Nachbeben

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Nachbeben

Sein Handy vibriert und Kais besorgter Manager redet auf ihn ein.

„Kai, wo bist du?", fragt er eindringlich.

„Komme, musste noch etwas erledigen."

Als Kai eine weitere halbe Stunde später beim Tourbus ankommt, erntet er böse Blicke.

„Sorry", bringt er diesmal zum Erstaunen aller über die Lippen. Seine Groupies haben sich bereits um den Bus versammelt und fotografieren ihn fleißig. Reporter sind keine anwesend.

„Kai, wir lieben dich!", ruft ein blondes Mädchen, wahrscheinlich noch nicht einmal achtzehn Jahre alt. Er fixiert sie und steigt ein. Was weiß sie schon von Liebe.

„Der Soundcheck ist gemacht, die Vorband spielt bereits in Überlänge. Du kannst in zehn Minuten starten", erklärt Liam, der Typ des Technikteams, und verkabelt Kai. Routiniert geht er kurze Zeit später auf die Bühne. Vor ihm erstreckt sich ein Lichtermeer aus Flammen von Feuerzeugen. Die Lichter von Smartphones sind nicht erwünscht. Wenn doch einmal eines aufleuchtet, dann nicht allzu lange.

Es hat sich schnell herumgesprochen, was die Gedenkminute vor jedem Konzertbeginn bedeutet. Kai tritt vor ans Mikrofon, schaut nach oben und sagt: „Für dich." Dann beginnt die Show und ein weiteres Mal ist er erstaunt, es geschafft zu haben, sich auf den Beinen zu halten.

Zufrieden geht er zurück in den Backstagebereich. Eine Zugabe gibt es nicht, denn die hat es für ihn schließlich auch nicht gegeben. Er schreibt einige Notizen in sein Buch und hält kurz inne.

Erst danach kommen seine Kollegen auf ihn zu, denn sie wissen, dass er davor nicht ansprechbar ist.

„Gut gemacht", klopft ihm Liam auf die Schulter. Der Typ mit den treuen Augen ist Kai in letzter Zeit fast schon wie ein Freund geworden.

„Danke, wenn du das sagst, klingt es sogar glaubhaft." Auf all die Blender um ihn gibt er allerdings schon lange nichts mehr. „Kommst du noch mit auf ein Bier?", fragt Kai.

Es ist, als hätte er gerade seinen Austritt verkündet. Die meisten um ihn Herumstehenden sehen ihn mit großen Augen an, die anderen, die nicht so viel Mut aufweisen, suchen den Blick ihrer Kollegen. Noch bevor Liam antworten kann, winkt Kai ab.

„Ach, egal. Ich habe ohnehin noch was vor", sagt er vorschnell und fragt in die Runde, ob man noch etwas von ihm brauche.

„Die Autogrammstunde?", fragt eine junge Dame, die Kai von seinen letzten beiden Konzerten kennt. Er weiß allerdings nicht genau, wer sie eigentlich ist oder was sie hier zu suchen hat.

„Ich habe heute keine Lust", erwidert er knapp und deutet seinen Bodyguards, dass er nun gehen möchte.

Als sich die Tür hinter Kai schließt, atmen alle auf. Es ist wie immer sehr anstrengend neben ihm gewesen und ein jeder hat Angst davor, etwas Falsches zu sagen und damit die gesamte Show zu sprengen. Dabei ist seine Fangemeinde stärker als je zuvor - auch, wenn sie sich verändert hat. Genau wie seine Texte. Genau wie der ganze Kaylie.

Er trägt nun goldene Grillz im Unterkiefer sowie auf den oberen Eckzähnen. Seine Wangen sind gepierct und derzeit trägt er rosa Haare. Eine Reaktion auf ein Interview, bei dem ein Reporter gefragt hatte, ob er seinen weiblichen Künstlernamen aufgrund seiner Homosexualität gewählt hat.

„Alter, erstens bin ich kein Homo und wenn doch, wäre ich ja somit ein Kerl, der nur auf Kerle stehen würde. Wieso sollte ich mir also einen weiblichen Namen zulegen? Und zweitens ... Ach, vergiss es." Damit hatte Kai auch dieses Interview abgebrochen.

MAILAND - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt