Kapitel 6

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Die Schule war aus und ich befand mich gerade auf dem Heimweg. Während ich so durch den Wald schlenderte, rauschten meine Gedanken hin und her. Mein Kopf war kurz davor zu explodieren, da ich an so vieles gleichzeitig dachte.

Bei Kim angekommen, hörte ich sie in der Küche. Ein kurzer Blick dorthin verriet mir, dass sie gerade Mittagessen kochte. Leise schlich ich mich in mein Zimmer. Doch ganz so funktionierte es nicht denn die Treppe quietschte bei jeden Schritt. Typisch Holz. Kim bekam das jedoch nicht mit.

Ich zog meine dunkelblauen Sportsachen an und setzte mir meine Kopfhörer auf. Es wurde Zeit wieder ein wenig Joggen zu gehen, sonst würde sich mein Traumkörper in Luft auflösen.

Im Vorgarten wärmte ich meine Gelenke auf und stellte die richtige Musik ein. Dann ging es los. Ich rannte zuerst die Straße entlang und bog dann auf einen Feldweg ab. Dabei ließ ich mich von den verschiedensten Liedern berieseln und versuchte meine Gedanken zu sortieren.

Bei einer einsamen Parkbank hielt ich schnaufend an und setzte mich. Meine Muskeln entspannten sich und langsam beruhigte sich meine Atmung.

Es war ein schönes Plätzchen. Um mich herum standen ein paar Laubbäume, doch die Sicht nach vorne war frei. Ich konnte der Sonne zusehen wie sie langsam hinter dem Hügel verschwand und den Himmel in saftiges Rot tauchte. Nun stand ich wieder auf und streckte mich durch. Dann rannte ich die Strecke zurück. Zum Glück hatte mein Handy den Startpunkt markiert, denn sonst wäre ich irgendwo gelandet.

Kim und ihre Familie saßen gerade am Esstisch.
»Samantha, komm setz dich zu uns.«

»Nein, danke. Ich springe zuerst unter die Dusche.«

»Dann richte ich dir einen Teller für später her.« informierte mich Kim.

Ich nickte und ging in mein Zimmer. Bevor ich unter die Dusche hüpfte, kontrollierte ich noch mein Handy. Heute war ich ganze 18 km gelaufen. Neuer Rekord! Mal schauen, ob ich morgen die zwei Kilometer, die es mehr geworden waren, spürte.

Frisch geduscht und mit nassen Haaren zog ich mir eine graue Leggings an und ein weißes Basic Shirt. Dann begab ich mich nach unten. Es war still und am Tisch stand ein Teller. Da er an meinem Platz stand, ging ich davon aus das er mir gehörte. Ich schnappte ihn mir und spazierte wieder nach oben. Kim musste es nochmal warm gemacht haben, denn es dampfte. Es gab Chili mit einer Scheibe Brot, das eindeutig selbstgemacht war, da es unglaublich duftete. Ich genoss diese Mahlzeit an meinen Schreibtisch und machte danach meine Hausaufgaben.

Als es schließlich kurz vor elf war, kuschelte ich mich in mein Bett und schrieb ein wenig mit Clara. Sie war gerade auch online und endlich konnten wir einfach mal wieder normal miteinander kommunizieren.

Clara: Hi Samantha, was läuft bei dir?

Ich: War heute laufen und hab den schönsten Sonnenuntergang gesehen. Schade das du nicht dabei sein konntest. Ich vermisse unsere gemeinsamen Läufe.

Clara: Ja, ich auch aber du kommst bestimmt bald zurück und dann geben wir wieder Vollgas!

Ich: Ich glaube nicht, das ich so bald wieder zurückkomme. Soph meinte, dass ich bis zum Ende der Sommerferien hier bleiben muss.

Clara: Vielleicht hat sie das nur so gesagt?

Ich: Du kennst Soph.

Clara: Die Hoffnung stirbt zuletzt? Aber erzähl, wie ist die Schule?

Ich: Langweilig! Wirklich! Die machen den Stoff, den wir schon vor Ewigkeiten gemacht haben!

Clara: Ernsthaft?

Ich: Ja!

Clara: Wir haben gerade ein neues Thema angefangen und stell dir vor, wir müssen schon unsere Themen auswählen für die Abschlussprüfungen!

Ich: Echt jetzt?

Clara: Ja!

Ich: Wir haben noch kein einziges Wort über die Prüfungen gesprochen.

Clara: Na, viel Spaß! Ich hab keine Ahnung welche Themen ich nehmen soll.

Ich: Hast du schon Favoriten?

Clara: Nein! Das ist ja das Problem aber ich hab noch zwei Wochen Zeit, um mir das passende zu überlegen.

Ich: Du schaffst das schon!

Clara: Weißt du schon was du studieren willst?

Ich: Nein.

Clara: Du kannst dich nur mehr bis Ende dieses Monats anmelden und da du erst im Dezember 18 wirst, wird es sowieso schwierig.

Ich: Ich weiß.

Clara: Du willst nicht, oder?

Ich: Doch aber ich weiß nicht welchen Studiengang ich wählen soll.

Clara: Nimm doch Mathe.

Ich: Haha, klar Mathe.

Clara: So schlau wie du bist...

Ich: Ich glaube du bist übermüdet. Gute Nacht!

Clara: Gute Nacht!

Ich legte mein Handy weg und schlief mit einem Schmunzeln auf meinen Lippen ein. 

Ein neuer Tag brach an. Mit dem sanften Zwitschern von Vögeln wurde ich geweckt. Draußen schillerten die ersten Strahlen der Sonne über die Erde. Ausgeschlafen sprang ich aus dem Bett und öffnete das Fenster. Wie immer konnte ich das Backsteinhaus von dem Unbekannten erkennen. Auch erblickte ich eine Gestalt, die wahrscheinlich der Besitzer der hübschen Augen war, gerade auf das Feld gehen. Was auch immer dieser komische Typ anbaute, es sah einfach nur traurig aus. Ein wirres Gestänge sprießte aus dem Boden.

Nun wurde es aber Zeit sich für den Tag fertig zu machen. Bevor ich zum Frühstück ging, begutachtete ich mich im Spiegel. Heute trug ich ein sommerliches Minikleid, jenes sehr locker saß und dennoch die Taille mit einem Gummizug gut betonte. Die langen Ärmel waren ebenso sehr weit geschnitten. Es war in ein saften Weiß eingefärbt und hatte kleine Sonnenblumen über das ganze Kleid verstreut. Perfekt für den heutigen Tag, denn heute sollte es ein warmer Maitag werden.

Aber als nächstes gab es Frühstück. Am Esstisch saß noch niemand aber er war schon gedeckt. Kim kam gerade aus der Küche und brachte frisches Brot mit. Der Duft von frischgebackenem Brot kannte ich nur zu gut. Meine Mom...ich hatte schon lange nicht mehr an meine Mom denken müssen und jetzt würde ich mir nicht meinen Tag versauen lassen von der Trauer. Also begrüßte ich Kim mit einem freundlichen »Guten Morgen!«

»Oh, Guten Morgen! Hast du gut geschlafen?«

»Ja hab ich, danke. Du?«

»Ja, danke. Komm setz dich her. Es gibt gleich Frühstück!«

Ich nickte und mir wurde bewusst, dass ich heute zum ersten Mal nicht daran denken musste was die anderen von mir hielten. Schnell warf ich den Gedanken wieder weg denn Rosie und auch der kleine Luke nahmen am Tisch Platz. Müde flüsterte Rosie »Guten Morgen.« in den Raum.

Ich lächelte sie an. Innerlich erschrak mich aber es war so....so anders. Ich wollte lächeln, denn ich war glücklich. Heute war es keine gespielte Emotion und auch kein Funke Arroganz türmte sich in mir auf.

Misstrauisch überlegte ich und schmierte mir ein Brot. Es war schon schön so glücklich zu sein und es befreite sich etwas in mir aber es war auch so ungewohnt und neu. Wollte ich das? Ich wollte glücklich sein aber ich wollte nicht meine Unantastbarkeit verlieren. War es das wert? Sollte ich die Trio-Regeln brechen nur für einen Moment der Freude? Wie lange würde denn dieses Glück anhalten? Nicht lange. Es wurde mir immer genommen. Ich erinnerte mich wieder zurück an all die Momente, die mich zu diesen Menschen gemacht hatten. Nein. Die Emotion glücklich sein war es nicht wert all das wofür ich jahrelang gekämpft hatte aufzugeben.

So schummelte sich in mir wieder mein Arrogantes Ich ein und ich war wieder die Alte. Die die ich kannte und die mir zwar immer den letzten Nerv raubte aber sie konnte nie wieder verletzt werden. Denn niemand würde mein Herz erreichen, welches ich tief verbuddelt hatte.

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