"Hast du das gehört?"
"Lauf einfach weiter."
"Aber hast du?"
"Ja, verdammt! Lauf einfach weiter." Ronja hat absolut keine Lust sich mental damit auseinander zu setzen, was neben ihnen beiden noch im Wald rum streunert. Sie greift Irmas Hand, diese drückt Ronjas und drückt sich näher an den Körper ihrer besten Freundin.
Wieder raschelt es und ein Grunzen ist zu hören.
"Wildschwein...", wispert Irma zu Ronja. Das Mädchen zieht ihre beste Freundin näher an sich und zeigt auf den Stern, der in Leuchtfarbe an den Baum gemalt wurde.
"Schaue einfach nach den Sternen. Das war der siebte. Noch drei, dann sind wir draußen."
Irma nickt.
"Noch drei."Wäre es Frühling, die Mädchen wären nicht mehr durch den Wald gegangen. Da sind die Wildschweine aggressiver, wegen der Jungtiere. Doch nun ist die Wahrscheinlichkeit tatsächlich angriffen zu werden verschwindend gering. Die Tiere sind an Menschen gewöhnt.
Ronja weiß das. Und sie weiß, dass Irma es ebenfalls weiß. Sie versteht ihre plötzlich Angst nicht. Selbstredend hat sie ebenfalls Schiss. Aber nicht mehr als sonst auch. Ist wohl der natürliche Überlebensinstink des Menschen. Trotzdem, Irma ist sonst auch nicht so nervös. Sie beschließt sie morgen darauf anzusprechen, jetzt bringt das nichts, beschließt sie. Es würde sie wohl möglich noch nervöser machen.
Ihre Hand ist warm und sie schwitzt leicht. Trotzdem hält Ronja die Hand ihrer besten Freundin nun umso fester.
"Der letzte Stern", sagt sie mir Erleichterung in der Stimme.
Die Mädchen treten aus dem Wald. Die Hände noch immer verschränkt. Verschränkt bleiben sie, als sie über das Feld laufen, verschränkt sind sie noch immer, als sie durch die Straßen der kleinen historischen Stadt laufen.
Schweigen begleitet die Mädchen. Es stört sie nicht.
Vor Irmas Haus bleiben sie stehen. "Bis morgen", flüstert die Rothaarige. "Ja, bis morgen."
Irma fässt sich an ihren Hals und reibt diesen. "Soll ich dich begleiten? Ich kann mein Fahrrad mitnehmen und..."
"Schon okay. Alles gut." Irma lacht.
"Klar. Okay. Alles gut. Bis morgen."
Ronja salutiert und macht auf den Absatz kehrt, lässt Irma im Licht der Laterne zurück."Bis morgen", wiederholt sie sich. Nur für sich selbst. Um sich zu versichern, dass sie sich morgen wirklich wieder sehen werden. Sie kann nicht sagen, woher diese plötzliche Unsicherheit kommt.
Sie schüttelt den Kopf und schließt die Tür auf. Aus dem Wohnzimmer dringt Gelächter in den Flur, begleitet von ruhiger Musik. Das Mädchen streift sich die Schuhe ab und betritt das Wohnzimmer.
Ihr Vater lacht herzhaft auf. "Liebling, das ist kein richtiges Wort. Bei aller Liebe, aber das kann ich nicht durchgehen lassen.""Ach komme schon. Lass mich doch mal gewinnen", lacht Irmas Mutter. Der Blick des großen Mannes geht zu seiner Tochter. "Na? Spät heute", stellt er fest. Sein Bart ist kupfernd wie das Haar seines einzigen Kindes, nur das dieser von weißen Härchen durchzogen ist. Seine von Fältchen umrahmten Augen tragen ein beruhigenes Leuchten in sich.
Sie erinnern Irma an einen Leuchtturm in einer Sturm durchzogenen Nacht. Sicherheit und Vertrautheit, eingeschlossen in zwei honigfarbene Iriden.
"Wir waren noch an der Küste. Nach dem Regen, meine ich."
Irmas Mutter nickt. "Du bist fast achtzehn. Ich kann dich nicht aufhalten. Aber ich bitte dich, nicht durch den Wald nach Sonnenuntergang. Wer weiß, welche Leute sich da rum treiben."
Sie lächelt ihre Tochter an. Ihre Haare fallen ihr lang und glatt wie ein schwarzer Fluss über ihre Schultern.Sie richtet sich auf und setzt sich in den Rollstuhl und rollt zu ihrer Tochter.
Sie drückt ihren Rücken durch und umfasst das Gesicht ihres geliebten Kindes.
"Hast du Hunger?"
Irma schüttelt den Kopf.
"Hast du Schmerzen?"
Die Modeschneiderin lächelt. "Ein wenig. Aber keine Sorge", sie schielt zu ihrem Mann, "dein Vater verwöhnt mich mit Massagen und frisch zubereiten Fisch.""Nichts geringeres erwarte ich."
Irmas Vater steht auf und legt seine Arme und die Schultern seiner Frau.
"Es ist noch was übrig. Wenn du magst. "Irma schüttelt den Kopf.
"Nein, aber danke. Ich geh schlafen.""Ist wohl besser, wenn du eine Mütze voll Schlaf bekommst", antwortet er und lehnt sich runter zu seiner Frau.
"Darf ich?" Sie nickt und der Fischer schiebt sie zurück an den Tisch.
"Noch habe ich ich nicht gewonnen."
Sie verdreht ihre grau-blauen Augen.
"Doch, quasi schon. "

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Bad Apples (girlxgirl)
FantasyZwei Freundinnen entdecken die alte Magie ihrer Heimatstadt wieder und wie die Magie zum Leben erwacht und weiter wächst, so verstärken sich auch die Gefühle zwischen den Mädchen, bis das Wort Freundschaft zu klein für die beiden wird. Ausschnitt: "...