Nachspiel

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Die milden Sonnenstrahlen dieses, noch jungen Frühjahrsmorgen, zauberten eine angenehme Wärme auf meine Haut. Ich stieß das kleine, hüfthohe Eingangstürchen auf und schob mich in den dahinterliegenden Garten. Über den saftig grünen Rasen, an den liebevoll angelegten Blumenbeeten vorbei, schlenderte ich auf das kleine, in knalligem Hellblau gestrichene, Gartenhäuschen zu. Ich klopfte zweimal an die Türe, um mich anzukündigen, und betrat den hellen, warmen Innenraum. Dort saß sie, wie immer, wenn sie zuhause nicht aufzufinden war, gebeugt über ihren aufgeklappten Laptop. Den Kopf auf beide Hände gestützt, das Gesicht ins Licht des Bildschirms getaucht, über einem ihrer Texte brütend. Ihr schulterlanges Haar trug sie hochgesteckt. Der Geruch von frischem Holz, von Pfirsichen und grünem Tee schwappte mir entgegen.

„Hi Miranda", grüßte ich sie. Sie schaute zu mir auf, lächelte freudig. „Na du? Möchtest du einen Tee?", fragte sie mich. Ich bejahte und so goss sie mir schließlich eine dampfende Tasse Honig-Ingwer auf, während ich mich zu ihr auf die Bank setzte. „Wie geht es dir heute?", erkundigte ich mich nach ihrem Wohlbefinden. Die tränenreiche Trennung von ihrem ersten Freund lag zwar schon etwas zurück, doch die kummerreichen Phasen kamen bei ihr gerne in Wellen zurück, wüteten wie Sturmfluten. Sie nahm einen Schluck Tee und musterte mich für einige Sekunden, ehe sie meine Frage, meine Besorgnis, einfach weglächelte.

„Du musst dich nicht um mich sorgen. Im Gegenteil", sie zeigte auf den hell leuchtenden Bildschirm ihres Laptops, „ich hatte heute Morgen eine wunderbare Idee für den Prolog einer Geschichte. Ich bin in den letzten Zügen. Wenn du magst, kannst du es ja mal überfliegen."

Mir gefiel ihr Enthusiasmus, diese ehrliche Begeisterung, die in ihrer Stimme mitschwang. Selbst in ihren zwischenzeitigen Ausreißern aus dem Tal, hatte ich diesen Eindruck nicht gehabt. Ich beugte mich ein wenig vor, um einen Blick auf den Textblock zu erhaschen.

„...und der brennende Dämon, der Drache in Menschengestalt, stieg aus dem Spiegel", rezitierte ich aus dem, mir vorliegenden, Text, „wenngleich er mich mit seinem Antlitz zu täuschen glaubte. Ich erhob meine Fäuste und stellte mich ihm. Was hatte ich denn zu verlieren?"

„Du schreibst wieder Fantasy? Darf ich hier denn auch wieder die Rolle des großen, edlen und tapferen Kriegers einnehmen?", erkundigte ich mich nach ihrem Plot.

Der große, tapfere Krieger, der am Ende doch nicht das Mädchen abbekommt, welches er so begehrt.

Dies wiederum war stets Neil vorbehalten gewesen. Im echten Leben, wie auch in der Fiktion. Der Schmerz darüber war nurmehr zu einem, kaum spürbaren, Jucken verkommen. Ich hatte gelernt, stattdessen ihre wunderbare Freundschaft als Geschenk zu schätzen. Eine andere Form der Liebe. Wenngleich ohne die Schmetterlinge im Bauch, deren Schönheit so schlicht und vergänglich schien, wie das Grün eines gemeinen Blattes.

„Ehrlich gesagt, will ich davon weg, unsere Abbilder als Helden zu verwenden. Ich möchte meine eigenen Figuren kreieren, all meine Freiheiten ausschöpfen. Das literarische Erwachsenenalter erreichen. Da ist dann kein Platz mehr für alberne Liebesgeschichten über mich und diesen, diesen..."

Sie vermied es, Neils Namen auszusprechen. Auch heute noch. Für einen kurzen Moment erkannte ich die altbekannte, wie verhasste, Finsterkeit in ihrer Miene, welche jedoch kurz darauf von ihrem honigsüßen Lächeln zerrissen wurde. Auch dieser Eindruck bestärkte mich darin, dass sie, gleichwohl ihr Weg noch nicht zu Ende, sie doch schon sehr weit geklettert zu sein schien. Ein erneutes Abrutschen, zurück in das Tal, aus welchem sie sich noch immer mühsam herausarbeitete, erschien mir plötzlich abwegig.

„Was wird aus deinen alten Texten? Wird die Prinzessin der weißen Lande jemals ihr Happy End erfahren? Diese Geschichte fand ich immer sehr interessant", fand ich Worte des Lobes und fügte an, „vielleicht kannst du ja einfach andere Namen für deine Figuren verwenden?"

„Nein!"

Ihre Antwort war ernst und bestimmt. „Diese und meine andere Geschichte habe ich endgültig hinter mir gelassen. Natürlich wünsche ich mir manchmal, die Fäden wieder aufzunehmen und weiterzuschreiben, doch verbinde ich zu viel realen Kummer mit ihnen. So wünsche ich mir ab und an gar, wie ein Drache darin zu wüten, alles zu zerschmettern und auszulöschen, was ich geschaffen habe."

Sie blickte mich aus ihren mandelbraunen Augen an und lächelte herzerwärmend.

„Entschuldige", sie legte ihre Hand auf meine Schulter, „ich hatte dir versprochen, mich nicht mehr über ihn zu echauffieren."

Ich erwiderte ihr Lächeln, wenngleich es wohl unbeholfen gewirkt haben musste, und gab ihr zu verstehen, dass sie sich nicht zu entschuldigen brauchte. Sie klappte ihren Laptop mit beiden Händen zu, beinahe so, als handele es sich dabei um den Deckel einer schweren, alten Schatztruhe. „Vielleicht kehre ich ja irgendwann zurück und verliere gar ein Lächeln über meine vergangenen Ergüsse", lachte sie und nahm einen letzten Schluck aus ihrer Teetasse. Ich tat es ihr gleich, bedankte mich für das Getränk und erhob mich, mit ihr zusammen, von der Bank.

Die warmen Sonnenstrahlen empfingen uns in ihrem Licht, als wir durch die blaue Tür ins Freie traten.

„Wenn du dich gut fühlst und Lust hast, können wir später zusammen ins Stadtcafé gehen, uns ein Stückchen Kuchen genehmigen", schlug ich ihr vor.

„Sahnetorte", rief sie lachend aus, „heute pfeife ich auf meine Linie. Daher ja, ich würde dich liebend gern begleiten."

Selbst wenn du deine Linie missachten würdest, so wärst du immer noch perfekt.

Wir einigten uns auf Treffpunkt und Uhrzeit und gerade als ich mich auch schon wieder verabschieden wollte, fiel sie mir plötzlich um den Hals und drückte mich fest. Perplex zog ich den Duft nach Pfirsich, der in ihren Haaren hing, in meine Nase. „Ohne dich wäre mein Leben nur halb so schön", wisperte sie mir zu. Ich erwiderte ihre Umarmung wortlos und für einen kurzen, einen ebenso schwachen, Moment genoss ich außerdem das Flügelschlagen meiner inneren Schmetterlinge.

Land der SchmetterlingeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt