Kapitel 9: Matschtouren

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Am Montag prasselte Regen auf den Wald. Sämtliche Spuren vom Vortag waren somit verloren und die Schularbeiten warteten ohnehin auf uns, wie ein hungriger Fuchs auf seine Mäuse. Pünktlich zur dritten Stunde klappte Akira meinen Laptop auf und loggte sich über meinen Account bei Teams ein, als ich versuchte, dem Chaos in der Küche wieder Herr zu werden.

Während sich in der Konferenz also lautstark begrüßt wurde und Akira zu verstehen gab, dass unsere Kamera leider Gottes nicht funktionieren würde (sehr überzeugend dargestellt, nachdem sie die Kamera einfach zuhielt und dann ausschaltete), befreite ich die Arbeitsfläche Stück für Stück. Nia hatte sich auf die Kaminbank gesetzt und löste ihre Matheaufgaben. Bei dem duschenähnlichen Regen draußen hatten weder sie, noch Nebraska Lust nach Hause zu reiten.

Und so wurden die Charaktere aus unserer Lektüre aufs Neue in Grund und Boden analysiert und Akira sah schon nach einer halben Stunde so aus, als würde sie sich gerne selber aus dem Fenster werfen und ich überließ ihr die Aufgabe, den Wäscheständer in die Küche zu operieren und die Wäsche aufzuhängen. Nach zwei Minuten vor der Videokonferenz bereute ich diese Entscheidung sofort, da ich weder die Lektüre gelesen hatte, noch konzentrationsfähig war.

Erst, nachdem die Küche sauber, das Wohnzimmer gestaubsaugt, das Bad geputzt und dank Nia die Küchenschränke nach Jahren in vernünftige Ordnung gebracht worden waren („Warum zur Hölle liegt euer Nudelholz in der Salatschüssel?"), ließ der Regen am Nachmittag nach. In einer hoffentlich anhaltenden Regenpause machte sie sich auf den Heimweg und Akira und ich planten unsere Einhornfalle.

Mit Draht, Zange und allerhand anderem ging es schließlich ans Werk.

Die Köpfe eng mit den Ponys zusammengesteckt schmiedeten wir so unseren Plan für morgen.

„Izzy kann nicht.", Seufzend sah ich von meinem Handy auf. „Muss mit ihrer Tante auf irgendeine Fohlenschau."

„Kacke..." Akira zupfte Stroh aus dem Ballen, auf dem sie saß.

„Ich muss auf jeden Fall zu McNeil, um nach Heu zu fragen." Ich kraulte Joy über die Schultern, auf deren Rücken ich es mir bequem gemacht hatte.

„Aber wenn Planet noch hier steht, dann kommt unser Dieb sicher nicht." Der Wallach hatte seinen Kopf auf Akiras Schulter abgelegt.

„Er sagt, er kommt mit dir mit." Meine Freundin nickte langsam. „Dann geh ich nach oben ins Badezimmer, falls jemand kommt."

Doch auch die Schule wollte uns am nächsten Morgen nicht in Ruhe lassen. Konzentriert wie selten arbeiteten wir unsere Aufgaben durch, ob sie dann richtig waren stand auf einem anderen Stern, aber fertig waren sie und so konnte ich kurz nach dem Mittagessen endlich mit Joy und Planet von der Lichtung trotten. Der Boden war aufgeweicht vom Regen und schon nach wenigen Metern auf dem Forstweg waren Joys Beine voller Matsch und auch Planets Beine waren mehr braun als schwarz.

Im entspannten Trab ging es zu McNeils Hof. Raus aus dem Wald und über die schmalen Feldwege zu dem kleinen Hof, der ein Stück außerhalb des Orts lag. Eine große, grün gestrichene Scheune schmiegte sich an ein dunkelgrünes Bauernhaus, und einen großzügigen Schafstall. Auch McNeil hatte zwei Ponys, die er damals für seine Töchter gekauft hatte. Mittlerweile waren aber beide Schecken in Rente und seine beiden Töchter ritten auf dem Mühlenhof.

Ich ließ Planet und Joy am Gatter zurück, während ich mich auf die Suche nach McNeil machte. Im Stall wurde ich schließlich fündig.

„Hallo Nora! Was gibt's? Doch noch nicht vom Wolf gefressen worden?", McNeil stellte seine Mistgabel beiseite und kletterte über die Abtrennung zu mir.

„Ich tu mein Bestes.", antwortete ich und zuckte die Schultern. „Wir bräuchten wieder Heu. Hast du noch kleine Ballen?"

Der Schäfer nickte. „Ein paar schon noch. Wie viele brauchst du denn?"

Nicht ein Mal fünf Minuten später zuckelte ich mit den beiden Ponys wieder vom Hof. McNeil würde die Ballen morgen vorbeibringen. Auf dem langsamen Rückweg überprüfte ich immer wieder mein Handy, aber nicht eine einzige Nachricht von Akira wollte auftauchen. Anscheinend war unser Dieb doch nicht so hungrig, wie wir gedacht hatten.

Als wir schließlich gerade den Rand des Orts passierten, vibrierte mein Handy doch. Das Geräusch erschreckte mich so sehr, dass ich fast von Joys Rücken rutschte. Verzweifelt klammerte ich mich an ihren Hals und zog mich wieder nach oben. Mit fahrigen Händen zog ich mein Handy aus der Hosentasche, aber vom Display leuchtete mir Nias Name entgegen. Enttäuscht ließ ich die Schultern sinken.

„Nur Nia.", seufzte ich.

Was sagt sie?, fragte Joy, während Planet versuchte, mit seiner Nase nach meinem Handy zu schnuppern. Und das, obwohl er nicht mal lesen konnte.

„Ob ich schon wieder zuhause bin, oder ob sie mit mir kann."

Wir können sie ja abholen, antwortete meine Stute fröhlich.

Der Gedanke, Nia beim Eichenhof abzuholen machte mir zwar leichtes Unbehagen, aber vermutlich war es das Sinnvollste. Zumal der Eichenhof gerade ein Mal fünfhundert Meter von der Gabelung entfernt lag, auf die Joy jetzt abbog, während ich Nia ein schnelles „Wir holen dich ab" zurücktippte.

Die ordentlich rot und weiß gestrichenen Stallungen kamen schnell näher, ebenso wie der Reitplatz und die große Halle, die fast schon bedrohlich riesig wirkte. Auch Planet schien sich unwohl zu fühlen, denn er zog sich wieder hinter meine Stute zurück.

Ich mochte den Eichenhof nicht. Bisher war ich nur zwei Mal hier gewesen und jedes Mal so schnell wie möglich wieder verschwunden. Vielleicht hatte Maxi doch recht und wir gehörten einfach in den Wald.

Das Geräusch von Joys und Planets Hufen auf dem gepflasterten Hof kam mir unfassbar laut vor, bis wir schließlich neben dem offenen Tor zur Stallgasse zum Stehen kamen. Ich konnte spüren, wie Joy unter mir ihr Gewicht unruhig von rechts nach links verlagerte. Auf dem Reitplatz trabte eine Fuchsstute mit einer Reiterin ihre Bahnfiguren. Eine andere Frau führte einen schwarzen Wallach in den Stall. Sie warf mir einen gleichzeitig verwirrten und abschätzigen Blick zu, der vermutlich vor allem dem wuscheligen Fell und den matschigen Beinen der beiden Ponys galt. Ich wäre gerne im Boden versunken, so fehl wie ich mich hier am Platz fühlte.

Ich kaute auf meiner Unterlippe. Hoffentlich würde Nia kommen, bevor noch mehr Leute kommen würden. Besser noch Leute, die ich kannte. Aber sobald ich den Gedanken zu Ende gedacht hatte, wusste ich, dass ich nicht hätte hoffen sollen. Aus dem Stall schob sich ein vertrauter roter Lockenkopf mit einem Strick in der Hand.


Die Einhörner vom Westwald || Magischer FrühlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt