Kapitel 18

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Ich sank auf den Sitz und schloss die Tür und ehe ich es mich versah, befanden wir uns bereits auf der grobgehauenen Straße.

Statt ihr wie neulich nach unten zu folgen, fuhr Eva allerdings um eine Kurve und dann wand sich die Strecke auf asphaltiertem Wege stetig nach oben. Die Hitze des Tages trieb mir Schweißperlen auf die Stirn, obwohl der Fahrtwind über meine Schultern glitt und mich in der dünnen Bluse leicht zittern ließ. Das Brummen des Motors erschien mir ungemein laut und übertünchte die Laute der Natur, die mir normalerweise so viel Freude bereiteten. Ich sah auf die Bergspitzen, die zwischen den Tannen hervorblitzten, ohne sie wirklich wahrzunehmen, und registrierte nur am Rande, dass Eva irgendetwas erzählte, zu dem sie hoffentlich keine Antwort erwartete.

Wir machten kurz an einem Schlagbaum Halt, an dem mir zwei Männer in brauner Uniform ungemein kritische Blicke zuwarfen – hatte ich sie damals auf meiner Rückfahrt zum Huberschen Hof nicht bemerkt? – doch nach wortreicher Erläuterung von Eva ließen sie uns passieren.

„Sie tun nur ihre Arbeit. Man kann schließlich nie vorsichtig genug sein", erklärte Eva. Dann gab sie Gas und kurze Zeit später hielten wir vor dem hellen, mir bereits bekannten Gebäude.

Die Fahne hing heute schlaff herunter, als wäre selbst ihr der Sommertag zu heiß. Nicht der geringste Lufthauch war jetzt noch zu spüren, als wir aus dem Auto stiegen. Ich beugte mich zu meinem Kuchen hinunter – und erstarrte. Die ganzen schönen Zuckergussverzierungen hatten sich in der Wärme verlaufen. Die hübsche Blume in der Mitte hatte sich in einen weißen Fleck verwandelt, wie ein Rest Schnee auf einer Bergwiese. Was aber am Schlimmsten war: der Zuckerguss des markierenden Schnörkels war auseinandergelaufen und bedeckte längst die Fläche dreier Kuchenstücke.

Das Entsetzen fuhr mir in die Glieder und erfüllte meine Adern mit einer Eiseskälte.

„Oh nein!", rief auch Eva aus, nur um dann gleich darauf beruhigend hinzuzufügen: „Aber schau, die Verzierung am Rande ist noch immer hübsch anzusehen, sie ist nur ein wenig breiter geworden."

Ich konnte nur stumm nicken. Hob mechanisch die Platte aus dem Wagen und folgte Eva die Freitreppe hinauf und dann direkt auf eine Terrasse mit steinerner Brüstung, wo unter Sonnenschirmen bereits für eine Kaffeetafel eingedeckt war. Doch weder hatte ich ein Augen für die grandiose Aussicht, die sich von hier aus offenbarte, noch für die Leute, die plaudernd herumstanden, umringt von mehreren kleinen Kindern, die ausgelassen Fangen spielten.

Wie in Trance bekam ich mit, dass mir Leute zum Geburtstag gratulierten, aus deren Worten ich entnahm, dass wir uns bereits kennengelernt hatten. Dann betrat der Hausherr des Berghofes die Terrasse und mit einem letzten Rest an Konzentration achtete ich auf das Verhalten des Dienstpersonals ihm gegenüber. Die Beine drohten unter mir wegzurutschen, als er auf mich zutrat, doch mit äußerster Willenskraft hielt ich mich aufrecht. Und während zitternd mein rechter Arm nach oben fuhr, gab ich mit belegter Stimme ein Heil Hitler von mir.

„Ich wünsche Ihnen alles Gute zum Geburtstag, Frau Köhler. Möge Ihnen ein schönes Lebensjahr beschieden sein", gratulierte er mit einer Stimme, aus der überraschenderweise ein leichter Dialekt durchklang. Ansonsten war sein Ton weder besonders freundlich noch besonders unfreundlich und seine Aufmerksamkeit wandte sich dann glücklicherweise schnell wieder anderen Personen zu.

Ich wischte mir über die schweißnasse Stirn – auch hier ging kein Lüftchen – und griff mit der anderen Hand nach der Lehne des Stuhles vor mir. Irgendjemand hatte mir den Kuchen abgenommen und ihn auf die Kaffeetafel gestellt. Die Kette aus Brombeeren darauf verwandelte sich in meinen Augen zu einem dämonischen Grinsen und dennoch konnte ich meinen Blick nicht abwenden. Ich schluckte krampfhaft, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden, aber erfolglos.

Die Entscheidung  ( ONC 2024 )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt