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Wincent

„Keine Ahnung. Aber scheint wichtig zu sein."
In genau diesem Moment ploppte eine neue Nachricht auf.
»Na endlich! Der Herr ist online...«
»Was ist denn?«, schrieb ich zurück.
»Hast du schon etwas von Anna gehört heute?«
»Ähm, nein. Zumindest hat sie auf die Nachricht von heute Morgen bisher nicht geantwortet«, verriet ich, obwohl mich bei dieser Erkenntnis ein ungutes Gefühl überkam.
»Mist!«
»Was ist denn mit Anna?«
»Keine Ahnung. Ich erreiche sie nicht. Und als wir die Tage kurz gesprochen haben, klang sie nicht so ganz fit.«
Ich ließ das Handy sinken. Genau das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich musste zu Anna und nachschauen, was los war. Wenn weder ihre beste Freundin noch ich Bescheid wussten, konnte ja irgendwas nicht stimmen.
„Musst du los?", fragte Johannes, als ich aufstand und meine Jacke anzog.
„Ja. Irgendwas scheint mit Anna nicht zu stimmen. Sorry, Bro. Wir holen das nach, versprochen."
„Beruhig dich, Wince. Bier läuft ja nicht weg. Und außerdem ist es komplett richtig, dass du dich um deine Freundin kümmerst. Richte ihr ganz liebe Grüße aus."
„Mach ich. Versprochen. Und danke für alles." Ich zog Johannes nochmal kurz in eine Umarmung und lief dann zum Auto.
Zum Glück hatte ich erst ein Bier intus und ich spürte absolut nichts. Deshalb konnte ich die zwei Stunden nach Berlin locker fahren. Morgen hätte die Strecke eh auf dem Plan gestanden, denn Amelie und ich wollten nochmal einen Tag zusammen verbringen. Das fiel dann wohl aus. Im Auto sitzend rief ich den Chat mit Amelie auf.
„Hey du. Ähm, eventuell müssen wir unseren gemeinsamen Tag verschieben. Sorry, aber ich muss heute erst herausfinden, was mit Anna ist. Wenn es ihr gut geht, können wir morgen machen, sonst geht es leider nicht. Ich sag dir dann Bescheid, aber wollte dich schon einmal vorgewarnt haben. Bis später."
Ich legte das Handy zur Seite und startete den Motor. Spotify ging an und spielte meine Roadtrip-Playlist ab, während ich zur Autobahn fuhr und dann das Gaspedal durchtrat. Ich war zwar ein wenig über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit, aber egal. Ich hatte einfach ein verdammtes Déjà-vu-Gefühl und dieses Mal wollte ich nicht wieder Mats einschalten. Der hatte Anna und mich schon oft genug retten müssen. Dieses eine Mal schaffte ich das auch alleine.
Ich dachte eigentlich, Anna und ich wären endlich soweit, dass wir miteinander redeten, wenn etwas war. Zumindest ging das in den letzten Wochen schon ziemlich gut. Weihnachten ging es ihr auch noch super und das Treffen mit Lou war auch gut. Ich konnte mir einfach nicht erklären, was passiert war, dass sie sich nicht mehr meldete. Hatte ich wieder etwas nicht mitgeschnitten? Irgendwas nicht gemerkt?
Ein Anruf unterbrach meine Musik und ich ging ausnahmsweise direkt mal ran.
„Ja?", fragte ich.
„Hey Wince. Hast du kurz Zeit?"
„Amelie. Klar, was ist?"
„Ich hab deine Nachricht abgehört", erklärte meine beste Freundin.
„Ja, sorry. Das war alles nicht so geplant."
„Hey, du kannst nichts dafür. Was ist denn mit Anna?"
Ich seufzte. „Keine Ahnung. Sie war irgendwie die letzten Tage schon komisch und jetzt ist sie mal wieder nicht erreichbar. Ehrlich Amelie, ich hab Angst. Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll", gab ich zu.
„Wince, mal nicht gleich den Teufel an die Wand. Vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung", versuchte mich Amelie zu beruhigen.

Annalena

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und ohne Frühstück machte ich mich auf den Weg zu meiner Ärztin. Irgendwas stimmte nicht, da war ich mir sicher. Hoffentlich konnte sie mir weiterhelfen. Immerhin wollte Wincent in zwei Tagen wieder nach Berlin kommen und da wollte ich fit sein. Und dann kam ja noch Lous Einzug auf uns zu. Noch immer konnte ich nicht glauben, dass Wincent mir einfach einen Hundewelpen zu Weihnachten geschenkt hatte. Ja, Fritz war nicht mehr der Jüngste, aber ein Hundewelpe? Ich wusste, dass Wincent die Vierbeiner liebte, aber er hatte Lou ja mir geschenkt. Damit ich noch einen Assistenzhund hatte. Und er hatte bereits mit dem Training angefangen, soweit das ging. Wo nahm der Kerl denn die Zeit her? Und womit hatte ich verdient, dass er sie für mich opferte? Beziehungsweise für die Erziehung meines Hundes.
Noch ganz in Gedanken versunken, kam ich in der Praxis an. Dort wurde ich erst einmal freundlich begrüßt. Ich versuchte ebenfalls nett zu lächeln, aber vermutlich sah man mir die Unechtheit an der Nasenspitze an. Im Wartezimmer sitzend, war ich ziemlich froh über Fritz Anwesenheit. Meine Nervosität wuchs mit jeder Sekunde und ich brauchte das ruhige Atmen meines Hundes, um nicht in Panik auszubrechen.
„Frau Bergmann", wurde ich aufgerufen und damit komplett aus meinem Gedankenkarussell gerissen.
Im Behandlungszimmer beantwortete ich ehrlich alle Fragen meiner Ärztin. Meine Nervosität war noch immer da, aber sie blieb so ruhig, dass ich mich auch ein wenig entspannte. Die Tests machte ich quasi automatisch mit, ohne weiter darüber nachzudenken. Ich wollte einfach nur wissen, was mit mir los war, obwohl ich gleichzeitig auch Angst davor hatte.
Und diese wurde auch nicht weniger, als meine Ärztin mir die Testergebnisse erklärte.
„Ihrer Reaktion nach war das nicht geplant", merkte sie an.
„Das war definitiv nicht geplant", gab ich zu.
„Wollen Sie denn das Kind?"
„Der Vater würde mich einen Kopf kürzer machen, wenn ich nein sage."
„Am Ende ist es aber auch Ihre Entscheidung."
„Ich weiß."
Kurz war Stille.
„Sie können sich das ja in Ruhe überlegen", meinte meine Ärztin.
Ich nickte nur, denn so ganz verarbeitet hatte ich die Information noch nicht.
„Darf ich fragen, ob Verhütung bisher kein Thema war?"
„Ich drücke es mal so aus. In den vergangenen Jahren waren meine Augen das zuverlässigste Verhütungsmittel", erklärte ich. „Das hat sich erst im letzten halben Jahr geändert. Beziehungsweise seit wenigen Wochen, wie man merkt."
„Ich weiß, dass ungeplante Schwangerschaften nicht einfach sind, aber wenn sie sich dafür entscheiden, kann ich Ihnen gerne helfen, einen Weg zu finden. Es gibt genug Möglichkeiten und Hilfen", erklärte mir meine Ärztin ganz in Ruhe.
Ich nickte nur.
„Ich schlage vor, wir sehen uns in zwei Wochen nochmal zur Kontrolle und bis dahin überlegen Sie es sich einfach, okay?"
„Okay", antwortete ich leise.
„Wollen Sie den Test mitnehmen?"
Ich dachte nach. Wollte ich das? Wie sollte ich es Wincent sonst erzählen? Sollte er es überhaupt schon erfahren?

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