Kapitel 4: Rüblikuchen und Pfundstücke

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Ich drückte die Tür zum Flur auf. Nach den zweieinhalb Wochen hatte ich mich fast schon an die Abwesenheit meiner Mutter gewöhnt. Während Izzy den Ofen aufheizte, holte ich die Karotten aus der Speisekammer. Beziehungsweise versuchte es. Der Sack, der heute Morgen noch da gewesen war, hatte sich in Luft aufgelöst.

„Izzy!?", rief ich verwirrt in Richtung Küche.

„Ja?!", kam es zurück.

„Hast du die Karotten schon?!"

„Hä?" Ihr Hard-Rock-Café-London Hoodie schob sich durch die Tür.

„Die Karotten sind weg. Oder bin ich dumm?" Ich wies auf die leere Stelle am Boden.

„Ich hab noch eine für Al geholt, bevor wir los sind, aber das wars."

Verwirrt starrten wir beide auf den Fleck Fliesen, an dem auch partout kein Sack Karotten auftauchen wollte. Izzy begann, auch die restliche Speisekammer abzusuchen, aber der Sack hatte sicher nicht plötzlich Füße bekommen.

„Hast du die Tür nicht abgeschlossen?", fragte sie dann und nahm kurzentschlossen zwei Dosen Erbsen aus dem Regal.

„Ich schließ die nie ab. Wieso auch?" Verwirrt folgte ich ihr wieder in die Küche.

„Nora, damit keiner einfach so reinkommt! Normale Menschen schließen die ab!" Sie nahm einen tiefen Atemzug und schaute auf ihr Handy. „Akira hat immer noch nicht geantwortet. Schon seit halb vier nicht."

„Woher soll ich denn auch wissen, dass mir jemand die Karotten klauen will!" Mit etwas zu viel Schwung ließ ich die Pommes mit auf das Blech rutschen.

„Vielleicht waren es nicht nur Karotten!"

Mein Herz sank in Richtung meines Magens. Ich ließ die Packung fallen und begann hektisch alle Dinge durchzugehen, die jemand sonst noch hätte klauen können. Mein Schullaptop. Der lag noch unberührt auf dem Tisch. Auf schlitternden Socken rannte ich die schmale Treppe nach oben in den ersten Stock. Die Kamera von meiner Mutter. Auch diese lag noch unberührt in ihrer Kommode. Auch Uromas kleine Schmuckschatulle stand unverändert an ihrem Platz.

Langsam ging ich die Treppe wieder nach unten. „Alles noch da.", sagte ich langsam

Izzy schloss gerade den Ofen. „Sorry. Ich hätte nicht schreien müssen.", antwortete sie leise.

„Alles gut. Verständlich. Ich bin auch einfach manchmal dumm." Ich holte die Teedose von ihrem Platz auf der Ofenbank, in der Mama und ich unser Kleingeld sammelten, um mein Kleingeldfach nach dem Einkaufen auszuleeren. Das machten wir schon immer so, um auf größere Sachen zu sparen. Doch die Dose hatte nicht ihr übliches Gewicht.

„Du bist nicht doof, nur verpeilt." Izzy klopfte mir auf die Schulter, während ich den Deckel der grünen Dose aufzog.

„Da fehlt was.", sagte ich dann langsam. Meine Freundin schaute über meine Schulter mit in die Dose. Ihre Haare ließen mich fast niesen. „Aber nur die Pfundmünzen." Ich schüttelte die Dose und meinen Kopf.

„Wer klaut denn einen Sack Karotten und ein paar Pfund Kleingeld?" Izzy pfefferte die leeren Packungen in den Papierkorb.

„Vielleicht weiß Akira was. Vielleicht war sie zwischendurch hier?" Ich schloss die Dose wieder.

Izzy setzte gleichzeitig einen Deckel auf den Topf mit den Erbsen und zog ihr Handy aus der Hosentasche. „Um Rüblikuchen zu backen und mit zwei Pfund Stücken zu jonglieren. Ich weiß ja nicht. Außerdem antwortet sie immer noch nicht. Und ans Telefon geht sie auch nicht." Erneut drückte sie die rote Taste, nachdem das Freizeichen gut eine Minute lang die Küche gefüllt hatte.

„Sieht ihr nicht ähnlich." Ich schubste einen Kaminanzünder mit zu den Holzscheiten in den Ofen, damit die Küche wieder eine normale Temperatur annehmen konnte. „Dass sie mal ne Stunde nicht drauf schaut ja, aber so lang..."

„Hast du nicht ihre Festnetznummer?"

Ich verzog das Gesicht. „Immer das gleiche. Entweder geht keiner hin, oder du wirst von ihrem Dad angeschrien, dass er nichts kauft und er keinen Virus auf seinem Rechner hat."

„Super..."

„Aber Nia hat mir vorhin noch geschrieben, ob sie morgen Nachmittag nochmal kommen darf." Ich schloss die Klappe vom Ofen und nahm Izzy die Teller ab.

„Klar, warum nicht?"

Ich nickte langsam. Ein weiteres Mal schlitterte ich zu meinem Handy, das am Stromkabel hing und wählte Akiras Kontakt aus.

In dem Moment, in dem mein Handy mir sagte, dass der angerufene Teilnehmer nicht antworte und Izzy meinte, dass das Essen jetzt wirklich mehr als fertig wäre, polterte es an der Tür.

„Ich bin's!"

„Wo in Arkadias Namen warst du?!"

Izzy ließ fast das Backblech fallen, als Akira in die Küche kam.

„Zuhause?", antwortete Akira fast schon verwirrt.

„Wir haben dich sicher zehn Mal angerufen und geantwortet hast du auch nicht. Nicht mal über die Kette." Izzy drehte ihren Wirbelanhänger zwischen den Fingern.

Akira ließ sich erschöpft an den Tisch fallen. „Akku leer. Tschuldiung. Und bis zu mir nach Hause kommt der Rosenquarz oft nicht." Sie vergrub das Gesicht in den Händen. „Tut mir leid."

„Mach dir kein' Kopf." Ich umarmte sie über ihre Stuhllehne. Sie zuckte. Irgendetwas stimmte nicht. Sie fühlte sich kleiner und zerbrechlicher an als sonst.

Dafür taten die Pommes umso besser. Und ich merkte, wie auch Akiras düstere Gedanken mit Cordon Bleu, Pommes und Erbsen etwas nachließen.

„Schau mal." Izzy schob ihr unsere Skizzen zu.

„Anbau?", fragte Akira unterm Kauen, nachdem sie die Zeichnungen etwas irritiert gemustert hatte.

Ich nickte. „Für das Stroh. Dann ist im Unterstand endlich genug Platz für alle."

„Schaut doch gut aus. Dann müssen unsere Jungs nicht mehr mit deiner Stute kuscheln." Sie hatte ihr grinsen wiedergefunden.

„Ach du, Al stört das glaube ich nicht." Izzy wackelte mit den Augenbrauen.

Akira fing sofort an, eine sehr schiefe Performance von Love is in the Air zum Besten zu geben und ich starb an einem erstickten Lachkrampf.

Die Einhörner vom Westwald || Magischer FrühlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt