Es war Sonntag, der letzte Tag unseres Kurzurlaubes in Tschechien, an einem Stausee der Moldau, zwanzig Kilometer von der Grenze entfernt. Der Donnerstag davor war ein Feiertag gewesen, keine Ahnung welcher, am Freitag hatte sich Jana freigenommen. Sie sagte, dass sie mal Abstand brauche, zur Arbeit, zur Uni, zur Familie und überhaupt. Und dass wir deshalb für ein paar Tage wegfahren würden. Also setzten wir uns früh am Morgen in das Auto und erreichten drei Stunden später den Ort Lipno, wo sie ein kleines Ferienhäuschen gemietet hatte, mit direkten Zugang zum See und einer riesigen Rasenfläche davor.
Lipno selbst bestand fast nur aus Fremdenzimmern, zwei Supermärkten und drei Gasthäusern, die allesamt das Gleiche anboten. Sie brauchte diese Tristesse grad und mir war es egal, denn seit meinem Unfall durfte ich weder spielen noch trainieren. Ich war bei der Abwehr eines gegnerischen Angriffs mit dem Kopf voll gegen die Torstange geknallt, hatte aber darauf bestanden weiterzuspielen. Ein paar Tage später bekam ich so schlimme Schmerzen, dass Jana mit mir ins Krankenhaus fuhr und dort vehement und lautstark auf eine Schädel-MRT bestand, die dann ein Knochenmarksödem am Jochbein zeigte. Damit waren die Endspiele der Unihandballerinnen für mich vorbei.
Keine Anstrengung, kein Sport, kein Training, hatte der Arzt gesagt. Also achtete meine Herrin darauf, dass ich mich wirklich nicht anstrengte. Am liebsten hätte sie mich auch noch gefüttert. Ich durfte nichts anders tun, als unter ihrer Aufsicht ein paar Runden im Stausee schwimmen und auf dem abgezäunten Rasen herumliegen, was ich auch tat, allerdings nackt, was aber die Population von Anglern, Ruderern und Wanderern direkt vor unserem Seezugang enorm erhöhte. Und meinem nackten Po den Tischtennisschläger einbrachte.
Ich hatte mir drei Bücher von Annie Ernaux auf Französisch mitgenommen, um diese wunderschöne Sprache nicht endgültig zu verlernen, Jana quälte sich durch „Arbeit und Struktur" von Wolfgang Herrnstadt und wurde dabei zunehmend trauriger über diese Aufzeichnungen eines sterbenden Schriftstellers. Da die einzige vegetarische Speise, die von allen drei Gasthäusern des Ortes angeboten wurde, immer nur Powidltascherl war, kochte erst sie, dann ich in der perfekt eingerichteten Küche des Ferienhäuschens. Und außer kochen, lesen, vögeln und auf der Wiese vorm See herumzuliegen taten wir drei Tage lang nichts. Dann war auch ihr langweilig geworden und wir beschlossen, noch am letzten Tag die Gegend mit dem Auto zu erkunden, entlang der Ostküste dieses riesigen Stausees.
In der Nacht davor hatte ich einen meiner roten Träume. Ich nenne das so, wenn ich im Traum etwas sehe, das tatsächlich einmal geschehen ist, oder vielleicht bald geschehen könnte. Ich weiß schon, das ist ziemlich verrückt, aber es passiert mir immer wieder. Manchmal bin ich selbst mittendrin in dem Geschehen, manchmal nicht. Dann sind es Menschen, die ich noch nie sah und nie sehen werde. Menschen, die einmal lebten oder einmal leben werden. Oder auch solche, die das, was ich träume, just in dem Moment erleben, in dem ich es träume. Das ist unheimlich, ich weiß. Manche nennen es das zweite Gesicht, andere Schizophrenie. Mir ist egal, wie das heißt, ich will es nicht haben, denn es ist ein Fluch. Aber zugleich auch ein Segen, denn es hat Jana mal das Leben gerettet. Aber das ist eine andere Geschichte.
Hier in Lipno, am Stausee der Moldau, holte mich in dieser letzten Nacht unseres kurzen Urlaubes jedoch ein Traum über ein Ereignis aus der Vergangenheit ein. Aus einer sehr fernen Vergangenheit. Die aber meine war. Und die Janas.
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Jana und Liz - Teil 8: Der Pranger von Horni Plana
Chick-LitJana und Liz sind zurück vom Urlaub. Liz hat eine Geschichte darüber geschrieben. Mehr spooky als spicy, aber spannend bis zum Schluss.