem Gesicht. Schnell wusch ich mich und atmete dann einige Male durch.

Wincent

Es war so ein gutes Gefühl, den Schlüssel im Schloss umzudrehen. Ich betrat die Wohnung, die unverkennbar nach Annas Lieblingsblumen duftete. So roch es hier jedes Mal und ich liebte es. Hier war ich einfach Zuhause, mehr als in meiner eigenen Wohnung. Als ich Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, stellte ich meinen Rucksack in seine Ecke. Dort störte er auf keinen Fall, soweit hatte ich es schon gelernt.
„Schatz?", fragte ich, doch es kam keine Reaktion.
„Anna? Ich bin Zuhause", versuchte ich es erneut.
Als wieder keine Antwort kam, ging ich erst einmal durch die Wohnung. Fritz lag im Wohnzimmer und hob kurz den Kopf, als er mich bemerkte.
„Na du?", begrüßte ich ihn und er ließ sich erst einmal richtig verwöhnen.
„Schatz? Bist du Zuhause?", fragte ich anschließend.
„Ja", antwortete sie leise und erschien in der Wohnzimmertür.
„Hey." Ich klang vermutlich erleichterter, als ich wollte.
Ich ging auf Anna zu und gab ihr einen kurzen Kuss zur Begrüßung.
„Was machst du denn schon hier?", fragte sie.
„Nachschauen, wie es dir geht."
„Gut".
„Warum antwortest du denn dann nicht? Ich habe mir Sorgen gemacht."
„Sorry. Ich... hatte vergessen es aufzuladen. Ich wollte nicht, dass du dir Gedanken machst."
„Ich mach mir aber immer Sorgen um dich", murmelte ich und zog sie an meine Brust.
„Ich weiß."
Ich hielt Anna einfach nur fest und schloss die Augen. Sie war mir so wichtig geworden in den letzten Monaten, dass ich mir gar nicht vorstellen wollte, wieder ohne sie zu sein.
„Was hältst du davon, wenn ich morgen den Vormittag mit Amelie verbringen und nachmittags holen wir schon Lou ab?", schlug ich vor, als wir es uns einige Zeit später auf der Couch bequem gemacht hatten.
„Ehrlich? Nicht, dass Amelie dann beleidigt ist. Immerhin wolltet ihr doch den Tag zusammen verbringen", warf Anna ein.
„Sie kann ja auch mitkommen, wenn sie will."
„Kann es sein, dass du nicht abwarten kannst, Lou endlich nach Hause zu holen?", fragte mich meine Freundin.
„Vielleicht."
„Okay. Aber nur, wenn es für Amelie okay ist. Ohne, dass du sie überredest."
„Du bist ein Schatz." Ich gab ihr einen Kuss und sprang dann auf. „Ich ruf sie kurz an."
Anna lachte, während ich kurz in die Küche ging.
„Wen haben wir uns da eigentlich angelacht, mhm?", hörte ich sie vermutlich Fritz fragen und musste grinsen.
Währenddessen wählte ich Amelies Nummer und wartete leicht ungeduldig, dass sie abnahm.
„Gemander", meldete sie sich förmlich.
Ups, ich hatte wohl die Dienstnummer erwischt.
„Hey Ami."
„Wince. Was eine Überraschung. Wie geht es Anna?"
„Gut", antwortete ich und konnte meine Erleichterung nur schwer verbergen.
„Was war denn los?"
„Sie hatte ihr Handy nur nicht aufgeladen."
Amelie fing an zu lachen. „Ich hab doch gesagt, es wird einen harmlosen Grund haben."
„Ich kann einfach nicht anders", verteidigte ich mich direkt.
„Ich weiß. So, aber sag mal, deshalb hast du doch nicht angerufen, oder?"
„Ne. Ich wollte nochmal über morgen reden", begann ich.
„Was ist damit?"
„Hast du etwas dagegen, wenn wir nachmittags Anna und Fritz mitnehmen und einen kleinen Ausflug machen?"
„Wo willst du hin?"
„Lou abholen", gab ich ehrlich zu. „Also nach Hamburg."
Abermals fing meine beste Freundin an zu lachen.
„Bailey kann bestimmt auch mitkommen", fügte ich noch hinzu.
„Klar geht das, Wince. Wenn Anna das will, komme ich gerne mit."
Ich atmete erleichtert aus.
„Danke, du bist ein Schatz. Dann sehen wir uns morgen früh und machen, was du willst. Und gegen 14 Uhr sammeln wir Anna und Fritz ab."
„Klingt nach einem Plan. Dann genießt den Abend zusammen und wir sehen uns morgen. Ganz liebe Grüße an Anna."
„Richte ich aus", versprach ich. „Bis morgen."
Mit einem Grinsen im Gesicht gehe ich zurück ins Wohnzimmer, wo Anna auf der Couch sitzt und mit Fritz kuschelt.
„Und?", fragte sie.
„Alles geklärt", verkündete ich. „Der Vormittag gehört Amelie und mir und um 14 Uhr machen wir uns alle zusammen auf den Weg. Ach, es ist doch okay, wenn wir Bailey auch mitnehmen, oder? Also Amelies Hund. Ich denke, die drei verstehen sich gut..."
„Schatz, hol mal Luft", unterbrach mich Anna. „Es ist alles okay. Ich vertrau dir da."

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