Damals

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Wie geplant stand am nächsten Tag das Treffen mit Simones Schwester Hannah an.
Jan übte mit Leonie mehrfach wie er sich verhalten würde und welche Fragen er stellen konnte oder was er besser nicht erzählen sollte. Natürlich wirkte er dementsprechend nervös, denn er war ein schlechter Schauspieler und die Tatsache schien ihm mehr als bewusst zu sein.

Pünktlich um 19 Uhr fuhr er im Bonanza vor. Normalerweise hasste er Cafés, aber er wollte sich nicht verdächtig machen.
Er hatte extra Plätze an einer abgelegenen Stelle reservieren lassen, damit sie ungestört reden konnten, auch wenn ihn das nicht weniger angespannt erscheinen ließ.

Hannah war pünktlich und begrüßte den Blonden mit einer kurzen Umarmung. Äußerlich war sie ihrer Schwester recht ähnlich, was dazu führte, dass Jan ein kurzer Schauer über den Rücken lief. Sie hatte die gleichen Lippen und Augenpartien wie Simone.

„Immer noch keine Spur von Leonie?", begann Farin das Gespräch, aber die junge Frau schüttelte mit dem Kopf.

„Sie suchen jetzt öffentlichkeitswirksam. Ihr Fall wurde bei Aktenzeichen xy präsentiert. Mittlerweile geht man sogar von einem Gewaltverbrechen aus."

Jans Herz begann leicht zu rasen, als sie die Worte ausgesprochen hatte.

„Ich glaube ohnehin an gar nichts mehr. Ich würde nicht mal ausschließen, dass Simones Suizid fingiert war."

Fingiert? Farin glaubte sich verhört zu haben und sah skeptisch auf? Verdammt, jetzt war er extra hier her gekommen und nun drehte diese Frau völlig durch und konfrontierte ihn mit irren Verschwörungstheorien.

„Wie meinst du das?", hakte er nach und erhielt ernste Blicke. Am Ende glaubte sie noch, er hätte mit Simones Tod zu tun und hätte ihn deshalb eingeladen? Doch das schien offensichtlich nicht der Fall zu sein.

„Na, ja sie hat sich mit ihren Presseartikeln nicht bei allen Menschen beliebt gemacht. Außerdem ist sie mit Leonies Vater nicht gerade im Frieden auseinandergegangen. Ist doch merkwürdig, dass der sich ausgerechnet jetzt mit Briefen bei beiden gemeldet hat und 2 Wochen später ist sie tot?"

Davon wusste Farin nichts. Dementsprechend perplex sah er auf.

„Moment, welche Briefe?"

„Thorsten, also Leonies leiblicher Vater hatte nach jahrelangem Kontaktabbruch wieder an beide geschrieben und um ein Treffen gebeten."

Davon musste Leonie entweder nicht in Kenntnis gewesen sein oder sie hatte es Jan verheimlicht, denn das Thema hatte bisher nie zur Debatte gestanden.

„Simone ist mit Leonie damals überstürzt ausgezogen. Oder besser gesagt zu unseren Eltern geflohen, denn Thorsten war ziemlich gewalttätig und hat sie im Rausch etliche Male verprügelt. Davon gibt es auch noch aktenkundige Fotos bei der Charité. Alles schien den Anschein zu machen, als ob er sich schnell damit arrangiert hat und für die Kleine hatte er ohnehin nicht viel übrig, hat sich selten um sie gekümmert. Das lief über mehrere Jahre gut."

„Moment, du glaubst, dieser Thorsten hat sowohl Simone als auch Leonie auf dem Gewissen?"
Jan bemühte sich möglichst offen für ihre Theorie zu wirken, auch wenn er die Denkweise für kompletten Schwachsinn hielt. Es gab zu viele Beweise dafür, dass es Suizid gewesen war.
Hannah nickte selbstverständlich.

Insgeheim freute sich Farin fast ein wenig, denn der Unsinn sorgte dafür, dass die Spuren nicht auf ihn gelenkt wurden.

„Ich kann dir schon folgen, aber eins verstehe ich nicht. Warum wolltest du dich jetzt mit mir treffen?", fragte er frei heraus und erhielt di Antwort postwendend.

„Ich wollte dich einfach darum bitten, nochmal darüber nachzudenken, ob dir irgendetwas aufgefallen ist, als du Simone tot in der Wohnung gefunden hast?"

Anhand der Formulierung dieser Frage merkte Jan, dass er vorsichtig sein musste. Auch wenn Simones Schwester in irre Denkmuster vertieft war, konnte der Zustand schnell kippen und für ihn gefährlich werden.
Gekonnt schauspielernd nickte er mit dem Kopf, ehe er leise zu sprechen begann.

„Simone hatte ihr Handy abgestellt und weil mir das merkwürdig vorkam, bin ich zu ihr gefahren. Ich hatte den Zweitschlüssel und von Anfang an ein merkwürdiges Gefühl. Als ich ankam lag sie in ihrer eigenen Blutlache. Leere Tablettenschachteln um sie herum. Sie war schon ziemlich kalt. Ich gehe davon aus, dass sie bereits mehrere Stunden dort lag. Leonie hatte laut Aussagen der Polizei schon am Vortag bei einer Freundin übernachtet."

Hannah kämpfte mit den Tränen.

„Dann muss der Täter in der Nacht gekommen sein. Er muss das gewusst haben. Vielleicht hat er sie bereits lange vorher beschattet."

Jan sah der Anfang 30 Jährigen in die Augen und wurde mitleidig. Der Tod ihrer Schwester musste bei der jungen Frau eine Paranoia ausgelöst haben. Anders konnte er sich ihr Verhalten nicht erklären, denn die absurden Verschwörungstheorien waren mehr als absurd.

Die Frage war nur, wie er sich möglichst unscheinbar aus der Affäre zog, denn dieser Wahn konnte auch schnell kippen und in Hinblick auf ihn und die Polizei rasch gefährlich werden.

„Ich weiß, dass Simone Tagebuch geschrieben hat", murmelte Jan.

„Vielleicht finden sich darin einige Antworten?"
Aber zu seiner Verwunderung schüttelte sie mit dem Kopf.

„Ich habe ihre Sachen noch gar nicht anschauen können. Aber wenn du mir helfen würdest? Vielleicht könntest du das übernehmen?"

Für einen Moment war der Blonde hin und her gerissen. Eigentlich wollte er sich in die irre Denkweise nicht weiter hinein ziehen lassen. Andererseits würde er vielleicht besser erfahren, was Simone in den letzten Wochen vor ihrem Freitod für ein seelisches Auf und Ab durchgemacht hatte.

„Du kannst mir das gerne zukommen lassen, wenn du möchtest", schlug er höflich vor und erhielt dankbare Blicke.

„Das ist sehr nett von dir, Jan. Sie hat dich sehr geliebt. Das wollte ich dir noch sagen."

Jan nickte schwer. Wenigstens in einer Sache schien sie recht zu behalten.
Für die restliche Zeit versuchte er sie in "Small talk" zu verwickeln. So normal sie dabei auch wirkte, aber in Sachen Simone schien sie wahnhafte Gedankenzüge zu verfolgen.

Da es bereits spät war, beschloss er sie nach Hause zu fahren. Auch weil sie ihm angeboten hatte gleich das Tagebuch mitzugeben.

Jan ahnte, dass er sich damit auf ein gefährliches Spiel einließ. Einerseits hatte er Hannah mit ihren abstrusen Verschwörungstheorien an den Hacken. Andererseits musste das Buch irgendwie zu ihr zurückkommen, ohne dass sie bei ihm Zuhause vorbei schneite.

Und trotzdem. Noch ein letztes Mal an Simones Gedanken teilzuhaben, wirkte verlockend. Zu verlockend...

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„Dirk, im Moment haben echt alle einen an der Waffel. Diese Hannah dreht total durch. Weißt du was die behauptet hat? Sie ist der Überzeugung, dass Simone von ihrem Ex Mann ermordet wurde und sich Leonie in seiner Gewalt befindet", schüttelte Jan über das Gespräch vom gleichen Abend den Kopf.

„Lass dir bloß keinen Mord anhängen", war daraufhin Belas leicht amüsierte Reaktion, als Farin zu seinem Grundstück nach Zehlendorf nach Hause fuhr.

„Das ist gar nicht meine Angst, aber wenn die Mist baut, habe ich am Ende noch die Polizei an der Backe."

„Und was willst du jetzt machen?"

„Keine Ahnung. Aber zu einem weiteren Treffen wird es nicht kommen. Ich muss die mir unbedingt vom Hals halten", antwortete der Blonde kühl, ehe er vor seinem Wohnhaus vorfuhr und den Motor abstellte.
Die Sache mit dem Tagebuch verschwieg er seinem Freund.

„Hör mal, weshalb ich eigentlich anrufe. Leonie hat morgen Geburtstag. Ich musste versprechen, dass ich keinen großen Zirkus mache, weil sie nicht feiern will, aber ich tue mich irgendwie sehr schwer damit. Eine kleine Freude wollte ich ihr schon bereiten."

„Soll ich morgen nochmal vorbei kommen?", brummte Bela, was Jan mit einem Nicken bestätigte, auch wenn der Schlagzeuger das nicht sehen konnte.

„Das kannst du gern tun. Sie würde sich sicher freuen. Eigentlich will ich ihr eine neue Akustikgitarre schenken. Ihre hat sie in der ganzen Aufregung in der Wohnung gelassen und die kann sie logischerweise nicht mehr holen."

„Gute Idee", bestätigte Dirk.

„Dann schenke ich ihr das Equipment. Das kann sie dann auch mit nach Afrika nehmen."
Stille am anderen Ende.

„Erinnere mich bloß nicht daran. Ich will gar nicht daran denken", kam es von Jan, ehe er den Kopf in Richtung Haus wandte.

Die großen Bäume verdeckten die Sicht auf den Hauseingang. Jan hatte damals viel Zeit und Geld in den Kauf des Hauses und die dementsprechende Verdeckung durch Bäume und andere Pflanzen gesteckt, um sein Anwesen vor neugierigen Blicken zu schützen. Die Mühe zahlte sich jetzt aus, denn in einem gewöhnlichen Einfamilienhaus statt seiner Villa wären sie vermutlich längst aufgeflogen.

„Also dann, ich muss Schluss machen. Will noch mit Konstanze telefonieren", kam es von Dirk, ehe die Männer das Gespräch für beendet erklärte.

Jan griff zum Rücksitz von wo er Simones Tagebuch holte.

Mulmig fuhr er über das Cover des Buches. Wohl war ihm nicht dabei, aber er spürte, dass er nur so Antworten auf all die Fragen bekommen konnte...

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 26, 2023 ⏰

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Niemals (Die Ärzte Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt