Kapitel 10: Eine Falle schnappt zu

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Schnell richtete ich meinen Blick auf Joys Mähnenkamm, in der Hoffnung, einfach unsichtbar zu werden. Auch Joy schien sich große Mühe zu geben, einfach mit ihrer Umwelt zu verschwimmen, was im Anbetracht der Tatsache, dass sie ein 450 Kilo schweres Pony war, nicht ganz so gut funktionierte.

Tims Blick blieb an mir hängen.

„Nora?", fragte er verwirrt, als würde er noch ein Mädchen mit grauem Strubbelpony kennen, die in Arbeitshose ritt. „Was machst denn du hier?"

Ich zwang mich dazu, mein pochendes Herz zu beruhigen. „Nia abholen.", antwortete ich dann langsam.

„Ah. Ich glaube, die ist grade bei den Paddocks und holt Nebraska." Anders als sonst (vermutlich lag es an der Abwesenheit seiner Oberziege), schien er nicht zu denken, ich wäre Dreck unter seiner Schuhsohle. Sein Blick streifte kurz Joys und Planets schmutzige Beine. „Ist es im Wald so matschig?"

Verwirrt starrte ich zu ihm herab. Woher kam denn jetzt plötzlich der Smalltalk? „Geht eigentlich. Auf den Feldern ist es schlimmer."

Er hob die Hand, damit Joy daran schnuppern konnte. Ihre Ohren drehten sich nur zögerlich nach vorne. Er ist nervös., flüsterte sie mir in den Kopf.

„Läuft er eigentlich einfach so mit?" Tim strich Joy sanft über den Hals und nickte in Planets Richtung, der sich so nah an Joy gestellt hatte, dass seine Schulter mir das Blut im Bein abdrückte.

Ich nickte und musste lächeln. Ein bisschen Stolz war ich schon, dass sich Planet mittlerweile traute, ohne seine Akira mit uns ausreiten zu gehen. „Die beiden halten zusammen. Wir haben das lange geübt.", schob ich noch hinterher. Nicht, dass er noch dachte, wir könnten mit unseren Pferden reden.

„Hast du Mathe schon gemacht?", fragte er dann, als wäre es das normalste der Welt, dass er nicht nur plötzlich normal mit mir redete, sondern auch noch mein Pony streichelte, das davon allerdings nicht so begeistert schien.

Wenn du mich nicht vernünftig streicheln kannst, dann lass es., murrte sie in meinen Kopf.

„Ja. War ganz okay." War es zwar nicht und Akira hatte die Matheaufgaben gemacht und ich Latein, aber das musste ich ihm ja nicht auf die Nase binden.

Es entstand eine unangenehme Stille.

„Und, was machst du... so?", nahm ich das Gespräch wahnsinnig geschickt wieder auf.

„Tarek holen. Ich hab jetzt dann Springstunde."

Er versucht dir zu imponieren., flüsterte Joy. Ich unterdrückte ein Prusten.

Tim zog die Augenbrauen hoch. „Witzig?", fragte er skeptisch.

Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass mein Pony mir gerade einen Witz erzählt hatte, der vielleicht nicht einmal so unwahr war.

„Naja... ich... geh dann mal.", sagte er, machte aber keine Anstalten, sich zu entfernen, sondern wirkte eher, als würde er noch etwas sagen wollen. Oder er musste aufs Klo. Eins von beiden.

Mein Handy vibrierte. Mein Herz setzte aus. Hätte Planet mein Bein nicht eingeklemmt, wäre ich vermutlich wieder fast vom Pferd gefallen. Schnell zog ich das zeternde Gerät aus meiner Arbeitshose.

„Ich hab ihn." Leuchtete es mir entgegen. Aus Akiras Chat.

Ich fuhr hoch. „Wo ist Nia nochmal?", fragte ich mit pochendem Herzen, was jetzt definitiv nicht mehr nur an Tim lag und stopfte mein Handy wieder zurück.

„Da hinten.", er wies an der Reithalle vorbei. „Ich muss da ja aber auch hin also kann ich auch-"

„Passt schon." Joy setze sich in Bewegung.

Doch gerade, als ich mein Handy wieder herausziehen wollte, um Nia anzurufen, wurde ich erlöst. Joy wieherte, als sie den Fjordiwallach sah, der über den Hof von den Paddocks aus getrabt kam. Vor ihm lief Nia.

„Sorry." Sie schien außer Atem. „Bin gleich da."

„Keine Zeit. Falle hat funktioniert."

Nias Blick wanderte sehr schnell zwischen mir, Planet und Tim hin und her. Tim stand mittlerweile mitten auf dem Hof und starrte uns beide verständnislos an.

„Ich hol schnell meinen Sattel und-"

„Keine. Zeit!" Ich wies Joy an zu wenden.

Nebraska schien schneller zu denken als Nia. Er schüttelte den Kopf, sodass der Strick in Nias Hand klapperte.

„Oh Akardia, ist das lebensmüde.", murmelte sie noch, bevor sie den Strick abmachte und sich mit Mühe auf Nebraskas blanken Rücken schwang, der sich sofort in Bewegung setzte und an Tim vorbei trabte, der uns mit etwas dusselig halb offenem Mund hinterherstarrte.

Sobald der Boden von Pflaster zum Waldweg wechselte, fielen die Ponys in einen zügigen Galopp.

„Wie macht ihr das denn ohne Sattel?", rief Nia mir zu, die doch etwas Mühe hatte, sich ohne die Einhornmagie ohne Sattel auf Nebraskas Rücken zu halten.

„Mein Pony hat ne Mähne!", rief ich zurück. „Knie zusammen und Arsch entspannen!"

Nur wenige Minuten später bogen wir mit so viel Schwung auf die Lichtung, dass sogar ich gefährlich zur Seite rutschte.

Das Bild, das sich uns bot war so konfus, dass es auch aus einer Karikatur hätte sein können. Am vorderen Pfosten unseres Unterstandes stand jemand, bei dem ich erst beim zweiten hinsehen erkannte, dass es ein Mädchen und kein Junge war. Sie war fast einen Kopf kleiner als Akira, die mit verschränkten Armen vor ihr stand. Die Hände des Mädchens waren hinter ihrem Rücken an den Pfosten gebunden. Ihre Kleidung war dreckig. Die Jeans hatte Löcher und Matschstriemen und ihre Jacke war mindestens drei Nummern zu groß und hatte eine Farbe irgendwo zwischen Dunkelblau und matschigem Schwarz. Die Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht und vor die Augen, mit denen sie Akira förmlich durchbohrte.

Neben ihr, in sicherem Abstand zu Akira, die ihren Blick nicht von dem Mädchen löste, stand ein Pony. Ebenso klein und hager wie das Mädchen. Mit straßenköterfarbenem Fell, struppiger heller Mähne und einem Hinterlauf in unserer Drahtschlinge. Die Augen ängstlich in unsere Richtung gedreht.

Die Einhörner vom Westwald || Magischer FrühlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt