Dritte Iteration

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"Bitte, bitte bleib".
Ein Flehen.

Sil drehte sich, erblickte den jungen Mann. Saß im zerrissenen, dreckigem Hemd inmitten eines verfallenen, alten Hauses. Einst wohl ein wunderschönes Anwesen, nun mehr eine Ruine. Die Fenster grob mit Brettern vernagel, doch viel kein Licht durch die Bretter. Als einziges verblieb eine kleine Lampe mit flackernder Kerze, vor der der junge Mann mit hängendem Kopf saß, bloße Füße wie sie, doch staubig inmitten von gebrochenen Brettern und offen herausstehenden Nägeln.

"Es tut mir so unendlich leid, was letztes Mal passiert ist. Es ist mir egal, wer du bist. Nur bitte, bitte lass mich nicht allein."
Er sah auf, das Gesicht verweint. Lange schon verweint, die Augen gerötet. Er sah gealtert aus.
Vorsichtig schritt Sil durchzerbrochenes Glas und gesprungene Dielen, hockte sich.
"Hey. Auch mir tut es unendlich leid. Ich habe irgendetwas gesagt, was dir Schmerz bereitet hat. Dieses seltsame Wort. Keine Sorge, ich werde es nicht wieder erwähnen, wenn du nicht magst."
Und vorsichtig streckte sie die Finger aus zu ihm, hielt kurz vor seiner Hand inne.
"Ich bin schon so lange hier gefangen, dass ich selbst das Zählen aufgegeben habe. Das Wort, was du erwähntest. Es erinnerte mich an all das, was bereits hinter mir liegt. Die Last, die ich alleine tragen muss."

Und er hob die Hand, die Finger, bis sich ihre Fingerspitzen berührten.
"Fürchtest du mich bereits? Meine boshafte, meine zerstörerische Seite?"
"Du hast doch nur Angst. Wie kann ich über das Urteilen, was dir wiederfuhr als Teil deiner selbst? Bist du etwa nichts als deine Erfahrungen? Wenn deine Vergangenheit das Böse war, lass die Zukunft das Gute sein."
Eine Träne rollte seine Wange herab und er ergriff ihre Hand.
"Lass... lass mich das Gute sein, für dich" hörte Sil sich sagen und erschrak fast selbst.
Doch aus tiefstem Herzen wollte auch sie bleiben.
Die Einsamkeit, ein so tiefer Teil von ihr. Als hätte sie noch nie zuvor ein Wort gesprochen. Der Mann vor ihr war wie ein Licht. Wie die einzige Kerze in einem dunklen Haus. Und eine innere Wärme erfasste sie bei seinem Anblick, wie sie es nie zuvor gefühlt hatte. Als ob sie nie zuvor gefühlt hätte. Und alles, was sie je wollte, war nebem ihm zu sitzen und in die Arme zu schließen, bis die Einsamkeit, bis seine Furcht endete. Und für immer.
Langsam robbte sie neben ihn, seine Hand mit der ihren fest umschlungen. Und als er sich an ihre Schulter lehnte, erfasste sie eine innere Wärme, wie sie es noch nie erlebt hatte. Eine so tiefe Glückseligkeit. Eine kleine Blume brach aus dem toten Holz hervor. Klein und zierlich, gehüllt in weißes Blütenkleid. Und in dieser Welt aus toter Dunkelheit und Kälte war Mann neben ihr wie ein Anker. Sein warmer Körper an ihrem. Sie spürte, wie er atmete und wusste, dass auch er spürte, wie sich ihre Lungen füllten mit der kalten Luft des zerbrochenen Hauses. Ob er spürte, wie ihr Herz schlug? So schnell, als würde sie rennen, laufen. Hinterherjagen nach dem einzigen, was ihr wichtig war. So nah, so nah.

Und ein plötzlicher Ruck, als der Mann in sie hinein fiel. Ihr Arm ganz transparent, sich auflöste. Der Sog erschien, aus dem Himmel jehenseits des Hauses.
"Nein!" schrie der Mann und sprang auf. Er hob die Arme und das Haus ächzte. Das Dach, die Wände zersplitternd wie unter höllischem Druck. Als er begann, den Himmel auf Erden zu ziehen. Die Luft begann zu bersten und wie Welt bebte in ihren Angeln, als sich der Mensch gegen den Gott des Himmels wandte.
"Ich werde dich nicht ein weiteres Mal verlieren, nie wieder. Ich werde sie zwingen, dich gehen zu lassen" sprach er mit verzerrter Stimme, als sich Schwärze auf seinen Armen ausbreitete, Risse durch sie gingen wie durch sprödes Metall. Und er schrie vor Schmerz, als Gott sich bäumte und wand.

Sil stand auf, mit halbtransparentem Körper, wie ein Geist. Legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"Bitte, tu dir das nicht an. Dieses eine Mal musst du das nicht auf dich nehmen. Lass mich gehen, ich werde wiederkommen und wenn das Universum enden mag. Denn nichts mehr verlange ich, als an deiner Seite zu verweilen. Lass mich ziehen. Lass mich dir diese eine Hürde nehmen."
Er drehte ihr den Kopf zu, dunkle Risse in seinem einst makellosen Antlitz.
"Ich habe dich eben erst gewonnen, endlich doch den Sinn gefunden in meiner Gefangenschaft. Dich gehen zu lassen ist wie mir selbst das Herz herauszureißen. Doch ich vertraue dir, dass du wiederkommst."
Sil trat näher.
"Bau mir ein Haus. Ein schönes Haus. Und zeig es mir, wenn ich wiederkomme."
Er lächelte. "Ich werde dir das schönste Haus bauen, das man je gesehen hat."
Auch Sil lächelte nun. "Ach, du meinstest einst, dass du keinen Namen hättest. Das dir nie einer geschenkt wurde. Lass much nun Schenker sein. Es mag nicht der beste sein, aber willst du Min heißen? Nur so eine kleine Idee von mir, ich kann mir auch einen anderen -"
Und Tränen fluteten seine seine Augen.
"Ja, ich will" flüsterte Min, senkte die Arme und schloss sie um Sil, bis zu wieder zu dem Gedanken wurde, der sie einst gebar.


Sil & Min [WIP] [GER]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt