▶ ℙ𝕣𝕠𝕝𝕠𝕘

74 19 20
                                    

"Wir gehen raus in... 120!"

Zwei Minuten. Zwei kurze Minuten, um sich darauf vorzubereiten, was sie draußen sehen würden: eine friedliche Demonstration oder ein gewaltvoller Aufstand. Beides war möglich, aber Olivia hoffte auf Ersteres - allerdings wusste sie, dass viele ihrer Kollegen in der Erase-Einheit Zweiteres bevorzugten, weil es bedeutete, ein paar Klone in Gewahrsam nehmen zu können.

Oder sie zu töten.

Natürlich sollte es eigentlich vermieden werden, dass bei ihrem Eingreifen jemand verletzt wurde, seien es nun Originale oder Klone, aber wenn ein Klon im Zuge des Einsatzes zu Schaden kam, gab es von oben nicht mehr als eine kleine Verwarnung. Die CECI musste höchstens ein paar tausend Dollar Schadensersatz an das Original eines Klons zahlen, wenn überhaupt. Wenn das Original sich von dem Besitzanspruch freigesprochen hatte oder der Klon sich ohne Einverständnis frei bewegte und an illegalen Aktivitäten teilnahm, kostete es sie im Grunde rein gar nichts. Die Körper gelöschter Klone landeten im organischen Abfall, wurden mit Hilfe von eigens gezüchteten Bakterienkulturen innerhalb weniger Tage aufgelöst und gerieten schnell in Vergessenheit.

"Noch 60!", rief Sergeant Sara Reed.

Olivia ließ ihre Schultern ein-, zweimal kreisen und änderte den Griff an dem Maschinengewehr in ihren Händen. In Momenten wie diesen wog die schwarze Uniform und die schusssichere Weste noch viel mehr, zog sie förmlich zu Boden. Einerseits war es nur Kleidung, andererseits war es ein Symbol, das für alles stand, was sie nicht sein wollte - was sie eigentlich gar nicht war. Sie musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie das hier für einen höheren Zweck tat. Für einen Zweck, von dem ihre Kollegen keine Ahnung hatten.

"Noch 20!"

"Wird ja Zeit", murmelte Conrad neben ihr und sorgte damit dafür, dass sie zu ihm aufsah.

Seine braunen Augen wirkten im Schatten des Helms noch viel dunkler als sonst und seine Körperhaltung strotzte geradezu vor Entschlossenheit. Er war ein offener Klongegner, war damit aber bei weitem nicht der einzige in der Einheit. Es war einer der am meist verbreiteten Beweggründe, um Erase beizutreten; dicht gefolgt von der Bezahlung. Die CECI bezahlte verdammt gut hierfür.

"Noch 10!"

Die 15-köpfige Einheit wandte sich in einer Zweierreihe den großen, gläsernen Flügeltüren zu. Jetzt konnten sie sehen, wie einige Police Officer damit zu kämpfen hatten, Personen von der Haupttreppe fernzuhalten und sie daran zu hindern, das Headquarter der CECI zu stürmen.

"8!"

Nach und nach begannen ihre Kollegen, sich mit einer Faust gegen die Schulter zu klopfen, die Schildträger schlugen mit Schlagstöcken auf ihre Schilder, um sich gegenseitig anzuspornen. Es fühlte sich an, als würden sie in eine Schlacht ziehen. Olivia stimmte als Letzte mit ein.

"6!"

Die Flügeltüren wurden geöffnet. Parolen von Demonstranten mischten sich mit den lauten Rufen der Police Officers. Es war längst keine friedliche Demonstration mehr.

"4!"

Olivia klappte das Visier ihres Helms hinunter. Es schützte sie nicht nur vor dem Sonnenlicht und möglichen Angriffen mit Pfefferspray, sondern auch vor Blutspritzern. Ein Blutvergießen war nicht zu vermeiden.

"2! Und... Zugriff!"

Die Zündung einer Rauchgranate, die inmitten der Menge landete, unterstrich den Start des Zugriffs. Der dichte, rote Rauch hinderte die Demonstranten daran zu sehen, wie die Einheit auf sie zustürmte. Wenn sie zu Boden gestoßen wurden, war es für einen Rückzug bereits zu spät.

Roter Rauch.

Rot wie die Liebe.

Rot wie der Hass.

Rot wie der Krieg.

ripped off minds; stolen livesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt