Solvet saeclum in favilla

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Dies irae, dies illa, solvet saeclum in favilla

Tag des Zorns, Tag der Zähren, wird die Welt in Asche kehren.

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*Erzählersicht

Velenna wusste viele Dinge. Sie wusste, wie man jemanden töten konnte. Schmerzhaft und langsam, leise und schnell. Sie wusste, wie man Folter standhalten konnte, wusste, wie sie ihren Körper zu bewegen hatte, im eifer des Gefechtes und sie wusste, wie sie Gefühle abschalten konnte. Wusste, wie man kalt und unbarmherzig sein konnte.

Was sie nicht wusste war, wie man Gefühle wieder anstellte. Wie man sein Leben in die Hände einer anderen Person legen und wieder vertrauen konnte, nachdem man aufs übelste verraten wurde. Ihr Lauf durch den Schnee, kam ihr vor wie ein Trauermarsch. Ein schmerzhafter Abschied von ihrem alten Ich.

Velenna machte sich keine Illusion. Eine neue Lebenseinstellung, war kein Allheilmittel. Sie ließ nicht den Schrecken und die Grausamkeiten schwinden und war auch kein Schutzschild gegen neue Albträume. Doch eine neue Lebenseinstellung bewirkte, dass sie ihre Mauer des Schmerzes und der Verbitterung ein Stückchen fallen ließ und diejenigen Nahe bei sich behielt, die ihr gut taten. Saige, ihre zweite Hälfte, Alister und seine Schwestern, die langsam zu ihrer neuen Familie wurden... Velenna Melgren gab es nicht mehr. Enna vielleicht auch nicht und doch war sie nicht so traurig und verzweifelt, wie sie es vielleicht hätte sein sollen. Sie saß vor einer leeren Seite und entschied neu.

Der Schmerz war nicht plötzlich verschwunden und der Verrat tat noch immer weh. Doch Velenna hatte aufgehört sich zu verstecken und alle um sich herum auf Abstand zu halten. Im Laufschritt fasste sie Alister an der Hand, der ihr im Flur begegnete und zog ihn hinter sich her. Und Alister, in all seiner unangefochtenen Loyalität, fragte nicht nach, sondern folgte ihr schweigend.

,,Wo finde ich Mairi?" Imogen schaute überrascht, als Velenna so plötzlich vor ihr auftauchte und ungeduldig auf sie herab blickte. ,,Er ist mit Garrick bei Xaden." Sie seufzte angestrengt, fühlte die altbekannte Ungeduld und die Abneigung gegenüber der Pinkhaarigen. ,,Und wo ist Riorson?" Wenn sie es nicht jetzt durchziehen würde, dann vielleicht nie. Die Flut an Erinnerungen, stoppte einfach nicht. Velenna hatte das Gefühl zu ertrinken. Ihr Verstand brach beinahe zusammen unter der Last. Sie brauchte Antworten. Brauchte einen neuen Weg, bevor sie im Nichts untergehen würde.

Imogen schwieg. In ihren Augen konnte man klar und deutlich die Berechnung sehen, die Argwohn und die Vorsicht. Doch auch eine längst vergessene Emotion, leuchtete in ihnen wieder auf. Diese Sympathie, die sie einst füreinander empfanden. Ein Funken Wut, der sie verband und der vielleicht zu einer Freundschaft hätte heranwachsen können. Velenna wollte darüber nicht weiter nachdenken. Die Plätze in ihrem neuen Leben, waren vorerst alle besetzt. Ob sie Imogen und den anderen je vergeben konnte, stand noch in den Sternen. Bevor sie die Geduld verlieren konnte, setzte Imogen sich auch schon in Bewegung. ,,Worauf wartest du denn?" Alisters Anwesenheit schien sie gar nicht wahrzunehmen. Schweigend folgte das Duo ihr zurück nach draußen. Die Kälte traf sie erneut, wie ein Schlag, doch ihr Verstand blieb benebelt. Über ihnen zog Saige kreise, drohend, wie ein dunkles Versprechen. Man sollte nicht glauben, dass man Velenna jemals alleine gegenüber stehen würde.

Als ihr klar wurde, wohin sie gingen, begannen ihre Beine leicht zu straucheln. Der Baum, nahe des Flusses. Dort, wo alles begonnen hatte. Sie hatte alles vor sich gehabt und doch hatte sie nichts verstanden.

Als sie näher kamen, verstummten die Gespräche und Stille kehrte ein. Velenna wankte nicht. Selbstbewusster denn je, trat sie nach vorne, Xaden gegenüber und verlangte die Wahrheit. Liam hielt den Atem an. Entgegen der Anspannung seiner Kameraden, fühlte er, wie eine Last von ihm abfiel. Er wollte nach vorne stürmen und es ihr sagen. Alles, doch dann bemerkte er Alister und seine Hand, mit der ihren verschränkt. Die Leichtigkeit in ihm, verwandelte sich in etwas dunkles. Etwas pechschwarzes und doch so feuriges, dass er glaubte, von innen heraus zu verbrennen. Ihm war es egal, solange Alister mit ihm brennen würde.

Fourth Wing - Die Glut in meinem HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt