Das Haus des Schultzen

21 3 0
                                    

Wir verließen die Aussichtsplattform ohne unser übliches Spiel vom Fliegen. Mit jeder Stufe, die wir hinabstiegen, wurde mein Zittern weniger, aber das Herz blieb mir schwer. Ich wusste, das war noch nicht alles, was uns hier erwartete.

Das Auto ließen wir beim Park stehen und gingen zu Fuß in den Ort hinunter. Ein langgezogener Platz, umsäumt von Kastanien, mit einem leeren Brunnen dazwischen, die Häuser mit niederen Dächern und barocken Fassaden, in lindgrün, rosa und blassgelb bemalt. Alte breite Hoftüren, jede verschlossen.

Am südlichen Ende des Platzes ein Café, das offen hatte. Wir traten ein und staunten. Der ganze riesige Raum über und über voll mit Zimmerpflanzen, man saß wie im Dschungel hier und all das Grün umhüllte uns wie die Arme einer Mutter.

„Hier ist es schön, hier bleiben wir ein wenig", bestimmte Jana und ließ sich an einen der alten Holztische nieder, um die ebenso alte wacklige Sessel standen.

Eine nette Kellnerin kam und fragte in perfektem Deutsch nach unseren Wünschen. Jana bestellte einen Cappuccino für sich, Kakao für mich und wählte an einer Glasvitrine Mehlspeisen mit unaussprechlichen Namen aus. Sie schmeckten köstlich.

So saßen wir da, ich hing meinen Gedanken nach und Jana las in einem Reiseführer über Tschechien. Immer hat sie sowas dabei, egal wohin wir kommen, immer interessiert sie sich für die Geschichte der Menschen, die dort leben.

Ich sah mich ein wenig um in dem Raum, und versuchte die vielen Zimmerpflanzen in ihren unterschiedlichsten Behältern, vom Bierkrug bis zum Wanderschuh, zu erkennen. Ein Efeu kletterte die Wand hoch bis zur Decke, die von schweren Balken gehalten wurden. Sie leuchteten dunkelrotbraun und ich fragte mich, wieso etwas dunkelrotbraunes so leuchten konnte.

„Ochsenblut", sagte ich zu mir selbst

„Was?", wollte Jana wissen, den Reiseführer immer noch offen vor sich.

„Die Balken sind mit Ochsenblut gestrichen"

„Woher willst du das wissen?"

„Ich weiß es eben."

„Sie haben recht", sagte die Kellnerin, die eben die Teller abräumen wollte. „früher, sehr viel früher vor vierhundert Jahren oder mehr, strich man die Balken eines Hauses mit Ochsenblut, um sie vor dem Holzwurm zu schützen. Aber das weiß heute kaum jemand mehr. Sind sie Kunsthistorikerin?"

Ich verneinte, Jana sah mich an und schüttelte den Kopf.

„Das Haus hier ist das älteste von Horni Plana", erzählte die Kellnerin weiter. „Es wurde noch vor dem dreißigjährigen Krieg gebaut. Alle anderen sind viel jüngeren Datums. Angeblich hat hier mal der Stadtschulze gewohnt."

„Ein Stadtschulze, was soll denn das sein?", wunderte sich Jana, aber die Kellnerin war schon wieder weg.

„Ein Richter", antwortete ich

„Echt jetzt?"

„Ja, das Wort kommt vom mittelhochdeutschen Schuld-heißen. Wie auch der Name Schultheiß. Vom Mittelalter bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren die sowas wie Bürgermeister in den Dörfern und kleineren Städten. Und dort, wo kein Richter war, führten sie auch die Verhandlungen in Rechtsstreitigkeiten."

„Was du alles weißt."

Ja, Donna Jana, dachte ich, ich weiß mehr, als ich wissen möchte.

Sie las weiter in ihrem Reiseführer.

„Sieh mal an", sagte sie, „1625 fiel der gesamte Ort einem Großbrand zum Opfer. Alle Häuser wurden vernichtet, bis auf das des Dorfschulzen."

Ja, ich weiß, dachte ich.

„Und alle Männer der Stadt starben dabei, jedoch keine einzige Frau und kein Kind. Die hatten alle Zuflucht in diesem Haus hier genommen."

Ja, Herrin, ich weiß.

„Es wurde nie restlos geklärt, wie es zu diesem Brand kam", las sie weiter, „Vermutlich dürfte es sich um einen Anschlag von aufständischen Bauern gehandelt haben. Der in Volkssagen festgehaltene Verdacht, dass es sich bei den Brandstiftern um Hexen oder gar um Werwölfe handelte, darf aber dem damals weitverbreiteten Aberglauben zugeschrieben werden."

Jana und Liz - Teil 8: Der Pranger von Horni PlanaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt