9. Kapitel

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Die nächsten Minuten starren wir beide nachdenklich vor uns auf die Tischplatte.

Ich drehe das abgerissen Blatt der Pflanze in meinen Händen hin und her, bis Devon es mir genervt aus den Fingern reißt. Er lässt es auf den Boden fallen und ich grinse amüsiert, als er dem Blatt mit angewidertem Gesichtsausdruck hinterher sieht.

»Für Pflanzen hattest du wohl noch nie etwas übrig«, stelle ich fest. Er schüttelt mit dem Kopf. »Außer für die, die man rauchen kann.«

Nüchtern sieht er mich an. Einen kurzen Augenblick starre ich ihn entsetzt an, dann fange ich aber an zu lachen.

Auch wenn wir ein schwieriges Thema behandelt hatten, ist die Stimmung durch seinen trockenen Kommentar sofort wieder gelöst. Wir schaffen es irgendwie nicht, lange ernst zu bleiben. Zum Glück.

Denn ansonsten würde ich zu der fraglichen Schizophrenie mit der Aussicht auf einen unvermeidlichen Selbstmord auch noch Depressionen bekommen. Nein danke. Eine Baustelle reicht mir.

Meine Gedanken überschlagen sich, es fühlt sich aber dennoch so an, als würden sie umherwabern wie dicke Watte. Egal welchen Gedankenstrang ich verfolge, ich lande in einer Sackgasse. Frustriert massiere ich mir die Stirn.
Es muss einfach eine andere Lösung geben. Es kann doch nicht mit dem Tod von einem von uns beiden enden.

Plötzlich schießt mir ein neuer Gedanke durch den Kopf und ich springe auf. Devon zuckt vor Schreck zusammen und bedenkt mich mit einem strafenden Blick. »Ich habs!« Erfreut laufe ich um den Tisch herum und bleibe neben ihm stehen.

Skeptisch sieht er zu mir hoch. Bevor er nachfragen kann, welchen meiner vielen Gedanken ich meine, sprudeln die Worte aus mir heraus.

»Ich flüchte immer zu dir, wenn ich in meinem jetzigen Leben nicht weiterkomme. Wenn es um den Unfall geht, bei dem ich mich vor der Wahrheit verschließe. Also muss ich die Wahrheit herausfinden. Dann brauche ich dich nicht mehr. Denn dann muss ich vor nichts mehr flüchten. Ich bräuchte keinen Rückzugsort mehr, keine sichere Mauer, hinter der ich mich verstecken kann. Ich könnte dich verleugnen, weil ich dich nicht mehr brauche. Und alle sind zufrieden.«

Devon verzieht schmerzhaft sein Gesicht. Er fasst sich an die Brust und blickt mich vorwurfsvoll an. »Das tut weh. Weißt du eigentlich, was du mit deinen Worten anrichtest? Mich verleugnen? Wo ich nur für dich lebe?« Theatralisch massiert er sich seine Brust, als hätte er gerade einen Herzinfarkt.

Ich ziehe nüchtern meine Augenbrauen nach oben. »Aber mir zu sagen, dass ich mich umbringen soll, ist völlig in Ordnung.«

Seine Hand verschwindet von seiner Brust und sein Gesichtsausdruck wird wieder normal. »Touché.«

Zufrieden setze ich mich wieder hin. Ich könnte platzen vor Stolz, denn meine Idee klingt einfach richtig logisch. Und ich würde einen Selbstmord verhindern, nur um Devon den Arsch zu retten.

Aus alten Erzählungen aus der Bibel weiß ich, wie grausam Erzengel sein können. Das möchte ich ihm wirklich nicht antun, nur weil ich zu inkompetent bin, ihn in der Öffentlichkeit zu ignorieren.

»Deine Idee hat was«, gibt Devon zu und mustert mich nachdenklich. »Aber wie willst du das schaffen? Bisher klappst du immer halb zusammen, sobald es um den Unfall geht. Du vedrängst etwas großes, wichtiges.«

Seufzend lehne ich mich in meinem Sessel zurück. Ein weiteres Blatt hängt mir in den Haaren, aber ich ignoriere es.
Er hat recht. Wie soll ich das schaffen? Bisher ist es mir noch nicht einmal gelungen, mich daran zu erinnern, wohin ich überhaupt fahren wollte.

»Joyce«, antworte ich seufzend. »Sie weiß durch die Polizei mehr, als sie zugeben darf. Ich muss sie von dem Ansatz wegbringen, dass ich selbst auf die Lösung komme. Sie muss mir Denkanstöße geben, durch die Informationen, die sie hat. Vielleicht die Polizeiakte. Oder einen offiziellen Unfallbericht.«

TodesengelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt