"Der Mensch ist wie eine Spieluhr. Ein unmerklicher Ruck - und er gibt eine andere Melodie an."
(Ludwig Börne)• • • • • • • • • •
Als man Olivia und Eve in den Raum ließ, beendeten die beiden Anführer augenscheinlich gerade eine Besprechung. Neben Artemis und Apollo waren noch fünf andere Klone im Raum anwesend, die aber gerade einige Papiere zusammensuchten und kurz darauf, begleitet von einem leisen Gruß, an den beiden Frauen vorbei den Raum verließen. Sie machten keinen besonders glücklichen Eindruck, aber das traf auch auf die Anführer zu - es war wohl ein verdammt mieser Zeitpunkt für schlechte Nachrichten.
Artemis schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und nahm Apollo, der ihr ein Feuerzeug hinhielt, ebendieses ab, um sie sich selbst anzuzünden. Ihr fehlte seit beinahe sieben Jahren der linke Unterarm, fast so lange, wie es sie gab, aber sie kam bestens zurecht. Sie hatte Liv erzählt, dass ihr Original ihr den Arm abgeschlagen hatte; mit einer Axt. Einfach so, aus Spaß. Weil sie es gewollt hatte. Artemis hatte ihr gegenüber noch nie den Namen ihres Originals erwähnt, aber das war auch schon lange nicht mehr relevant. Sie hatte sie vor fünf Jahren umgebracht, kurz nachdem sie Apollo kennengelernt hatte. Seitdem wurde sie gesucht, allerdings hatte sie sich bisher gut verdeckt halten können.
Natürlich würde sie keinen Prozess bekommen, sollte man sie eines Tages doch fassen. Man würde sie auch nicht anklagen, würde wahrscheinlich nicht einmal mit ihr sprechen. Sie würde sich nicht verteidigen können, würde nicht erklären können, warum sie es getan hatte. Wenn sie Erase in die Hände fiel, wäre es vorbei. Sie würde gelöscht werden. Getötet; wahrscheinlich sogar auf offener Straße, um ein Zeichen zu setzen. Und niemanden dort oben würde es interessieren.
"Was macht ihr hier?", wollte Artemis wissen, nachdem sie einige Male an ihrer Zigarette gezogen hatte. Sie schob sich das lange, wilde schwarze Haar über die Schulter und lehnte sich dann gegen den großen Tisch, auf dem einige Stadtpläne lagen. Wahrscheinlich ziemlich alte Dinger, denn heutzutage hatte man eigentlich jederzeit digitalen Zugriff auf diese Pläne - und wenn nicht, fand man im Grunde an jeder Ecke einen der elektronische Aushänge.
"Es... es gibt etwas, das ich mit euch besprechen muss", setzte Olivia vorsichtig an. "Es ist etwas Wichtiges."
"Und das konntest du nicht alleine machen?", fragte Apollo, der sich mit beiden Händen auf dem Tisch abstützte. Er trug ein schwarzes Muskelshirt, das seinem Namen an seinem durchtrainierten Körper alle Ehre machte. Seine Muskeln waren so intensiv definiert wie die einer antiken griechischen Statue - passend zu seinem selbstgewählten Namen. "Es ist riskant, wenn ihr zwei gemeinsam unterwegs seid."
"Ich weiß. Und das tut mir auch leid", entschuldigte sich Liv und warf Eve einen hilfesuchenden Blick zu.
Die Blondine trat daraufhin neben sie und verschränkte die Arme gelassen hinter dem Rücken. "Ich habe es ihr angeboten. Außerdem habt ihr doch gesagt, dass es wichtig ist, dass wir zusammenhalten. Und das tun wir."
"Da hat sie allerdings recht", erwiderte Artemis und sah nun zu den beiden, wobei ihr Blick aber vor allem auf Olivia lag. "Ich habe gehört, dass es gestern nicht besonders gut gelaufen ist. 21 verhaftete Klone. Zwei davon hast du festgenommen. Und vier andere sind bereits tot."
Es überraschte Liv nicht, dass sie bereits davon wussten. Sie hatten ihre Augen und Ohren überall. Dennoch schluckte sie leicht und senkte betroffen den Kopf.
"Es wird immer schwieriger, etwas zu unternehmen. Ich weiß nicht immer Bescheid, wann eine Demo geplant ist und sie werden auch immer größer... in dem Durcheinander ist es fast unmöglich, Klone und Originale auseinanderzuhalten", versuchte sie sich zu erklären. "Ich habe eine Handvoll laufen lassen können. Habe versucht, langsam zu sein. Noch mehr und es würde auffallen. Aber deswegen bin ich nicht hier."
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ripped off minds; stolen lives
Science FictionONC 2024 | Abgeschlossen | Erst waren es die Künstliche Intelligenzen, dann die Klone: im Chicago des Jahres 2093 ist es nicht unüblich, sich selbst über den Weg zu laufen. Nachdem der CECI, der Chicago Enterprise for Clone Integration, vor 17 Jahre...