Kapitel 8

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Die Autofahrt zurück verlief beinahe wie in Trance. Ich saß erneut auf dem vornehmen Leder der Rückbank und starrte stumm auf die langsam vorbeigleitende Landschaft, über die sich der Schleier der Dämmerung legte. Das Grün der Berge verwandelte sich allmählich in einen Grauton und die Bäume zu Seiten der Straße begannen eine unheilvolle, dunkle Schattierung anzunehmen.

Der Fahrtwind wehte mir Strähnen des Haares, die sich aus dem Zopf gelöst hatten, ins Gesicht und kühlte meine erhitzten Wangen. Müde wischte ich mir über die Augen. Es war ein langer Tag gewesen und die ungewohnte körperliche Anstrengung tat ihr Übriges. Doch meine Gedanken waren aufgewühlt und sorgten dafür, dass die Anspannung meinen Körper wie in einem Schraubstock gefangen hielt.

Denn das konnte alles einfach nicht wahr sein! Ich, Lena Köhler, eine stinknormale Frau aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert, hatte mich plötzlich inmitten einer Nazihochburg wiedergefunden. Und in was für einer! Stück für Stück fielen alle Teile des Puzzles an ihren Platz. Der Berghof – Hitlers Alpenresidenz am Obersalzberg. Hätte ich früher geschaltet, wenn man mir den Ort meines unfreiwilligen Aufenthaltes genannt hätte? Vielleicht.

Warum hatte mir Frau Huber nichts von dieser Nachbarschaft erzählt? Müsste sie nicht stolz darauf sein, in der Nähe dieses seinerzeit so verehrten Führers leben zu dürfen? Wusste dieser Schriftsteller Bescheid? Oder war der Berghof damals ein Ort gewesen, den die Zeitgenossen gar nicht gekannt hatten? Schließlich hatte es ja noch gar kein Fernsehen gegeben, oder? Benommen schüttelte ich den Kopf. Es gab so vieles, das ich nicht wusste und das irgendwie wichtig zu sein schien, wenn man sich hier bewegen wollte.

Aber das hast du doch gar nicht vor, Lena, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf. Wie Recht sie hatte! Sobald ich zurück in meinem Zimmer war, würde ich einen Weg finden, zurück in die Gegenwart zu gelangen und damit diesem Alptraum ein Ende zu bereiten. Doch das Bild, wie mir Hitler plötzlich gegenübergestanden hatte, ließ sich nicht einfach beiseiteschieben. Ebenso wenig wie die Furcht, die mich in diesem Moment gepackt hatte.

Objektiv betrachtet hatte er nichts Angsteinflößendes an sich gehabt. Doch das Wissen um seine Taten sorgte dafür, dass ich mir keinerlei Illusionen machte. Und einem eiskalten Massenmörder gegenüber zu stehen, war natürlich nichts, was man unter einem netten Abend verbuchen konnte. Unstet fuhr ich mit den Fingern über das Polster der Rückbank. Das war etwas, das ich definitiv nicht noch einmal erleben wollte!

Kurz darauf wurde der Wagen langsamer und kam schließlich direkt vor dem Gebäude des Huber-Hofes zum Stehen. Zum letzten Mal ließ ich mir entgegenkommend die Tür öffnen. Ich warf dem Chauffeur ein hastiges Danke zu und beeilte mich dann, jegliche Verbindung zum Berghof hinter mir zu lassen.

Meine Ankunft war nicht unbemerkt geblieben, doch einen Moment später verschwand Frau Hubers Kopf schon wieder hinter der Gardine. Ich war bereits dabei, die schwere Eingangstür aufzuziehen, als der Mercedes schließlich zu wenden begann und das Brummen des Motors dann allmählich in der Ferne verklang. Erschöpft ließ ich die Tür hinter mir zufallen, so dass sie mit einem unbeabsichtigt geräuschvollen Laut in den Rahmen fiel. Frau Huber ließ sich jedoch dennoch nicht blicken, was mir ganz recht war. Ohne aufzuschauen dirigierte ich meine Schritte durch den Frühstücksraum hin zur Treppe.

„Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen."

Die unerwartete Anrede ließ mich zusammenzucken. Vorsichtig hob ich meinen Kopf. Im Schein einer kleinen Leselampe saß Herr Manshagen in einem Sessel am Fenster und betrachtete mich mitfühlend. Ein Buch ruhte in seinem Schoß, den Daumen hatte er als Lesezeichen zwischen die Seiten geschoben.

Verlegen blieb ich stehen. „Wie kommen Sie denn nur darauf?" Dabei hatte er eigentlich Recht. Ein Geist der Vergangenheit, gewissermaßen.

Herr Manshagen neigte seinen Kopf ein wenig zur Seite, so dass das volle Licht auf sein Gesicht fiel, und betrachtete mich forschend. „Sie sehen ein wenig ... aufgewühlt aus, wenn ich das so sagen darf."

Die Entscheidung  ( ONC 2024 )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt