II. Liebster Sherlock

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Liebster Sherlock,

Sei dir bewusst, dass du mir ebenso schmerzhaft fehlst, wie ich dir. Doch wie ich bereits begründete, brauche ich Abstand, Luft zum Atmen. Deine Anwesenheit und deine Nähe verhindern es, dass ich eine rationale, überdachte Entscheidung treffen kann. Zu sehr bin ich von dir eingenommen. Ich gestehe, dass es das erste Mal ist, dass mich jemand so kompromisslos und vollständig für sich einnahm, wie du es tust.

Ich gehöre dir, ganz und gar. So wie auch meine Gedanken in jeder Sekunde dir gehören.

Die Landschaft hier ist unbeschreiblich. Rau, wild und doch auch sanft und einladend. Sie erinnert mich an dich. Wenn ich einsam am Rande einer Klippe stehe, hinaus aufs schier endlose Meer sehe und das Wasser an den Felsen donnern höre, dann fliegen meine Gedanken bereits zurück nach London. Wo der Nebel durch die Straßen zieht, das Pflaster von der Luftfeuchtigkeit glänzt und die Stadt vom alltäglichen Leben vibriert. Meine Gedanken sind in der Baker Street, bei dir. Immer. Auch nachts, wenn ich an unsere Nacht denke. Die Begegnung unserer Körper und Seelen auf einer neuen Ebene. Die mir, ebenso wie dir, noch immer klar vor Augen ist und all meine Sinne darauf ausgerichtet sind. Es reicht aus, wenn ich nur an dich denke, deine strahlenden, glimmenden Augen, deine Lippen und dein warmer Atem auf meinen. Schon kehrt die pochende Erregung zurück und die Glut flammt auf.

Es verwirrt mich, Sherlock, denn solche Intensität bin ich nicht gewohnt. Diese Erfahrung fehlt mir in meinem Leben und ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich mich dem hingebe, oder wenn ich widerstehe. Ich ahne allerdings, das ein Widerstehen unendlich schwer würde und ich dieser Gewalt vielleicht niemals entkommen könnte.

Ein Schatten bliebe immer. Die Frage nach dem „Was wäre, wenn...".

Als ich mich entschied, mich dir in dieser Nacht voll und ganz hinzugeben, folgte ich meinen Gefühlen, Sherlock. Ich habe keine Entscheidung getroffen. Ich weiß nur, dass mich mein Herz dazu brachte dies zu tun und ich weiß, dass es diesen Weg schon länger folgt. Vielleicht schon seit dem Tag an dem wir uns zum ersten Mal begegneten, wer kann das schon so genau sagen?

Somit kann ich es dir bestätigen, ich glaube daran, dass es Liebe ist, denn ich habe stets niemals etwas anderes für dich empfunden als Liebe, wenn auch nicht in der Form in der sie jetzt ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich es verhindert hätte, wenn ich gewusst hätte zu was diese Liebe heranwächst. Wahrscheinlich wäre ich auch nicht in der Lage gewesen, diese Gefühle einzudämmen. Demnach werde ich es auch nicht zulassen, dass du so tust als wäre niemals etwas geschehen. Es ist zu spät, die Leidenschaft zwischen uns ist zu mächtig und nimmt zu viel Raum ein um sie noch ignorieren und wegsperren zu können. Es würde dich und auch mich zerreißen.

Wenn wir uns dagegen entscheiden, müssen wir darüber reden, offen und ehrlich und wir müssen uns darauf gefasst machen jede Möglichkeit zu nutzen, um das Erwachsene zu ersticken.

Was feststeht ist, dass wir das nur gemeinsam tun können, keiner im Alleingang.

Ich bin ehrlich zu dir und deswegen muss ich dir sagen, dass ich Angst davor habe, sollte jemand erfahren was zwischen uns geschehen ist. Es geht nicht nur um meine Position als Arzt. Es geht vor allem darum, dass ich eine Erfahrung mit dem Zuchthaus eher abgeneigt bin und vor allem könnte ich es nicht ertragen dich darin zu wissen. Niemand vertraut mehr auf deine Methoden und dein Geschick, als ich, aber wenn nur der geringste Verdacht aufkommt müssen wir schmerzliche Kompromisse eingehen. Ein solches Leben, in einer homosexuelle Beziehung, wäre von ständiger Angst begleitet. Wäre das ein Leben in Liebe wert?

Sherlock, es ist wahr, dass ich, als ich aus Afghanistan zurückgekehrt war, diese Vorstellung eines Lebens und meiner Zukunft hatte. Ich hatte diesen Plan und Traum. Doch Pläne und Träume ändern sich und im Leben kommt es oft anders als es man es erwartet hat.

So habe ich niemals damit gerechnet, einen Mann kennenzulernen, dessen Intelligenz jeder anderen überlegen sein und dass ich mit ihm zusammen leben würde. Du hast mein Leben verändert, Sherlock. Du hast mir Dinge gezeigt und nahe gebracht, die meine Sichtweise auf die Welt verändert haben. So hat sich auch die Sicht auf meine Zukunft verändert.

Zu einer anderen Zeit, in einer anderen Welt, hätte ich dich schon längst geheiratet, wenn dies möglich wäre. Nichts scheint mir eine bessere Vorstellung zu sein, als mein Leben mit dir zu verbringen. Denn du bist alles was ich will und was ich brauche.

Gib mir nur noch ein paar Tage Zeit. Du fehlst mir, aber ich bin mit mir noch im Zwiespalt.

Dein.

John

AfterglowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt