Auf und davon?

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„Was sollte das jetzt werden? Wolltest du dich auch umbringen?", herrschte Jan die 14 Jährige an, ehe er auf die halb zerbrochene Flasche deutete und sich böse schauend auf die Bettkante setzte und etwas unsanft das Desinfektionsspray auf die Wunde an Leonies Handinnenfläche sprühte. Sie zuckte zusammen, verzog aber keine Miene.

Müde, aber mit frischen, mittlerweile nicht mehr pitschnassen Sachen lehnte sie in den Kissen und schaute trotzig auf die beiden Männer.

„Rede mit mir. Was sollte das?"

Dirk rollte mit den Augen, setzte sich auf die andere Seite des Bettes und griff nach dem Heftpflaster, das er vorsichtig in eine quadratische Fläche schnitt und der 15 Jährigen etwas vorsichtiger auf die Wunde klebte.

„Jan, das bringt so nichts. Du siehst doch, dass sie total fertig ist. Sie muss sich erstmal ausschlafen und dann sehen wir weiter."

„Ach ja? Ich hatte dir verboten zum Friedhof zu fahren und du hast dich nicht daran gehalten. Stattdessen finden wir dich hier halb erfroren und mit aufgeschnittener Hand im Gebüsch."
Ohne zu reagieren zog Leonie die Bettdecke enger um sich und starrte an die Decke.

„Du hättest das gleiche getan, wenn es deine Mutter gewesen wäre."

„Nein, das hätte ich eben nicht", rief Jan aufgebracht und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust.

„Ich hätte versucht mein Leben auf die Kette zu kriegen. Unabhängig von allen anderen."

„Wie schön, dass du mit deinem Egoismus wie immer alles besser weißt. Ich weiß das aber nicht", schrie sie und wurde zum Satzende immer leiser, ehe ihre Stimme mit einem leisen Schluchzen endete. Sie war mit den Nerven sichtlich am Ende.

„Sie war meine Mutter, verdammt. Ich konnte mich nicht einmal von ihr verabschieden. Ich hasse sie dafür. Und du hättest einfach auch sehen müssen, wie schlecht es dir geht. Du hast doch nur noch an dich selbst gedacht!", polterte Leonie, weshalb Jan sie völlig perplex und sichtlich wütend taxierte.
Dirk fasste sich als Erster ein Herz, schüttelte mit vorwurfsvollem Blick mit dem Kopf während er auf Farin sah und nach Leonies Hand griff, ehe er ihr bedeutete, dass er sie umarmen wollte.
Wimmernd kroch sie an seine Schulter.

„Jan, du gehst jetzt besser mal kurz. Ihr könnt später weiterreden, aber so hat das keinen Sinn", wisperte er leise, ehe der Blonde laut grummelnd den Raum verließ...

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„Hast du gehört, was sie mir vorhält? Ich wäre egoistisch."
Betrübt hockte Dirk zwei Stunden später auf Farins Couch, während der Sänger gegenüber seines Bandkollegen in seinem Sessel Platz genommen hatte.

„Ihr sind die Nerven durchgegangen. Da sagt man manchmal Dinge, die man nicht so meint."

„Warum verteidigst du sie ständig? Alles was sie tut, wird von dir gerechtfertigt."

„Weil sie ihre Mutter verloren hat und damit erstmal klar kommen muss. Sie weiß nicht mehr, was sie tut oder sagt. Hättest du Kinder, würdest du das vielleicht verstehen."

„Ach, ja? Jetzt wird mir wieder der schwarze Peter zugeschoben? Als Dankeschön, weil ich so dumm war, mich auf das Spielchen einzulassen."
Dirk seufzte, fuhr sich kopfschüttelnd durch die Haare.

„Junge, Mensch Jan. Das war doch keine Kritik an dir. Wenn man keinen eigenen Nachwuchs hat, weiß man nun mal nicht, wie Teenager ticken."

„Und du weißt das? Dein Sohn ist 5 Jahre alt."

„Müssen wir uns jetzt auf dieses Niveau runter begeben? Ein bisschen mehr Verständnis würde dir nicht schaden. Kann es sein, dass du bei der Bemerkung bezüglich Egoismus deshalb so abgehst, weil du dir insgeheim immer noch Vorhaltungen machst? Immerhin hast du sie gefunden."
Direkt ins Schwarze getroffen, Herr Felsenheimer. Natürlich tat sich Jan wie immer schwer, das zuzugeben.

„Ich hab mein Leben gelebt. Was ist daran egoistisch."

„Das ist nicht der Punkt und das weißt du. Sie hat sich umgebracht und du glaubst, du hast sie falsch eingeschätzt."

„Bitte? Seit wann weißt du, was ich denke?"

„Jan, wir kennen uns seitdem wir 16 sind. Du hättest Leonie normalerweise nie aufgenommen, wenn dir die Sache nicht leid täte."
Lang anhaltende Stille, dann begann Farin leise zu sprechen.

„Ich glaube, du gehst jetzt besser. Wir brauchen jetzt alle etwas Zeit, um die Sache sacken zu lassen."
Stumm erhob sich Dirk nach oben und lief zur Tür.

„In 4 Tagen seid ihr auf dem Weg nach Südafrika. Da ist die Sache eh gelaufen", waren Dirks letzte Worte, auch wenn bis dato niemand ahnte, dass dies weniger reibungslos laufen würde, als beide annahmen...

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„Können wir kurz miteinander reden?"
Mittlerweile war ein Tag vergangen und nach langer Funkstille wagte Jan den ersten Schritt und klopfte an Leonies Zimmertür.
Angesprochene verharrte auf ihrem Bett und hörte über die Kopfhörer ihres Iphones Musik, legte die Hörer aber ab, als sie Farin registrierte.

„Ich möchte mit dir sprechen. Darf ich reinkommen?"

„Warum fragst du das jetzt? Es ist doch dein Haus."

„Weil ich dir mit Respekt begegne und man bei jungen Damen anklopft."
Sie ging nicht näher darauf ein, schaltete die Musik aus.

Jan nahm sich ihren Stuhl, auf den er sich umgekehrt setzte, sodass er sich auf der Rückseite mit den Händen abstützen konnte.

„Ich hab mir Sorgen um dich gemacht."

Sie sah ihm kein einziges Mal in die Augen. Zu groß war das schlechte Gewissen.
Jan wählte die Stille bewusst lange, damit sie die Situation der Ruhe aushalten musste.
Zögerlich fing sie an zu sprechen.

„Dass du egoistisch bist, das ist mir so rausgerutscht. Das ist ja Quatsch, weil dann wäre ich es genauso. Ich hätte das einfach nie für möglich gehalten, dass sie das durchzieht und gleichzeitig bin ich immer noch so sauer auf sie und dann vermisse ich sie zur selben Zeit."
Mitfühlend sah der Blonde auf das Mädchen.

„Ich wollte mich einfach nur von ihr verabschieden. Und ich dachte, mit Jack Daniels ist es erträglicher. Hat dann aber super eklig geschmeckt. Ich weiß nicht, wie Dirk das toll finden kann."
Jan lächelte müde, ehe er leise seufzte.
Stille für einen weiteren Moment, ehe sie etwas hervor brachte, was Jan noch lange nachhing.

„Ich muss meinen Eltern nichts bedeutet haben. Mein Vater hat sich nie um mich gekümmert und dann macht meine Mutter so eine Scheiße. Warum hätte sie nicht warten können, bis ich erwachsen bin? Warum so kurz vor meinem 15. Geburtstag?"

„Hey, ich hab dir schon mal gesagt, dass Depressionen Menschen verändern und völlig blind für das machen, was sie eigentlich lieben. Und was deinen Vater angeht, manche Männer sind eben verantwortungslose Schweine. Und nein, daran gibt es nichts schön zu reden. Aber das heißt nicht, dass deinem Vater überhaupt bewusst ist, was er damit anrichtet. Vermutlich hat der ein Problem mit sich, nicht mit dir."

„Ich kenne den ja kaum, weil er sich so früh verpisst hat."

„War bei meinem Vater genauso. Meine Mutter hat die komplette Erziehung übernommen."
Jan räusperte sich.

„Hör mal, ich hoffe, dir ist bei deiner Fluchtaktion niemand über den Weg gelaufen, der uns in die Quere kommen könnte", fühlte er vorsichtig vor, aber sie schüttelte mit dem Kopf.

„Hoffen wir, das du Recht hast. Und was Simone angeht. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir weiterhin offen darüber reden. Damit du auch die Möglichkeit hast zu trauern. Das ist ja alles ziemlich frisch und diese Sache, dass du Wut auf sie hast, das ist total normal. Ich hab das manchmal auch."

„Wirklich?"

„Wut auf mich, weil ich nichts geahnt habe. Wut auf sie, weil sie dich und mich allein gelassen hat. Wut auf die Krankheit und wieder nicht mehr auf sie, weil ich mir dann denke, sie hat nicht mehr rational handeln können. Der Gedanke tröstet ein bisschen. Eigentlich bräuchtest du psychologische Hilfe und ich bin kein Psychologe. Es wäre wichtig in Südafrika jemanden zu finden, mit dem du das aufarbeiten kannst."

„Kommst du wirklich mit?"

„Klar, ich schick dich doch nicht alleine auf diese Rederei. Auch wenn wir davor noch einiges zu erledigen haben. Deine Tante will mich morgen treffen und über deine Mutter reden. Das heißt du wärst dann allein und ich möchte, dass du in der Zeit keinen Mist baust, hast du das verstanden? Keine Alleingänge mehr."

„Versprochen."

Jan schmunzelte traurig.

„Wenn das alles funktionieren soll, dann muss ich mich auf dich verlassen können."

„Ich weiß."
Farin wollte sich gerade nach oben erheben, aber sie hielt ihn mit ihren Worten noch einmal zurück.

„Jan? Wenn du dich mit meiner Tante triffst, dann frag nach Mamas Tagebuch. Vielleicht stehen darin einige Antworten. Ich hab nie darin gelesen, aber ich weiß, dass sie Tagebuch geschrieben hat."
Unschlüssig schaute Jan auf den jungen Besuch, ehe er zur Tür lief.

„Übermorgen ist mein Geburtstag. Können wir den bitte nicht feiern?"

„Warum?"

„Weil mich das zu sehr an Zuhause erinnern würde."

„Mal sehen", zwinkerte er ihr zu, ehe er in seinem Wohnzimmer verschwand...

Niemals (Die Ärzte Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt