Psychische Analysen

158 12 71
                                    


Hier nochmal ein kurzes Kapitel, die nächsten werden dann wieder länger und beinhalten mehr Noah (und Adam).

Viel Spaß oder so!



„Wissen Sie, es ist nicht sehr professionell, Ihre Patienten warten zu lassen. Sie sind ganze fünf Minuten zu spät."

Frau Wernecke blieb vor der Tür zu ihrem Büro stehen und schob ihre Brille ein Stückweit ihre Nase runter, damit sie mich über die Gläser hinweg anschauen konnte. Sie verzichtete darauf, ihren Senf dazuzugeben, und wechselte lieber das Thema, das dumme Weibsbild. „Erzählen Sie mir, wie das Essen mit Ihren Eltern ablief."

Ich stiefelte an ihr vorbei und ließ mich in meinen üblichen kotzgelben Sessel gegenüber ihrem braunbärbraunen fallen, die Beine an den Knöcheln überkreuzt. Der fusselige Teppich unter uns kuschelte sich um meine Schuhsohlen wie Gras. Nur die Farbe stimmte nicht. „Fiona und ich haben uns ausnahmsweise nicht die Schädel eingeschlagen."

„Details." Kaum hatte sie sich auf ihren Platz gesetzt, landete auch schon ihr Klemmbrett mit dem Schildkröten-Sticker auf der Rückseite in ihrem Schoß. Er passte nicht zu ihrer Dauerwelle und der irgendwie formlosen Brille.

„Wir haben über belangloses Zeug geredet. Ich glaube, wir waren beide zu müde zum Streiten."

Sie nickte. „Wie haben Sie sich dabei gefühlt?"

„Ich hasse diese Frage." Tat ich wirklich. Es war mühsam, mich mit meiner zerdepperten Psyche auseinanderzusetzen. „Ich schätze, ich war irgendwie ... nicht wütend? Und gleichzeitig wütend, weil sie immer so tut, als hätte sie keine Hauptschuld an alledem."

„Wünschen Sie sich, Fiona würde mit Ihnen öfter über früher sprechen?"

„Das würde nur wieder dazu führen, dass wir uns anschreien."

„Und Ihr Vater?" Sie machte sie Notizen.

Ich zuckte mit den Schultern. „Er hat mich damit überrascht, dass er sich Lisas Namen merken konnte. Nachdem ich ihn die letzten anderthalb Jahre lang bloß ständig erwähnt habe. Das ist ein neuer Rekord."

Sie unterdrückte das klitzekleine Schmunzeln, das ihr entkommen wollte, und klackerte mit dem hinteren Ende ihres Kugelschreibers gegen das Klemmbrett. „Wie kommen Sie mittlerweile damit zurecht, dass Ronja eine Freundin hat?"

Ich schnaubte. „Ich teile nicht gerne."

„Ronja ist kein Gegenstand, den man teilen kann."

„Schon klar." Aber ich konnte nichts dafür, dass ich trotzdem so empfand. „Lisa ist ja auch ... nett. Ich mag sie, und wenn ich schlechte Laune schiebe, bringt sie mir etwas zu essen, und sie passt zu Ronja, aber ... was weiß ich."

„Sicher, dass Sie nicht wissen, was genau Sie an Lisa stört?"

Manchmal verabscheute ich Frau Wernecke abgrundtief. Und manchmal wiederum war ich dankbar für ihre Art, weil ich mir dann einbilden konnte, ich wäre nicht derjenige, der unbedingt darüber reden wollte, sondern sie. Ich fügte mich lediglich meinem Schicksal. „Die beiden sind derart ekelhaft glücklich und verknallt, dass ich mich regelmäßig übergeben möchte."

„Weil Sie auch gerne derart ekelhaft glücklich und verknallt wären?"

Ich presste meine Lippen zusammen. „Kein Kommentar."

Stille, nur ihre forschenden Augen, die sich hinter meine Stirn bohrten. Die Hexe wusste, dass sie mich damit zum Nachdenken zwang, genauso wie ich Noah damit früher zum Sprechen gezwungen hatte.

An meiner OberflächeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt