7. Kapitel

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Mein Highlight während der nächsten Tage ist die Verlegung auf eine andere Station.

Ich muss nicht weiter auf der Unfallchirurgie liegen, da meine Wunden mittlerweile verheilt sind. Erst heute morgen haben die Ärzte anhand eines aktuellen Röntgenbildes entschieden, dass ich meinen Arm nicht mehr in einer Schlinge tragen muss. Endlich darf ich ihn wieder normal bewegen.

Oder zumindest soweit, wie es meine verbrannte Haut zulässt. Die ist nämlich leider nicht so dehnbar, wie sie es vorher war.

Seufzend blicke ich mich im Spiegel an. In meinem ganzen Leben war ich noch nie ein Model gewesen. Ich war nie super durchtrainiert oder habe viel Wert auf mein äußeres Erscheinungsbild gelegt, sondern war pragmatisch veranlagt.

Hat mich mein Bart gestört, habe ich ihn abrasiert. Wurden meine braunen Haare zu lang, ging es zum Friseur. Eine Jogginghose war meistens Bestandteil meines Lieblingsoutfits, mit der ich mich auch regelmäßig in den Supermarkt getraut habe. Mir war nie etwas unangenehm gewesen.
Aber jetzt wird mir bei dem Gedanken schlecht, jemals wieder einen Supermarkt zu betreten.

Die Verbrennungen entstellen meine komplette rechte Seite.

Es ist das erste Mal, dass ich mich selbst ohne Verbände sehe, seit der Unfall geschehen ist. Mein rechter Arm ist oberflächlich komplett mit Brandnarben übersät, die Haut ist rot und sieht für mich fremd aus.
Leider zieht sich eine Narbe meinen Hals hinauf und endet knapp über meinem rechten Kieferknochen.

Selbst mein lückenhaft gewachsener Bart kann sie nicht verstecken, da an dieser Stelle einfach keiner mehr wächst.

Missmutig halte ich den Rasierer unter den Wasserstrahl und spüle den Rasierschaum ab. Dann ziehe ich ihn erneut über meine Wange. Ein ratschendes Geräusch entsteht, während ich mich komplett rasiere. Ich fühle mich etwas wohler danach, aber erkenne mich dennoch selbst kaum wieder.

Meine Kieferknochen sind deutlich zu erkennen, meine Wangen leicht eingefallen. Ich habe in den letzten Wochen deutlich an Gewicht verloren, was mein Gesicht kantiger macht. Wäre die hässliche Narbe nicht zu sehen, fände ich mich mit ein paar Kilogramm weniger auf den Rippen attraktiver als ich es vorher war. Aber diese Narbe zerstört einfach alles.

Sie ist der bildliche Beweis dafür, dass auf einmal alles anders ist. Seit dem Unfall ist mein Leben komplett aus den Fugen geraten. Abgesehen von der Sache mit den Schutzengeln, lebe ich offensichtlich noch länger hier im Krankenhaus.

Ich bin auf die Station von Joyce verlegt worden. Zu den Bekloppten. Auf die Psychiatrie.

Sie hat mehrfach mit mir darüber geredet und mir nahegelegt, dieser Verlegung zuzustimmen. Hier würde sie viel greifbarer für mich sein, wir könnten unsere Therapie besser fortführen und öfter Sitzungen abhalten.

Die Polizei macht ihr täglich Druck, dass ich endlich eine Aussage machen soll, aber sie verschiebt es immer wieder nach hinten. Die Beamten sind davon nicht begeistert, aber sie müssen sich auf die Einschätzung meiner Psychiaterin verlassen.

All diese Argumente hören sich sinnvoll an. Trotzdem schmerzt es, dass ich nicht einfach nach Hause gehen kann.
Es geht mir gut. Ich bin nicht verrückt.

Eine Situation wie vor einigen Tagen in der Cafeteria ist nicht nochmal passiert. Seit diesem Augenblick ist es keinem Engel mehr gelungen, meinen Körper zu kontrollieren und mich der Realität zu entziehen. Ich bin stärker geworden, ich kann alles wieder distanzierter betrachten.

Devon ist in den letzten Tagen ruhiger geworden. Er hält sich oft im Hintergrund auf, sagt aber nicht mehr viel. Meistens starrt er nur nachdenklich vor sich hin.
Ich habe schon mehrfach überlegt, ob ich ihn darauf ansprechen soll. Am Ende habe ich es aber doch nicht getan.

TodesengelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt