2 - No Homo

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Auch wenn ich es mir selbst nicht eingestehen wollte, freute ich mich die ganze Woche auf den Gottesdienst am Sonntag. Nicht, weil die Predigt so spannend oder die Lieder und Gebete so bewegend werden würden. 

Ich freute mich auf den Gesprächskreis. Denn Sam schlich sich nun immer öfter in meinen Kopf, vor allem abends. Danach hatte ich jedes Mal ein schlechtes Gewissen, aber ich konnte es nicht lassen.

Mein Bedürfnis wurde immer größer, mehr Zeit mit ihm zu verbringen und mit ihm befreundet zu sein. Mein Plan: Ihm beweisen, dass ich ein genauso vorbildlicher Christ war wie er.


Sam saß schon im Stuhlkreis und nickte uns lächelnd zu, als ich zusammen mit Noah den Raum betrat. Neben Sam saß seine Freundin Esther. Ein Anflug von Eifersucht kam in mir auf, als ich die beiden dort sah. Sie waren sich nicht wirklich nah, hielten nicht mal Händchen, trotzdem schaute er sie auf diese ganz besondere Art an und ich wünschte mir für eine Sekunde, dass er mich stattdessen so anschauen würde. Schnell schob ich den Gedanken wieder beiseite und setzte mich auf einen der Holzstühle.

In der heutigen Stunde ging es um die Bibelgeschichte, als Potifars Frau Josef verführen wollte, doch dieser standhaft und Gott treu blieb. Wir sprachen zuerst über die Geschichte selbst. Ich hatte mich auf das heutige Thema extra vorbereitet und versuchte – sonst eher der zurückhaltende Typ – mich so viel wie möglich in das Gespräch einzubringen. 

Ich freute mich über die zustimmenden Blicke, die Sam mir nach meinen Antworten jedes Mal nickend zuwarf und ein wohlig kribbelndes Gefühl in meinem Bauch auslösten.

Dann wurde es ernster:
"Ihr wisst, dass das hier ein Safespace ist", begann Sam, "alles, was wir uns hier erzählen, bleibt hier. Wir können alle ganz offen sein und gemeinsam um Kraft gegen die Versuchungen in unserem Leben beten, damit wir genauso standhaft bleiben wie Josef, als Potifars Frau ihn verführen wollte. Also, falls es in eurem Leben Dinge gibt, bei denen ihr euch jedes Mal schwach fühlt, dann dürft ihr das, wenn ihr wollt, jetzt erzählen und wir beten gemeinsam dafür."

Mir fiel sofort etwas ein, doch im Gegensatz zu ein paar anderen, die von irgendwelchen Schwierigkeiten aus ihrem Leben erzählten, traute ich mich nicht, von meiner Versuchung zu sprechen. Die anderen würden mich danach sicher mit anderen Augen sehen und vor allem Sam würde nicht mehr mit mir befreundet sein wollen.

Den Abschluss machten Sam und seine Freundin. Sie erzählten davon, dass sie oft versucht wären, mehr zu tun, als sich nur zwischendurch einen Kuss zu geben. Doch bisher hätten sie jedes Mal zusammen gebetet und Gott hätte sie davor bewahrt Sex vor der Ehe zu haben.

Wir waren alle erstaunt über so viel Ehrlichkeit und Offenheit der beiden und darüber, dass sie mit uns über so ein intimes Thema sprachen. Ich hatte das Gefühl, dass ihr Beispiel uns in der Runde alle anspornte, ebenfalls standhaft zu bleiben.

Am Ende der Gesprächsrunde knieten wir uns in Zweier- und Dreier-Grüppchen zusammen, um zu beten. Sam fragte mich, ob ich zusammen mit ihm und Esther beten wollte. Ich nickte lächelnd und spürte mein Herz ein klein wenig schneller schlagen. 

Wir nahmen uns während des Gebets an den Händen. Es war mir erst unangenehm, da meine Handflächen vor Aufregung feucht waren, aber die beiden ließen sich nichts anmerken. Andächtig schlossen sie die Augen und ich tat es ihnen gleich.

Sams Gebet berührte mich sehr, vor allem, als er am Ende noch ganz persönlich für mich sprach: "Herr, du weißt auch, was Jona in seinem Leben bewegt und mit welchen Verführungen er zu kämpfen hat. 

Bitte gib ihm die Kraft zu widerstehen. Ich weiß, du liebst ihn und möchtest, dass er dir immer näher kommt, dir immer ähnlicher wird, also sei du bei ihm und begleite und bewahre ihn zu jeder Zeit. Amen."

"Amen", wiederholte ich. Eine Träne befreite sich aus meinem Augenwinkel und rann meine Wange entlang, als ich kurz Esther und dann Sam anblickte.

"Danke", meinte ich zu Sam.

"Sehr gerne", antwortete er. 

Mit etwas steif gewordenen Gliedern erhoben wir uns aus unserer Position und erst jetzt bemerkten wir, dass die anderen schon eher mit ihren Gebeten fertig gewesen waren und leise den Raum verlassen hatten.

"Oh", meinte Sam lachend, "da haben wir uns mit dem Heiland wohl ein bisschen verplappert, aber noch was anderes Jona ..." Wie immer legte Sam mir seine Hand auf die Schulter und blickte mich mit seinen braunen Augen an, was mich verlegen werden ließ. "Ich fand deine Antworten und Beiträge zu unserem Gespräch heute richtig gut. Hättest du nicht Lust am Mittwochabend zu unserem Jugendkreis zu kommen?"

Bisher hatte ich nie das Bedürfnis gehabt, zum Jugendkreis zu gehen. Mir reichte der Bibelinput am Sonntag und in meiner Freizeit traf ich mich lieber mit meinen Kumpels.

Doch jetzt liebte ich den Gedanken sofort, dass ich nicht bis nächsten Sonntag warten müsste, um Sam wiederzusehen.

"Ja, ich komme sehr gerne", meinte ich deshalb. Sams vereinnahmendes Lächeln erschien auf seinen Lippen.


Ich lag abends im Bett. Meine Augen waren geschlossen und ich dachte an Sam. Sein Gesicht direkt vor mir. Die Lippen ganz nah. Oh ja, diese Lippen. Ich wollte sie so sehr küssen. Meine Zunge in seinen Mund schieben. Ihn schmecken. Aber ich wollte noch so viel mehr tun als das.

 Ich wollte ihm das Hemd ausziehen. Es Knopf für Knopf öffnen und seine Brust darunter freilegen. Wie er wohl darunter aussah? Vermutlich genauso gut wie der Rest von ihm. Ich wollte seinen Hals liebkosen. Mit meinen Lippen jeden Zentimeter seiner nackten Haut erkunden. 

Ich wollte ihm währenddessen die Hose öffnen und sie ihm in einem Ruck nach unten ziehen. Ich wollte mich vor ihn knien. Und ich wollte ihn in den Mund nehmen, solange bis er kommen würde.

Heute brauchte ich keinen Porno anzuschauen, während meine Hand in meinen Boxershorts steckte. Die Vorstellung daran, es mit Sam zu tun, erregte mich so sehr, dass ich schon nach wenigen Minuten kam.

Danach folgte sofort wieder das schlechte Gewissen. Was war nur mit mir los? Warum erregte es mich plötzlich so sehr, es mit einem Typen zu tun. War das schon immer in mir, oder gab es irgendeinen Auslöser? 

Ich durchforstete mein Gehirn und erinnerte mich an eine Situation von vor zwei Jahren, als mein Kumpel Chris mit mir einen Porno schauen wollte. "No homo", meinte er damals grinsend, "nur mal gucken". 

Wir saßen nebeneinander und starrten beide neugierig und auch etwas nervös auf den Bildschirm des Laptops. Es war ziemlich erregend, auch wenn ich versuchte, es zu unterdrücken. Plötzlich meinte Chris dann, dass er jetzt leider dringend auf die Toilette verschwinden müsste, um etwas zu erledigen.

Ich erinnerte mich wieder, dass mich der Gedanke daran, dass mein bester Kumpel sich auf dem Klo einen runterholte irgendwie angetörnt hatte. Doch auch damals hatte ich es schnell verdrängt und die Situation wieder vergessen.

Ich seufzte. Ich hatte keine Lust, mich schon wieder hinzuknien und zu beten, ich würde doch sowieso wieder schwach werden. Noch heute Morgen in unserem Jugendkreis war ich so motiviert gewesen, dass ich es schaffen würde. Aber wie es aussah, war ich in der Runde der Versager, der als einziger schwach blieb und dem Gott, aus welchem Grund auch immer, nicht die nötige Kraft dazu geben wollte.

Leise flüsterte ich ein "Es tut mir leid, bitte verzeih mir!" und versuchte dann zu schlafen.

Masturbate, Pray, Repeat! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt