8 - Sag nichts

285 15 107
                                    

Ich starrte auf die Nachricht auf meinem Smartphone und wusste nicht genau, was ich davon halten sollte. Nach zwei Tagen, die ich abgesehen von der Zeit in der Schule mit Liebeskummer im Bett verbracht hatte, bat mich Sam darum, vorbeizukommen. 

Er wollte mit mir zusammen ein paar Bibelstellen lesen und dann dafür beten, dass Gott uns von dieser Versuchung befreien würde.

Aber ich wollte davon doch gar nicht mehr befreit werden. Ich wusste doch jetzt, dass es für Gott vollkommen in Ordnung war und er mich so liebte und angenommen hatte, wie ich nun mal war. Doch plötzlich erfasste mich neuer Mut und ich setzte mich im Bett auf. Ich musste es schaffen, Sam ebenfalls davon zu überzeugen. 

Zur Vorbereitung schaute ich mir nochmal das Youtube-Video an und machte mir Notizen, ansonsten würde ich meine Argumente nachher vor lauter Aufregung wieder vergessen.

Als das erledigt war, nahm ich wieder mein Smartphone in die Hand und schrieb ihm, dass ich in zwanzig Minuten da sein würde.

"Hey, Jona", begrüßte er mich und bat mich herein. Er wirkte ziemlich angespannt und nicht so locker wie sonst.

Aber ich war ebenfalls aufgeregt. Ich hoffte und betete innerlich, dass er offen war für die Dinge, die ich ihm gleich erzählen wollte. Bevor wir zur Treppe gingen, begrüßte ich noch kurz seine Eltern, die gemeinsam in der Küche standen und kochten. 

"Hallo Jona, schön, dass du da bist", lächelten sie. Wenn die wüssten.

Oben in seinem Zimmer setzten wir uns an seinen Schreibtisch. Seine Bibel war schon aufgeschlagen. Ich erkannte die Stelle direkt, da es einer der Texte aus dem Video war. "Lass uns zuerst wieder beten", meinte Sam. Ich nickte und wir schlossen beide die Augen.

"Lieber Gott, du weißt, warum Jona und ich zu dir kommen. Wir bitten dich um Verzeihung für die Sünde, die wir begangen haben und bitten dich darum, dass du uns hilfst, deine Wahrheit zu erkennen, damit wir in Zukunft nicht mehr versucht werden. Bitte befreie uns von dieser Last. Amen."

Ich blieb stumm. Dieses Gebet konnte ich nicht mit einem Amen bestätigen. Doch Sam schien es nicht bemerkt zu haben. Er griff zu seiner Bibel.

"Ich habe ein paar Verse herausgesucht, die ich dir vorlesen will. Ich hoffe, sie helfen uns, endgültig mit der Sache abzuschließen."

Ich räusperte mich und nahm meinen ganzen Mut zusammen. "Ich kenne die Verse schon." Er schaute mich verwundert an. "Sam, ich glaube, Gott hat nichts dagegen. Ich habe mir ein Video angeschaut, in dem erklärt wird, dass die Verse in Anbetracht ihrer Entstehungszeit und der damaligen Umstände interpretiert werden müssen. Wenn man das beachtet, steht dort eigentlich gar nicht, dass Gott etwas gegen Homosexualität hat."

Skeptisch schaute er mich an und schien nachzudenken, dann wandte er den Blick wieder zu seiner Bibel und las den Vers nochmal durch.

"Für mich steht hier eindeutig, dass es für Gott ein Gräuel ist, wenn ein Mann bei einem Mann liegt."

"Ja, aber du musst den Vers richtig einordnen. Paulus hat den Brief an die Römer geschrieben. Damals war es im römischen Reich üblich, dass vor allem die Männer aus den höheren Schichten sich junge Männer ins Bett geholt haben. Das waren meistens Männer oder Jungs aus niedrigeren Schichten, die oft sogar minderjährig waren und das auch nur gegen Bezahlung gemacht haben, oder dazu gezwungen wurden. 

Vielleicht wollte Paulus, der den Brief an die römische Gemeinde geschrieben hat, diesen Missstand anprangern und nicht allgemein damit ausdrücken, dass es für Gott ein Gräuel wäre, wenn sich zwei Männer ineinander verlieben." Ganz außer Puste holte ich Luft. Ich war stolz, dass ich es einigermaßen gut erklärt hatte.

Masturbate, Pray, Repeat! [BxB]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt