Das Gespenst von Sakura.

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Unter der Regierung des Schogun1 Jyemitsu, gegen die Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts, lebte in Sakura, einem in der Provinz Schimosa nicht weit von der Hauptstadt Japans belegenen Städtchen, ein sehr milder, von seinen Untergebenen geliebter und zugleich am Hofe des Schogun hochangesehener Fürst oder Daimio. Als er starb, wurde er überall in seinem Gebiete tief betrauert; die Wehklagen seiner Unterthanen vermehrten sich aber noch, als sich herausstellte, daß sein Sohn und Erbe, Masanobu, keineswegs dem guten Beispiele seines Vaters folgte. Er bedrückte die Bauern auf alle mögliche Weise, und obwohl dieselben lange schweigend alle Drangsale über sich ergehen ließen, so bemächtigte sich schließlich doch die Verzweiflung ihrer Gemüther. Die Dorfältesten traten zusammen und beschlossen, koste es, was es wolle, bei dem Beherrscher des ganzen Landes, dem wie alle Anderen auch ihr Fürst Gehorsam schuldete, im nahen Yedo sich zu beschweren, damit in irgend einer Weise der entsetzlichen Noth und Bedrückung ein Ende gemacht würde.

Der angesehenste und gescheidteste der Dorfvorsteher jener Gegend war ein gewißer Sogoro. Ihm ahnte indessen bei der ganzen Sache nichts gutes, und so weigerte er sich lange, an den Berathungen seiner Genossen teilzunehmen; als er endlich den Bitten derselben nachgab und mit ihnen ging, da nahm er zugleich von seiner Frau und seinen Kindern rührenden Abschied. Die Dorfältesten gingen in ihrer mißlichen Lage selbstverständlich mit großer Vorsicht und Zurückhaltung zu Werke. Sie setzten eine ganz demüthige Bittschrift auf, um zu erwirken, daß das Verfahren ihres Herren und Gebieters wenigstens untersucht würde. Falle die Untersuchung, so sagten sie, zu dessen Gunsten aus, so seien sie zu jeder Sühne und Buße erbötig; falle sie aber gegen denselben aus, so bäten sie in aller Bescheidenheit, aber aufs ernstlichste um Abstellung der Uebelstände. Wie aber Sogoro vorausgesehen, hatte die Bittschrift, die sie auf dem üblichen, vorgeschriebenen Wege an den höchsten Rath einsandten, und von welcher Masanobu als Mitglied dieses Rathes Kunde erhielt, keine andere Folge, als daß sie unter sehr scharfen Drohungen zurückgewiesen wurde. Was sollte man nun thun? Sogoro und noch fünf der Dorfvorsteher, deren im Ganzen dreißig dem Fürsten von Sakura unterstellt waren, übernahmen es, vor dem Palaste zu warten, bis die feierlichen Züge mit den Tragkörben oder Kagos der zur Rathsitzung sich versammelnden Fürsten ankamen, und dann auf gut Glück eine erneute Bittschrift in einen solchen Kago zu werfen. Sie hatten auch Glück; der Brief gelangte in die Hände eines der bestgesinnten der Herren vom Rathe, eines Fürsten von Yamato, ward von ihm mitgenommen und dem Rathe vorgelegt. Schon freuten sich die Dorfvorsteher des Gelingens ihres Planes; den Sogoro aber verließen seine bösen Ahnungen nicht. Eines Tages, während sie noch auf eine Antwort seitens des Fürsten von Yamato warteten, sprach er zu seinen versammelten Amtsgenossen: »Wäre es nicht besser, daß nur Wenige von uns hier blieben und die Uebrigen ruhig nach Hause gingen? Bricht dann das Unheil über uns herein, so leiden nicht so Viele, und die, welche zu Hause sich befinden, können sich dann wenigstens unsere Leichname ausbitten und uns ehrenvoll bestatten, wenn Masanobu's Rache uns ereilt.« Durch solche Worte vermochte er endlich viele der Dorfvorsteher, aus Yedo nach ihrer Heimat zurückzukehren; er selbst aber und diejenigen, welche mit ihm zugleich die Bittschrift dem Fürsten von Yamato übermittelt hatten, mußten dableiben und auf dessen Antwort warten.

Nach sechstägigen Verhandlungen des höchsten Rathes endlich ließ sie jener Fürst zu sich bescheiden und eröffnete ihnen, der hohe Rath wolle allerdings ihre Angelegenheit untersuchen, könne sich aber nicht auf eine Beantwortung ihrer Bittschrift einlassen; vielmehr sei diese ungesetzmäßiger Weise befördert, und dies sei höchst strafbar. Alles, was er, der Fürst von Yamato, für sie habe thun können, sei, daß er ihnen Verzeihung ausgewirkt habe, falls sie die Bittschrift bereitwillig zurück nähmen. Dieser Beschluß, das sah Sogoro nebst seinen Genossen wohl ein, war äußerst betrübend, so wohlwollend er anscheinend auch lautete; unbedingt hatte Masanobu seinen Einfluß aufgeboten und in vollem Maße geltend gemacht. Bis die Untersuchung der Angelegenheit, welche der hohe Rath unabhängig von der Bittschrift zusagte, wirklich in Gang kam, konnten viele Jahre vergehen, und bis dahin hatte Masanobu alle Macht, seine Bedrückungen nur noch ärger auszuüben und sie namentlich gegen die widerspenstigen Dorfältesten zu richten.

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