Blauwurz und seine Folgen

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Die Räder der kleinen Polizeikutsche rumpeln über die gepflasterten Straßen und das Klappern der Pferdehufe durchbricht den alltäglichen Lärm der Stadt, während ich die Akte vom Königsmord noch einmal durchgehe und ganz genau nachlese, ob ich auch wirklich nichts übersehen habe.

Draußen erklingt Stimmengemurmel, fröhliches Kinderlachen hallt durch die verschiedenfarbigen Backsteingemäuer. Fast könnte man dem Eindruck erliegen, Westhaven wäre ein Hort der einzigen Freude und Lebendigkeit.

Doch ich weiß, dass dem nicht so ist. Auch meine Heimat hat düstere und gefährliche Ecken, in denen Gewalt und Angst herrschen. Menschen, die unter Armut leiden und Fae, die wie Aussätzige behandelt werden.

Von seinem Platz mir gegenüber mustert Zabel mich schweigend, ich spüre seinen Blick förmlich auf mir ruhen.

Gerade überfliege ich das letzte Blatt, als wir die Stadtmauer hinter uns lassen und uns weiter gen Osten bewegen. Abgesehen vom Westmeer ist die Hauptstadt Yumandas umgeben von Gebirge und Wald, sodass der Grund bald nicht nur an Steigung zunimmt, sondern auch Bäume den Wegesrand säumen, der inzwischen von Stein in Erde übergegangen ist und sich in Schlangenlinien den Hang hinaufwindet.

„Worüber denkst du nach?", fragt Zabel, derweil sich das Unterholz vertieft.

„Hier steht, der König sei mit blau angelaufenen Lippen aufgefunden worden."

Ich deute mit einem Finger auf die entsprechende Stelle. Zabel zieht eine Brille aus der Innentasche seiner Weste hervor und nimmt mir die Akte ab, während er sie aufsetzt, um die aufgeschlagene Seite mit zusammengekniffenen Augen durchzugehen.

„Tatsache", murmelt er schließlich. „Ich erinnere mich." Über den Brillenrand hinweg sieht er zu mir. „Was ist damit?"

„Hast du schon mal etwas vom sogenannten Blauwurz gehört?", erwidere ich. Irritiert runzelt mein Gegenüber die Stirn und schüttelt dann leicht den Kopf. „Das dachte ich mir fast. In Yumanda kennt kaum einer dieses Kraut, da es aus den Landen der Fae stammt."

„Und, was ist damit?", will Zabel wissen, sein Schnauzbart zuckt verhalten. Offensichtlich gefällt es ihm nicht, mir jeden Satz aus der Nase ziehen zu müssen. „Jetz sag schon!"

„Blauwurz mag zwar noch nicht allzu bekannt bei uns sein, wird aber immer geläufiger. Unter anderem aufgrund seiner bewusstseinsverändernden Wirkung", erkläre ich. „In kleinen Mengen kann es einen Menschen in eine Art tiefen Schlaf versetzen, ideal also für Behandlungen kleiner und großer Wunden." Den Blick unverwandt auf meinen Freund gerichtet, beuge ich mich zu ihm vor. „Wird jedoch eine zu hohe Dosis verabreicht kann es auch zum Tod führen."

Erneut tippe ich mit einem Finger auf die aufgeschlagene Seite der Akte. „Das Gefährliche ist, Blauwurz ist sowohl geruchlos als auch geschmacklos. Genauso kann es kaum nachgewiesen werden, bis auf", verheißungsvoll senke ich meine Stimme ein wenig, „blau angelaufene Lippen und Fingerspitzen."

Zabel senkt den Blick wieder auf die Zeilen vor sich. „Blaue Lippen. Wie beim König."

Ich nicke. „Ganz genau."

„Aber", fährt mein Freund fort und rückt sich die Brille auf der Nase zurecht, „wenn dieses Blauwurz bei uns noch nicht so bekannt ist, dann steckt höchstwahrscheinlich doch noch ein Fae dahinter."

Den Arm auf dessen unteren Rahmen gestützt schaue ich aus dem Fenster, wo die hochstehende Sonne ihre Strahlen durch das dichte Blätterdach wirft. Mannigfaltige Vogelgesänge dringen zu uns herein.

Zabels Vermutung scheint mir eher unwahrscheinlich. Dem Zufolge, was ich über das Volk der Fae weiß, töten sie selten und wenn, dann nicht hinterhältig. Nicht einmal ihren ärgsten Feind würden sie vergiften. Der zielgerichtete Stich ins Herz, von dem in der Akte ebenfalls die Rede ist, passt viel eher zu ihnen.

[ONC 2024] Detektiv Schwarzherz und der Fall des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt