Detective Bang Chan mochte Freitage.
Es war dieser magische Übergang von einer stressigen Schul- oder Arbeitswoche in das wohlverdiente Wochenende, der ihm früher stets eine heitere Glückseligkeit bereitete.
Mittlerweile hat das Leben Spuren hinterlassen. Vor allem sein Job, bei dem es keine Wochenenden gab, denn Morde geschahen zu allen Tages- und Nachtzeiten.
Seungmin und er standen gemeinsam an einer vielbefahrenen Kreuzung unweit des Fundortes von Riko Yasushi. Hinter ihnen befand sich ein vierundzwanzig Stunden Supermarkt, dessen Eindruck alles andere als einladend war. Heruntergekommen und dreckig passte als beste Beschreibung. Die Außenwand war verschmiert mit irgendwelchen Graffiti, der gläsenere Eingang sowie die Glasfenster benötigten eigentlich eine Grundsanierung so wie sie aussahen. Man könnte mit dem Finger dagegen schnippen und müsste Angst haben sie würden zu tausenden Scherben zerfallen.
"Ich habe die Umgebung nahe das Friedhofs ausgekundschaftet und erfragt, ob Riko Yasushi öfter dort unterwegs war. Niemand hat sie dort erkannt."
Chan rieb sich den Nasenbogen und seufzte tief.
"Bei mir war es ähnlich. Ich habe mir die andere Seite der Kreuzung vorgenommen, aber so wie das Viertel hier aussieht, wirkt es eher so, als würden die Leute mit Absicht sagen: Nichts gehört, nichts gesehen."
Seungmin blickte ihn an.
"Du meinst, die Leute hier haben Angst vor jemanden?"
Chan zuckte die Achseln. Möglich wäre es. Nicht nur der Schwarzmarkt am Hafen ist beängstigend. Jeder Stadtteil hat etwas zu verbergen. Und vielleicht war genau dieser Ort einer davon. Die Frage war nur: Betrifft das ihren Fall? Haben der oder die Täter sich diesen Ort ausgesucht, um vom Eigentlichen abzulenken, damit sie sich auf diesen "Jemand" fokussierten?
"Lass uns noch in den Supermarkt gehen, danach werden wir Bericht erstatten", meinte der Detective und ging voran. Trotz dessen es von außen schäbig wirkte, war der Innenraum weitestgehend sauber. Seungmin und er bahnten sich einen Weg durch die Regale bis sie vor der Kasse zum Stehen kamen. Keine weitere Seele war an diesem Vormittag zugegen. Nur die ältere Dame mit ausgefransten grauem Dutt ihnen gegenüber. Im ersten Moment dachte Chan, sie würde sie wegschicken, weil sie nicht in dieses Milleu passten, zumindest von ihren Anzügen und der Aufmachung her.
"Detective Bang Chan und Detective Kim Seungmin vom Sondereinsatzkommando gegen Kapitalverbrechen. Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?"
Die Dame gegenüber schien von ihrem Auftritt nicht sonderlich beeindruckt.
"Ist schon wieder einer der Obdachlosen abgestochen wurden? Dazu kann Ich Ihnen nichts sagen. Die kommen nicht hierher und wenn doch, nur zum Klauen. Aber ich habe einen Besen, der Ihnen zeigt, wo es lang geht."
Seungmin und er tauschten einen Blick. Der Seraphim räusperte sich und hielt der Dame das Passfoto von Riko Yasushi hin.
"Kennen Sie diese Frau?"
Chan rechnete schon damit, dass sie den Beiden das Bild wiedergab und einen herrischen Spruch abließ wie: So ein Mädel hat hier nichts verloren. Kenne ich nicht. Doch entgegen aller Erwartungen schlich sich ein Lächeln auf das Gesicht der Frau, wodurch sie wesentlich jünger wirkte, als Ihre Falten es zuließen.
"Riko. Ein ganz liebes Mädchen. Sie kam einmal pro Woche, um für einen älteren Herren in einem Wohnblock einzukaufen. Die beiden verstanden sich großartig. Da die Kleine ja bei einer Altenpflegerin in der Lehre war, übertrug man ihr diese Aufgabe. Sie blühte in dem Job richtig auf. Was wollen sie-"
Die Frau hielt inne und Erkenntnis spiegelte sich in Ihren Augen wieder.
"Sie ist tot, stimmt's?"
Seungmin nickte. Traurigkeit huschte über seine Augen.
"Ich habe mich schon gewundert, als sie nicht mehr kam. Ich dachte, sie sei krank, aber dann habe ich von einer Kundin erfahren, dass der Mann, den sie betreute, vor zwei Wochen gestorben sei. Tragisch. Alles einfach nur tragisch. Und jetzt auch noch dieses junge Ding", sie seufzte resigniert und sah auf das Foto.
"Ich habe den Laden hier seit über vierzig Jahren. Nie ist mir jemand untergekommen, der so liebevoll und warmherzig war wie sie. Dürfte....dürfte ich dieses Bild behalten?"
Seungmin blickte ihn an und Chan kam nicht umhin diesen Augen für einen kurzen Augenblick zu verfallen.
"Ja, danke für Ihre Zeit."Wenige Minuten später, befanden sie sich in der Luft. Noch konnten sie die Dächer überblicken, doch Chan löste sich von ihrer üblichen Höhe und begann die Wolken anzusteuern, um über sie zu gelangen. Er war aufgewühlt. Nicht zuletzt durch die Erkenntnis, dass sie nichts herausgefunden hatten. Die einzige Möglichkeit, Riko Yasushi auszuwählen, war auf dem Weg von der Wohnung des alten Mannes zum Supermarkt und wieder zurück. Aber das ergab keinen Sinn. Wer suchte sich seine Opfer so aus? Psychopathen suchten Verbindungen, Ähnlichkeiten, irgendetwas Hassenswertes. Jedoch traf, laut Beschreibung, so etwas nicht auf Riko Yasushi zu.
"Was ist los, Chan?", fragte ihn Seungmin auffordernd und hielt inne. Direkt in der Luft. Weit über ihrem eigentlich erlaubten Flugradius.
Die Kälte schmiegte sich um ihre Körper, während der Wind an ihren Flügeln zerrte. Es war stets eine Art Kampf den natürlichen Phänomen der Erde zu trotzen. Chan selbst verspürte in der Luft nie die Kälte, was an der Tatsache lag, dass er ein Wesen der Nacht war. Man könnte meinen seine Haut sei dicker als die der Wesen des Licht, was zweifellos auf die Seraphim zutraf. Denn der Detective sah seinem Gegenüber an, dass der Wind und die Unbarmherzigkeit des Himmels ihm zu schaffen machte. Kurze Strecken war für niemanden ein Problem. Flog man weit unten, störte einen die Kühle auch überhaupt nicht, doch gerade befanden sie sich über den Wolken, wo die Anwesenheit von geflügelten Wesen eigentlich verboten war, da sie den Flugverkehr von Flugzeugen stören könnten.
"Es ist nichts. Mir geht es gut."
Er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, um Seungmin zu überzeugen. Doch war es kein ehrliches Lächeln, würde es bei dem Seraphim auch kein Anklang finden, denn er wusste, wie Leute, vor allem er selbst, zu lesen waren. Schließlich lebten sie seit mehreren Jahren zusammen. Da lernte man sich zwangsläufig kennen.
"Ich merke schon seit Wochen, nein, seit Monaten, dass etwas nicht stimmt. Ich dachte, du kommst von allein zu mir oder wendest dich an Changbin. Aber das hast du nicht getan. Also, was ist los? Warum bist du so verschlossen? Warum fliegst du nur noch, anstatt dich unter die Leute zu mischen, wie du es sonst getan hast? Selbst bei der Befragung gerade, warst du unnormal zurüchaltend. Das ist nicht deine Art."
Chan ließ den Kopf kreisen. Eine Angewohnheit, die er vor einigen Wochen begonnen hatte, sobald ihm etwas unangenehm war. Genau genommen, nachdem er seinen Ex-Mann begraben hatte.
Er biss sich auf die Unterlippe und verweigerte die Antwort. Er konnte es nicht. Er konnte nicht über dieses Thema sprechen, geschweige denn denken, obschon seine Gedanken um nichts anderes kreisten. Seungmin beobachtete ihn eingehend. Kalkulierend, als wäre er eine Formel an einer Tafel, die es zu lösen galt.
"Es geht um Matthew, habe ich Recht?"
Chan zuckte innerlich zusammen. Wie ein getretener Hund blickte er in Seungmins Augen, und was er dort sah, ließ ihn beinahe den Halt in der Luft verlieren. Mitgefühl und Verständnis.
Er wusste natürlich, dass Kim Seungmin ihn irgendwann durchschauen würde, aber es zu hören, was er seit Tagen versuchte zu verdrängen, war wie ein Faustschlag in die Magengrube.
Und dann sprudelte alles aus Chan hinaus.
"Ich ertrage den Gedanken nicht, dass ich den Mann getötet habe, den ich geliebt habe. Mit dem ich tagein tagaus zusammen war. Ich sehe ihn jeden Abend in meinem Träumen. Und.Es.Zerfrisst.Mich. Jeden Morgen wache ich auf und bin schrecklich erschöpft und wünsche mir, dass mir endlich eine Nacht vergönnt ist, an dem ich nicht im Traum seine geschundene Gestalt sehe und wie er mich anfleht ihn zu verschonen. Und....und wie ich es nicht getan habe."
Seungmin war während seines Geschwafels zu ihm geflogen und nahm sein Gesicht in beide Hände.
"Kim Matthew hat dir Schlimmes angetan. Ich weiß, dass du mir bisher nicht alles erzählt hast und das ist okay. Ich liebe dich. Aber Kim Matthew hat jetzt keine Macht mehr über dich. Du bist frei und trägst keinerlei Schuld."
Der Braunhaarige machte eine kurze Pause, in der Chan versuchte wieder zu atmen. Ihn erreichten die Worte zwar, jedoch war er sich nicht sicher, ob er sie annehmen konnte. Zumindest jetzt noch nicht. Er war so gefangen in diesem Käfig aus Schuld, dass er sich am liebsten in die dunklste, tiefste Ecke verkriechen würde, um sich dem Selbstmitleid und dem Selbsthass hinzugeben. Denn er war müde und kaputt und ausgelaugt.
"Ich denke, es ist durchaus berechtigt zu akzeptieren, dass ein Teil von dir mit der verstorbenen Person gegangen ist und ein Teil von ihr geblieben ist. In dir", sagte Seungmin und strich ihm über den Arm. Chan nickte. So fühlte es sich seit Jahren an. Selbst als Matthew noch am Leben gewesen war. Stets und ständig hatte er in heimgesucht. In seinen Träumen, im Alltag, selbst auf seinem Körper, wo die unzähligen Narben ein Mahnmal der Erinnerungen bildete.
Und es war ätzend und ermüdend.
Jeden Tag.
"Das Einzige, was ich weiß, ist: Das ich übersät bin mit Wunden und noch immer auf beiden Beinen stehe. Und das....ist kein Trost."
Seungmin schüttelte energisch den Kopf. Er sah wütend aus, weswegen Chan ein Stück zurückwich. Einem wütenden Seungmin gegenüber zu stehen, war beängstigender als einem Wesen aus der Hölle zu begegnen. Er schluckte die trockene Luft hinunter.
"Doch, Bang Chan. Am Leben zu sein, überlebt zu haben, ist ein enormer Trost. Das solltest du eigentlich wissen. Wir sehen jeden Tag den Tod und es ist grauenvoll, widerwertig und abartig in jeglicher Form."
Er warf die Hände in die Luft.
"Aber! Wir überleben das und gehen weiter. Schritt für Schritt. Dann sind es eben minimale Schritte, aber es geht vorwärts. In deinem Tempo! Okay?"
Seungmin ergriff seine Hände, wobei Chan merkte, wie eiskalt die des Seraphims waren.
"Dann verinnerliche diese Worte bitte, wenn nicht für dich, dann für mich:
Am Leben zu sein ist ein Trost!"___________________________________________
Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen! Weiter geht's und dieses Mal tauchen wir in die Gedanken und Gefühlswelt von Chan ein.
Was sagt Ihr zum Kapitel?
Traumatherapie macht mir riesig Spaß. Zumindest die der Charaktere. Eigene Traumata zu behandeln, ist bescheiden und ermüdend.Feel free to comment!
Flair🌸🌿
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Enigma 《Minsung》
Fanfiction-Pausiert- Erlaube deinen Wunden nicht, dich in eine Person zu verwandeln, die du nicht bist. ~Minho~ Teil 2 Fantasy Police AU Boy x Boy Don't like, Don't read Nebenpairs: Changlix HyunIN SeungChan