Es ist Nacht und ich laufe durch den Wald. Am Himmel steht ein fahler Mond, graublaue Wolken ziehen an ihm vorbei. Es hat aufgehört zu regnen, aber der Wind geht noch immer. Ich friere. Trotzdem ist mir heiß. Vom Laufen. Sie sind hinter mir her.
Ich habe keine Schuhe an. Aber ich spüre fast nichts auf meinen Fußsohlen. Sie scheinen abgehärtet zu sein, als würde ich schon jahrelang, schon mein ganzes Leben barfuß laufen. Nur die Dornen der Brombeeren spüre ich. Sie zerkratzen meine Beine, zerfetzen das schmutzige graue Kleid, das ich trage, noch mehr, als es ohnehin schon ist. Ich laufe weiter.
Ich höre ihr Hecheln, ihr Winseln, manchmal bellt einer kurz auf. Sonst geben sie keinen Laut von sich. Wölfe jagen leise, hat der Jäger gesagt. Und jetzt jagen sie mich. Sie haben mein Blut gewittert. Das aus meiner Scheide und das von meiner Stirn. Die Soldaten haben mich geschlagen. Zuerst weil sie mich nehmen wollten und dann, weil sie gesehen haben, dass ich unrein bin.
Einer hat mir mit seinem Stiefel in die Seite getreten, dann nach meinem Kopf. Ich bin zurückgewichen, doch der Stiefel hat mir die halbe Stirn aufgerissen. Dann sind sie weggeritten und die Jungfrau Maria hat mich einschlafen lassen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort gelegen bin, im Holzschlag. Als ich aufgewacht bin, war es Nacht.
Das erste, was ich gedacht habe, als ich wach war, dass der Bauer zornig wird, wenn ich zu spät nachhause komme. Ich habe nach dem Weg gesucht, aber der Mond ist noch hinter den Wolken gewesen und ich habe nichts gesehen. Mein Kleid ist ganz nass. Es hat also geregnet, während ich geschlafen habe.
Dann sind die Wolken weggegangen und ich hab den Weg gefunden und bin ein Stück talwärts gelaufen. Aber nicht weit, denn dann sind sie plötzlich da gewesen. Erst zwei gelbe Augen, dann vier, sechs, acht. Dann bin ich losgerannt. Und sie immer hinter mir her.
Vorbei am Holzschlag, höher hinauf, durch das Dickicht der Fichten; Farne und Brombeeren, bis zum Grat des Hügels. Was auf der anderen Seite ist, weiß ich nicht genau. Ich hoffe die Moldau. Wasser mögen sie nicht.
Schemen zwischen den Bäumen, Hecheln, Knurren und immer wieder ein heiseres, kurzes Bellen. Der Leitwolf. Er führt die Meute an. Es macht ihm Freude, mich jagen zu lassen. Er will nicht nur mich, er will meine Angst. Meine Seele. Ich bete den schmerzhaften Rosenkranz. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für mich arme Sünderin in der Stunde meines Todes.
Ich stolpere über eine Wurzel, falle hin, ein dürrer Zweig bohrt sich in meine Hand, eine weitere Wurzel reißt mir die Knie auf. Ich rolle den Hang hinunter. Ziehe die Arme nah an mich und den Kopf ein. Dann fange ich mich an einer jungen Buche und stehe wieder auf. Renne weiter den Hang hinunter.
Nun sind die Schemen weg. Auch das böse Hecheln und Knurren ist nicht mehr zu hören. Aber irgendwo schlägt Wasser an ein Ufer. Endlich. Ich verlangsame mein Tempo und zwänge mich durch die Holunderbüsche durch. Dann stehe ich vor der Moldau. Und zwischen mir und dem Fluss die Wölfe.
Der Leitwolf tritt vor, die anderen drei bleiben zurück. Er sieht mich mit zurückgezogenen Lefzen an, als würde er grinsen. Wie der Bauer, wenn er nach einer Magd greift, so sieht das aus. Ich weiche zurück, aber hinter mir ist der Hang. Ich stolpere, falle, der Wolf bellt kurz auf und dann höre ich einen hohen Ton, wie von einer Flöte. Oder eigentlich höre ich ihn nicht, sondern spüre ihn mehr. Wie der Pfeil einer Armbrust bohrt er sich in meinen Kopf, genau dort wo mich der Stiefel getroffen hat.
Dann ist die Heilige Jungfrau über mir und bietet mir ihre Hand und ich nehme sie und sie zieht mich hoch und ich wundere mich noch, dass sie kein blaues Kleid trägt und keinen Schleier und auch keinen Heiligenschein.
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Jana und Liz - Teil 8: Der Pranger von Horni Plana
ChickLitJana und Liz sind zurück vom Urlaub. Liz hat eine Geschichte darüber geschrieben. Mehr spooky als spicy, aber spannend bis zum Schluss.