In der Früh

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Es ist Sonntag Morgen, ich habe gerade gefrühstückt. Jetzt sitze ich wieder einmal auf meinem Bett und schreibe. Am Mittwoch habe ich Englisch Schularbeit, ich habe erst sehr wenig gelernt.
Obwohl - Das ist gar nicht war. Ich lese auf Englisch. Schaue eine englische Serie. Das gilt doch wohl auch?
Langsam öffne ich meine Weste und ziehe sie aus. Es ist heiß, bis zu 40°C soll es heute bekommen.
Und was mache ich heute bei diesem warmen Frühlingswetter? Ich gehe gemeinsam mit meinem Bruder und meinen Eltern in einen Freizeitpark.
Mein Bruder ist älter als ich, viel älter. Letztes Jahr war er doppelt so alt wie ich.
Meine Schwester ist noch älter... sie wird in.... Drei Jahren doppelt so alt sein wie ich.
Welche Information müsste ich euch jetzt noch geben, damit ihr eine Gleichung aufstellen könnt und somit Mathe lernen? Ein Alter würde genügen, glaube ich.
Ich höre, wie eine S-Bahn in den Bahnhof einfährt. Eine Durchsage bei der Straßenbahnstation: "Bitte beachten Sie, dass die Linie 5 im Zeitraum zwischen dem...."
Es ist leiser geworden, ich höre nicht, was ich beachten soll. Ich brauche die Straßenbahn eh nicht, also kann es mir egal sein.
Eine Wespe fliegt durch das offene Fenster in mein Zimmer. Seufzend stehe ich auf und versuche, sie wieder hinaus zu scheuchen. Vergebens. Mit viel Gebrumm fliegt sie gegen meine Wand... und fällt auf den Boden.
Die Fliege war nicht dumm, sie machte sumsumsum und flog mit viel Gebrumm ums rote Pferd herum., dröhnt es in meinem Kopf.
Es ist eine Wespe. Keine Fliege. Und im Moment macht sie keine Anstalten, los zu fliegen.
Also nehme ich ein leeres Blatt Papier, schiebe es unter die Wespe und halte es aus dem Fenster.
Die Wespe war nicht dumm, sie machte sumsumsum und flog mit viel Gebrumm aus meinem Fenster raus.
Ich setze mich wieder zurück auf mein Bett. Nun sehe ich, dass ich eine Nachricht erhalten habe. Es ist Clara.
Sie fragt, ob ich mit ihr Englisch lernen will. Kurz denke ich nach, dann schüttle ich den Kopf. Ich habe keine Zeit. Und Lust auch nicht. Langsam lasse ich meine Finger übers Handydisplay gleiten. "Tut mir leid, ich habe heute keine Zeit.", schreibe ich.
Ich weiß, dass es für euch jetzt, nachdem ihr wohl wisst, wie schwer es mir fällt, endlich mal etwas für die Schule zu machen, komisch klingen wird, wenn ich euch sage, dass ich sehr gut in der Schule bin. Wirklich sehr gut. Ich hatte bis jetzt einmal in einem Zeugnis eine 2. Das war im 1. Gymnasium. Sonst hatte ich immer und überall nur 1er.
Okay okay, in Arbeiten und Tests nicht. Da hatte ich auch 2er. Aber eine 3 oder etwas schlechteres war noch nie dabei. Und eine 6 werde ich nie haben. Denn in Österreich ist die schlechteste Note eine 5.
Die nächste S Bahn fährt ein. Sind wirklich schon 10 Minuten vergangen? Ungläubig blicke ich auf meine Uhr, doch da fällt mir ein, dass ich ja nicht weiß, wie spät es zuvor war.
Mein Handy klingelt. Es ist.... Max. Ich hole tief Luft, bevor ich abhebe. Wann habe ich zuletzt mit ihm telefoniert? Das muss lange her gewesen sein.
"Paula?", fragt Max. Seine Stimme hört sich ganz normal an. So, wie sie sich anhören sollte.
"Tut mir leid, wenn ich dich störe.", sagt er.
"Nein, gar nicht. Ich habe nur.... nichts. Ich habe habe nur nicht damit gerechnet, dass du anrufst."
Ich lächle. Es freut mich, wenn Max mich anruft, wenn er daran denkt, mich um Hilfe zu fragen.
"Ich mache gerade Geschichte.", erklärt Max.
Ich reise die Augen auf. Es ist Wochen her, dass wir ein Portfolio abgeben mussten. Seit dem ist Max am Freitag - wo wir Geschichte haben - nicht in die Schule gekommen.
"Cool! Ich dachte echt nicht, dass du das irgendwann machst!", erwidere ich.
Ich höre Max lachen.
"Und du kannst dir vielleicht denken, dass ich ein paar Rechtschreibfehler habe?"
Ich lache auch.
"Klar, ich lese es gerne durch. Die Glöckner wird sich wundern, wenn du gar keine Fehler hast!"
"Ehm... ja." Im Hintergrund höre ich Max' kleine Schwester nach ihm rufen. "Ich muss auflegen. Danke Paula."
Ich lächle. Ich freue mich riesig, dass mich Max um Hilfe bittet. Ich will auch nicht, dass sein Zeugnis voller 5er ist, deswegen mache ich bei ihm auch manchmal im Bezug zu Hausaufgaben abschreiben eine Ausnahme.
Ich will, dass Max in meiner Klasse bleibt. Wie sehr er sich auch verändert haben mag, er bedeutet mir noch immer etwas. Ich glaube fest daran, eines Tages meinen besten Freund zurückzugewinnen.
Ich sehe, dass Max mir ein E Mail geschickt hat. Ein geteiltes Google Drive Dokument.
Dann mache ich mich jetzt wohl besser an die Arbeit und korrigier es. Bis bald!

An den Grenzen der RealitätWo Geschichten leben. Entdecke jetzt