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Zitternd stand sie am hohen Fenster und blickte hinunter auf die Stad. Der dicke schwarze Stoff kratzte auf ihrer Haut. Alles lag so friedlich vor ihr. Wenn die Menschen dort unten wüssten, was sich hinter den dicken Steinen der Bibliothek von Aléh verbarg, würde die Stadt dann immer noch so friedlich vor sich hin schlummern? Verächtlich verzog Megan ihren Mund und eine Traurigkeit spiegelte sich in ihren Smaragdgrünen Augen. Augen für die sie getötet werden würde, wenn sie nicht behütet und beschützt in der Bibliothek aufgewachsen wäre. Ein goldener Käfig, ein Gefängnis das nicht nur zu ihrem Schutz, sondern auch zum Schutz dieser Menschen dort unten in ihren Häusern war. Verbittert schnaubte sie und trat vom Fenster zurück. Wie ein flüstern glitten ihre Füsse über den marmornen Stein, schritt über die weichen Felle und Teppiche die hier und da den Boden bedeckten. Warm und Kalt. Megan setzte sich an ihre Kommode und vermied es den Blick auf das Spiegelbild zu richten. Die schwarzen Haare glitten wie ein schützender Vorhang vor ihr Gesicht. Mit der Bürste strich sie sich die Haare glatt. Versunken in Gedanken. Mit Sehnsüchten, die ihr Herz seit kurzem beschlichen. Sie hielt kurz inne und blickte zur Tür. Nicht weit, nur ein paar Schritte von hier, lag das Zimmer in dem der „Junge“ war. Megan's Herz machte einen kleinen Satz. Dieser „Junge“ brachte ihre ganze Welt ins Wanken und sie spürte, dass nichts als Unheil auf sie zukommen würde, wenn sie sich diesen Träumen hingeben würde. Unheil. Ein verbitterter Ausdruck nahm nun den Platz in ihrem Gesicht ein. Sie biss sich so hart auf die Unterlippe, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie durfte keine Schwäche zeigen. Nicht sie.

Ihr Blick streifte den Spiegel. Das Grün ihrer Augen stach wie giftige Pfeile hinter dem schwarzen Vorhang hervor. Sie knallte die Bürste auf den Tisch. Sie erhob sich so rasch, das der Stuhl wackelte. Sie lief fast zum Schrank und riss die Türen auf. Wie im Wahn durchwühlte sie den Schrank bis sie fand was sie wollte: Ein Lacken. Sie drehte sich auf den Absatz um und riss das Lacken in die Höhe. Wie ein Ballon blähte es sich kurz auf, ehe es langsam hinab glitt und sich um den Spiegel schlang, wie ein Geliebter der sehnsüchtig seine Geliebte in die Arme schloss. Gehetzt lief Megan nun hin und her. Ein Handgriff hier, einer dort. Im nu war der dicke Wollstoff von ihrem Körper gerissen und ein dunkler samtig weicher Stoff floss nun über ihre Kurven, schmiegte sich an ihre Haut und schmeichelte ihr. Ihre Knospen drückten gegen den Stoff, denn ihr war immer noch kalt. Vielleicht sollte sie das Feuer nähren. Sie strich sich über ihre Arme, schloss die Augen und atmete tief ein und wieder aus. Ihre Finger umschlangen ihre Oberarme und sie hielt ihren Griff fest um die weiche Haut. Unter dieser Haut, dachte sie, unter dieser Haut brodelt es. Die Säure. Die Säure die alles vernichtet wenn ich die Kontrolle verliere. Sie fröstelte erneut. Ein lautes klopfen liess sie zusammenschrecken. Bei den Drein, wer wollte um diese Zeit etwas von ihr? War jemand verletzt, bedurfte jemand Hilfe? Sie schritt eilends zu Tür und riss sie ohne nachzufragen oder nachzudenken was sie anhatte auf und erstarrte. Sie blickte in weit aufgerissene blaue Augen.

„Ki-Kirin?“ kam es erstickt aus ihrer Kehle hervor. Sie schluckte schwer. Kirin blickte einerseits verwirrt, andererseits geschockt an ihr herunter und wieder hinauf. Megan verschränkte augenblicklich ihre Arme vor sich, als sie seine Blicke bemerkte und spürte wie ihr Gesicht warm wurde. Sie versuchte einen Neutralen blick beizubehalten: „Was willst Du so spät noch hier? Solltest Du nicht längst im Bett sein?“ versuchte sie schnippisch zu klingen, doch ihre Stimme zitterte leicht und brach bei einigen Konsonanten. Ihre Nasenflüge bebten als sie tief Luft holte. Kirin, sich nun ebenso bewusst, was er gerade getan hatte, wie er sie gemustert hatte, versuchte nun seinerseits seinen Blick abzuwenden. Irgendwohin. Nur wusste er nicht WO er genau hinsehen sollte. Er fixierte einen Punkt an der Tür und sprach in die Luft: „I-ich…“ kam es gebrochen aus ihm heraus und er spürte wie sein Gesicht warm wurde. Nervös strich er sich über den Nacken und versuchte nicht daran zu denken das Megan in einem schwarzen Hauch von nichts vor ihm stand. Und obwohl es nur ein kurzer Moment gewesen war, dass er sie gesehen hatte, so hatte sich ihr Bild in seinen Kopf gebrannt und lief in Dauerschleife vor seinem geistigen Auge ab und sein Körper reagierte unwillkürlich auf sie. Kirin schluckte schwer und räusperte sich: „Ich wollte nur…“ begann er und versuchte die Worte in seinem Kopf zu ordnen und seine Gedanken zur Ruhe bringen.

Megan sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Irgendwie konnte sie es nicht verhindern, dass ihre Lippen kurz zuckten und sich zu einem halben Lächeln hochzogen. Obwohl ihr bewusst war, das sie hier zwischen Tür und Flur standen, jederzeit jemand vorbei kommen und sie sehen könnte, richtete sie sich etwas auf um grösser als Kirin zu wirken und spürte wie eine Macht durch sie floss, die ihr noch nicht bekannt war. Ein seltsames Gefühl. Sie fühlte sich so… Überlegen? „Ich wollte mich nur bedanken.“ Kam es kleinlaut aus dem blonden Jungen heraus und riss Megan aus ihren Gedanken. „Bedanken?“ fragte Megan skeptisch und zog die Augenbraue noch höher: „Mitten in der Nacht?“ fragte sie weiter und liess den Kopf leicht schief zur Seite gleiten. Kirin grinste wie ein Vollidiot und Megan verdrehte die Augen. Er war definitiv noch ein „Junge.“ Wenn auch ein gutaussehender Junge – merkte eine Stimme in ihrem Kopf an. „Heute ist Vollmond.“ Riss Kirin sie wieder aus ihren Gedanken und Megan kräuselte die Stirn. Abwartend sah sie ihn an. Kirin versuchte wirklich verzweifelt sich ab zu lenken und krampfhaft irgendwohin zu sehen, nur nicht zu ihr. Dies amüsierte sie wieder und sie lächelte überlegen. „Und?“ hörte sie sich sagen und verstärkte ihren Griff um sich selbst. Sie kam sich je länger je mehr wie auf dem Präsentierteller vor. Kirin strich sich wieder über den Nacken und seine Füsse konnten ebenfalls kaum still bleiben. Einen Fuss drehte er mit der Zehenspitze auf dem Boden hin und her und fixierte diesen Punkt auf dem Boden an, den sein Nacken war vom ständigen hinauf gucken leicht am schmerzen. „Da dachte ich…“ atmete er hecktischer ein und aus und kaute nervös auf der Lippe herum: „Wir… also wir könnten doch. Also.. Gemeinsam. Also, nur wenn Du magst. Ähm, also. Astronomie Turm. Naja. Ähm…“ druckste Kirin herum und Megan konnte nicht anders als lächeln. Ein wirklich süsser Junge. „Ok. Warte kurz ich zieh mir etwas über.“ sagte sie nur und schloss die Tür.

Sie lehnte sich gegen das Holz und atmete mehrmals ein und aus. Ihr Herz schlug so schnell, dass es ihr vorkam, als würde es gleich aus ihrem Brustkorb springen. Sie atmete erneut tief ein und wieder aus und dann huschte sie durch den Raum um sich etwas Warmes über zu ziehen. In ihrem Kopf drehte sich alles. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ihr Körper reagierte ganz eigenständig und obwohl ihr Kopf versuchte sie zu warnen, liess ihr Herz dies nicht zu. Sie wollte mit ihm auf den Astronomie Turm. Mitten in der Nacht. Sie wollte an keine Konsequenzen denken. An kein Unheil. Sie wollte nur diese eine Nacht eine ganz normale junge Frau sein. Und wenn es nur für diese eine Nacht war, dann würde sie es in Kauf nehmen.

Smaragde in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt